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Kulturtasche

Interview mit Helma Hörath, Museumspädagogin

Helma, du bist Museumspädagogin im "Museum Kindheit und Jugend" in Berlin. Was genau tust du da? Was sind die Aufgaben eines Museumspädagogen?
Da hole ich jetzt einmal weiter aus, damit ihr euch meinen Arbeitsplatz innerhalb des Museums genauer vorstellen könnt.
Sicherlich wart ihr schon einmal mit euren Eltern oder eurer Klasse in einem Museum. Nur wenige Menschen, die dort arbeiten, sind während der Besuchszeiten in den Ausstellungsräumen zu sehen.
Da gibt es natürlich die Kassiererin, bei der ihr die Eintrittskarte bezahlen müsst. Da gibt es die Garderobenfrau und da gibt es die Aufsichten, die sich in den Ausstellungsräumen aufhalten und aufpassen, dass kein Ausstellungsstück (das Fachwort heißt Exponat) beschädigt wird.
Die meisten Arbeiten laufen - für die Besucher unsichtbar - hinter den "Kulissen" ab. Dort sitzen die Wissenschaftler, die sich ganz intensiv mit einem Bereich wie zum Beispiel den Gemälden beschäftigen. Sie kennen in der Regel alle Dinge, die zu ihrem Sammlungsbereich gehören. Sie bereiten die Ausstellungen inhaltlich vor, d. h. sie bestimmen mit dem Titel, den Texten und den ausgesuchten Exponaten, worum es in der Ausstellung eigentlich gehen soll. Oder sie verfassen Artikel, die in Zeitungen und Fachzeitschriften veröffentlicht werden sollen. Dabei gehen sie oftmals von Exponaten aus, die sich in den Museumssammlungen befinden. Diese Gegenstände liegen in einem Aufbewahrungsraum (das Fachwort heißt Depot, es ist so etwas wie eine "Vorratskammer") und warten darauf, dass sie ausgepackt, angeschaut und den Museumsbesuchern gezeigt werden.
Rund um das gefundene Thema bauen dann die Gestalter und Grafiker die Ausstellung so interessant und spannend wie möglich in den Museumsräumen auf. Wenn du mit der Klasse oder der Hortgruppe ins Museum gehst, dann bestellen die Erwachsenen meist eine Führung. Dabei werden die Kinder auf ihrem Rundgang durchs Museum von einem Menschen begleitet, der ihnen viel über das Ausstellungsthema und die Exponate zu erzählen weiß. Diese Führungen können von Wissenschaftlern, von eigens dafür engagierten und geschulten Führungskräften oder eben auch von einem Museumspädagogen durchgeführt werden.

Ein "Pädagoge" ist ja eigentlich ein "Erzieher" für Kinder. Aber wenn ich dich richtig verstanden habe, arbeitet ein Museumspädagoge nicht ausschließlich für und mit Kindern zusammen?
Das stimmt. Das Foto zeigt mich zwar inmitten von Kindern bei meiner Arbeit im Berliner Museum "Kindheit und Jugend." Ich bin aber nicht nur für Kinder da. Genauso könnten hier auch Erwachsene mit mir einen Rundgang durch die Ausstellung machen. Oft schon bei der Ausstellungsplanung überlege ich mir: Welche Informationen und Geschichten, die ein Exponat nicht auf den ersten Blick erzählt, möchte ich den Besuchern berichten und welche Aktionen möchte ich zu dem dargestellten Thema anbieten. Manchmal entstehen diese Veranstaltungen aber auch durch Fragen, die mir die Kinder während eines Museumsrundgangs stellen.

Ein Museumspädagoge führt also nicht nur Gruppen durch Ausstellungen, sondern ist auch bei der Planung von Ausstellungen beteiligt?
Ja. Zusätzlich betreue ich einen Sammlungsbereich. Er nennt sich "Alltagskultur". Dazu gehören alle Dinge des täglichen Lebens von Kindern wie zum Beispiel Bekleidung, Mappen, Turnbeutel, Rollschuhe / Inlineskater, Sticker, modischen Schmuck. Ich schlage für meinen Sammlungsbereich Ankäufe vor oder nehme Schenkungen von Besuchern entgegen. Alle Dinge, die neu ins Museum kommen, werden in Inventarbücher mit einer Nummer und einer Beschreibung eingetragen. Danach werden alle Sachen gut und sicher vor Staub, Feuchtigkeit und Ungeziefer verpackt. Dann bringe ich die Kartons ins Depot.
Bei dieser Arbeit kommen mir oftmals Gedanken für Ausstellungen. Oder ich lese etwas in einer Zeitung und sage mir, dieses Thema würde mit einer Ausstellung auch bei uns hineinpassen. Meine Vorschläge berate ich mit meinen Kolleginnen, die natürlich auch Ideen für eigene Ausstellungen haben. Danach wird dann festgelegt, was in den nächsten 12 Monaten in unserem Museum gezeigt werden soll.

Was ist dir bei der Planung einer Ausstellung besonders wichtig?
Mein Ziel ist es, die kleinen und großen Besucher anzuregen, hinter die Dinge zu schauen, sich auch später zu Hause oder in der Schule mit dem einen oder anderen gesehenen Gegenstand zu beschäftigen. Ein Museumsbesuch soll meiner Meinung nach nicht nur Wissen vermitteln, sondern er soll auch Vergnügen bereiten. Nicht nur, aber auch darum geht es in den zusätzlichen Veranstaltungen und Aktionen.

Ist es das, was dir besonderen Spaß an deiner Arbeit macht?
Ja, aber ganz allgemein vor allem auch das Zusammensein mit den unterschiedlichen Menschen, ganz besonders mit Kindern. Von ihnen lerne ich am meisten. Ein Beispiel: In der Ausstellung "Lügen haben lange Nasen. Von Pinocchio & Co." gibt es im freien Mittelpunkt des Raums einen mit weißer Farbe auf den Fußboden gemalten Marktplatz. Es sind kleine und große Steine, schiefe und krumme, eckige und runde. Es sollte eben einen alten Platz darstellen. Ein Kind fragte mich, warum die Steine denn so ungleichmäßig gemalt wurden. Ich gab die Frage an die ganze Gruppe weiter. Als gemeinsame Überlegung kam dann von ihr zurück: Nachdem Pinocchio ein Menschenjunge geworden war, wuchsen natürlich auch seine Füße. Hier auf dem Marktplatz konnte er an den Steinen ihre Größe messen. Nie wäre ich ohne die Kinder auf diese tolle Antwort gekommen.

Kannst du uns anhand eines konkreten Beispiels erklären, wie ein Thema für eine Ausstellung ausgesucht wird?
Ein bisschen habe ich ja dazu schon gesagt. Aber spielen wir hier mal ein Beispiel durch: Die Idee von der Pinocchio-Ausstellung wurde im Dezember 2002 geboren. Das Organisationsbüro der Berliner Märchentage hatte für 2003 das Motto "Märchen und Mythen des Mittelmeerraumes" festgelegt. Wir wollten uns daran beteiligen und suchten nach einem Thema, das in einem Märchen die Lebensabschnitte Kindheit und Jugend miteinander verbindet. In unserer Spielzeugsammlung fanden wir eine Pinocchio-Puppe und einige alte Marionetten. Und damit war klar, dass es das italienische Märchen von Pinocchios Abenteuer sein musste. Ich wollte zeigen, dass dieses Märchen vor mehr als 100 Jahren in Florenz von dem Dichter Carlo Collodi geschrieben wurde, dass es eine märchenhafte Geschichte ist, in der das Leben und die Erziehung eines Jungen im Mittelpunkt stehen. Als besonderes Unterthema habe ich das mit dem Schwindeln und Lügen herausgegriffen. Das lief damals bei unseren Großeltern und Urgroßeltern genau so ab wie heute. Jedem Kind - davon bin ich überzeugt - fallen dabei bestimmt sofort eigene Erlebnisse ein.

Was finden die Besucher im Pinocchio-Raum?
Bücher und Bilder aus diesen Büchern, eine Leseecke, eine Schreib- und Zeichenecke, dicht daneben das Gemälde "Die Zeichenschule" von dem Künstler Adelchi-Riccardo Mantovani, eine lebensgroße Stofffigur der blauen Fee, geschaffen von der Künstlerin Karla Woisnitza. Und da steht auch ein Baum, der statt Äste Nasen aus Holz und Pappmaché hat. An seinem Stamm klebt das Gedicht "Der Nasenbaum". Über Telefonhörern kann man die Geschichte von Pinocchio in Deutsch und die von Zäpfel Kern (das ist Pinocchios deutscher Bruder) in Italienisch hören. Übrigens, alle Texte im Raum sind in italienischer und deutscher Sprache.

Das Thema der Ausstellung wurde also gefunden und umgesetzt. Was hast du als Museumspädagogin nun während dieser Ausstellung zu tun?
Den Kindern Fragen zu beantworten, z.B. was dieses Gemälde mit Pinocchio zu tun hat, warum unsere Fee drei Arme hat, warum die Grille in Italien "Krihkrih" und der Esel "Iohioh" macht... Aber meist bin ich nur für die Hilfestellung da und die Kinder beantworten sich ihre Fragen selbst. Oder ich erzähle das Märchen von Pinocchio, bastle mit Besucherkindern Stabpuppen, bemale mit ihnen Hampelmänner und spiele mit ihnen kurze Theaterszenen zum Thema "Stell dir vor, du wachst auf und bist Pinocchio!" Auch die Abschluss-Aktion "Nasenbaum sucht neue Eigentümer" ist sozusagen auf meinem "Mist" gewachsen. Dabei geht es um das Ausdenken und Aufschreiben von Lügenmärchen. Am 12. April schließt die Pinocchio-Ausstellung. Dann soll der Nasenbaum nicht auf den Müll wandern. Denn er ist nicht nur wunderschön, finde ich, sondern er wurde von Tischlerlehrlingen ausgedacht und gebaut. Unser Nasenbaum winkt als Preis für die interessanteste Geschichte und "wandert" dann in einen Hort oder eine Grundschule.

Bereitest du gerade schon neue Ausstellungen und Aktionen vor?
Ja, natürlich. Gerade jetzt bereite ich mit der Grafikerin Barbara Schumann die Ausstellung "Bilder für Kinder" vor. Dabei geht es um Illustrationen in Schulbüchern. Zu sehen sein wird diese Ausstellung ab Juli 2004. Im November wird es dann wieder eine Märchenausstellung geben.

Um was wird es dabei gehen?
Das ist noch ein märchenhaftes Geheimnis.

Ein märchenhaftes Geheimnis? Dann kreist das nächste Thema vielleicht um "Aladin und die Wunderlampe" oder "Die zertanzten Schuhe"?
Ich verrate nichts. Noch ist die Tür mit sieben Riegeln verschlossen. Aber vielleicht schaffst du es mit einem italienischen Zauberspruch, die Tür zu entriegeln. Der Zauberspruch geht so: Lunga la foglia / larga la via / ed il mago / fa un'altra magia! (Aussprache: Lunga la follia / larga la wia / ed il mago / fa un altra madschia. Zu Deutsch heißt er: Lang ist das Blatt / breit ist der Weg / und der Zauberer macht einen neuen Zauber.)

Übrigens:
Ihr könnt euch bis zum 12. April 2004 an dem Wettbewerb um den Nasenbaum beteiligen. Er wird als Gewinn für die lustigste oder fantastischste oder spannendste oder außergewöhnlichste Lügengeschichte an eine Kita oder eine Hortgruppe vergeben. Dabei ist es ganz egal, ob ihr alleine oder gemeinsam den Baum für eure Schule erobert.
Alle Teilnehmer, die dem Museum ihre geschriebenen Lügen auftischen, werden zur "Blauen Stunde des Lügens" am 1. April 2004 ins Museum eingeladen. Übrigens, der Text soll höchstens fünf handgeschriebene oder drei mit Computer geschriebene Seiten lang sein.
Schickt eure Geschichte bis zum 15. März an:
Sammlung Kindheit und Jugend / Kennwort: Nasenbaum / Wallstraße 32 / 10178 Berlin. Faxnummer: (030) 279 29 79, Email: mukiju@web.de

 © Rossipotti No.2, Februar 2004