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Kulturtasche

 

Was ist eigentlich ein ... : Tonmeister?

Bevor ihr eure Lieblingsmusik oder ein Hörspiel auf einem Tonträger hören könnt, sind neben den Musikern und Sprechern eine ganze Reihe von Leuten an der Aufnahme beteiligt. Einer davon ist der Tonmeister.
Ob und warum er ein Meister der Töne ist und welchen Anteil er an der Produktion von Hörspielen hat, verrät euch in diesem Interview Jean Szymczak

 

Kulturtasche: Jean, als Tonmeister bist du jemand, dem das Hören besonders wichtig ist. Welche Geräusche hörst du gerne?

Meistens sind es die einfachen, zarten Geräusche, die mir gefallen. Wenn zum Beispiel ein Wasserhahn tropft, hört sich das gut an. Oder wenn man ein Streichholz anzündet, klingt das schön. Was gibt es noch für schöne Geräusche? Das Herausziehen eines Korken aus einer Flasche macht zum Beispiel ein schönes "Blupp". Dann mag ich auch, wenn Zeitung oder Papier ganz zart zerknistert. Wenn man das Papier einfach so zerknautscht und in die Ecke haut, dann macht das kein schönes Geräusch, aber wenn man es langsam zerknautscht, mag ich das gerne. Jedes Papier klingt außerdem anders. Wenn man im Hörspielbereich arbeitet, ist es auch immer sehr spannend, Schritte zu hören. Die hören sich immer ganz unterschiedlich an.

Welche Geräusche sind dir eher unangenehm oder werden zum Krach?

Ich finde alles, was aus Plaste ist, macht ein schlechtes Geräusch. Und zwar wirklich alles. Selbst wenn ich einen Pullover aus Plaste anhabe. Dann macht das ein schlechtes Geräusch. Aber zum Thema Krach: Krach umgibt mich fast ständig und nervt mich auch ständig. Ich höre immer gut zu, was um mich herum passiert und ich kann auch viele Geräusche einordnen, und ich habe auch Spaß daran, das zu machen. Und vielleicht stört mich deshalb der Krach um mich herum besonders oder noch viel mehr als andere Menschen. Ich empfinde einfach viele Geräusche als unnötig. Ich finde zum Beispiel, dass man sich bei den Dingen, die man herstellt, ganz viel Mühe gibt, wie sie aussehen, aber sehr wenig Mühe, wie sie klingen.

Welche Möglichkeiten gibt es denn, Geräusche herzustellen?

Man kann einfach ein Mikrophon und ein Aufnahmegerät nehmen und an den Ort fahren, wo das Geräusch stattfindet und es aufnehmen. Wenn man dort allerdings das Mikro nur irgendwo hinstellt, ist das Geräusch, das man bekommt, meistens nicht das, was man sich vorgestellt hat. Ein Teil meines Berufs ist es deshalb, zu entscheiden, wie man ein Geräusch aufnimmt, dass es zum Schluss so klingt, wie man es sich vorgestellt hat. Wenn ich ein ausgefallenes Geräusch haben möchte, wie zum Beispiel das Geräusch "Karneval in Rio de Janeiro", fahre ich da natürlich nicht hin. Dann gibt es die Möglichkeit, dieses Geräusch aus der Geräuschbibliothek zu bekommen.
Man kann Geräusche aber auch selbst erzeugen. Und zwar entweder elektronisch - das habe ich aber noch nie gemacht - oder aus Dingen, die eigentlich nicht dem Ursprungsgeräusch entsprechen. In dem Fall versucht man also ein Geräusch herzustellen, das so wirkt, als ob es das Ursprungsgeräusch wäre. Da lässt man dann einfach seine Phantasie spielen. Zum Beispiel habe ich für eine Hörspielproduktion von Jules Verne das Geräusch eines Springbrunnens gebraucht. Die Geräusche aus dem Archiv waren alle nicht brauchbar, weil sie sich eher wie ein Fluss oder Wasserfall anhörten. Deshalb haben wir selbst herum experimentiert, ein solches Geräusch herzustellen. Schließlich haben wir dann einen Metalleimer genommen und zu einem Drittel mit Wasser gefüllt. Über den Eimer haben wir eine Flasche gelegt, und ich habe den Mund voll Wasser genommen und ganz langsam das Wasser auf die Flasche tropfen lassen, so dass man es nicht hört. Das Wasser ist dann an der Flasche entlang nach unten gelaufen und Tropfen für Tropfen in das Wasser geplätschert. Dieses Geräusch ist so gut geworden, dass es sich nach einem richtig echten Springbrunnen anhört.

Vita

Jean Szymczak (geb. 1970 in Berlin) machte eine Ausbildung zum Diplom-Tonmeister an der Universität der Künste in Berlin. Er produziert Features für Radiosender, nimmt Orchester, Bands und Filmmusik auf. Außerdem hat er bei den Hörspielproduktionen "Der Wind in den Weiden", "Alice im Wunderland" und "Das Weihnachts-geheimnis" von Jostein Gaarder mitgewirkt. Bei der Produktion "20.000 Meilen unter den Meeren" von Jules Verne (Der Hörverlag 2003) wurde ein Hörspiel zum ersten Mal in dem vom Kino her bekannten 5.1 Surround-Sound aufgenommen. Das ist eine Aufnahmetechnik, bei der man Sprecher und Geräusche im gesamten Raum wahrnehmen kann.
Jean Szymczak hat in dem legendären, ehemaligen Funkhaus der DDR in Berlin ein eigenes Tonstudio (Studio P4) und arbeitet dort mit seinem Partner als Tonmeister und Produzent.


Ehemaliges Funkhaus der DDR

Bist du von der Vorliebe für die Geräusche zu deinem Beruf gekommen?

Mir hat es schon immer Spaß gemacht, Musik oder Radio zu hören. Aber am Anfang hat mich vor allem die technische Seite interessiert. Bis ich gemerkt habe, dass es eigentlich ein ganz spannender Beruf ist, der mit der Technik am allerwenigsten zu tun hat.

Für was ist denn der Tonmeister außer Technik alles zuständig?

Den eigentlichen Beruf des Tonmeisters gibt es nur noch relativ selten. Der Beruf wächst immer mehr mit dem des Toningenieurs zusammen. Trotzdem ist der Tonmeister darüber hinaus ein musikalischer Produzent, der für die gesamte Produktion verantwortlich ist und zwar in technischer, künstlerischer und verkaufstechnischer Hinsicht. Konkret kann man sich das so vorstellen: Wir haben eine Orchesteraufnahme, die von irgendeiner Firma in Auftrag gegeben wird. Dann muss ich auf mehreren Ebenen arbeiten. Ich muss der Firma gerecht werden, ich muss mit dem Toningenieur besprechen, wie ich die Tonqualität haben will, ich muss mit den Technikern besprechen, was wie wo hingebaut werden soll, wie der technische Ablauf ist. Dann muss ich mit dem Dirigenten besprechen wie die künstlerische Vorstellung ist, und ich muss auch mit einzelnen Musikern sprechen, was sie sich vorstellen, wie man die unterschiedlichen Vorstellungen zusammenkriegen kann und wie der Produktionsprozess abläuft. Nicht nur im Vorfeld, sondern auch während der Produktion muss ich ständig alle Interessen zusammenführen. Ich bin dafür verantwortlich, dass am Schluss das Bestmöglichste dabei herauskommt. Das ist eigentlich der Beruf des Tonmeisters. Heutzutage sitzt der Tonmeister allerdings auch oft selbst am Pult und fährt auch selbst mal mit Technik raus. Oft ist der Tonmeister eine Personalunion, der die Aufgaben des Toningenieurs, des Tontechnikers und des Produzenten erledigt.

Neben Orchester, Band- und Filmmusikaufnahmen machst du auch Features und Hörspiele für verschiedene Radioanstalten. Welche Aufgaben hat der Tonmeister, wenn ein Hörspiel entsteht?

Generell gibt es im Hörspiel überhaupt keinen Tonmeister. Hörspiele werden hauptsächlich in den Rundfunkanstalten produziert. Dort stellt maximal ein Toningenieur das Hörspiel her, wenn nicht sogar nur ein Tontechniker. Wenn ich ein Hörspiel mache, werde ich da also nicht als Tonmeister, sondern als Toningenieur eingestellt. Beim Hörspiel ist die Funktion des Tonmeisters durch den Hörspielregisseur ersetzt. Und der Regisseur ist derjenige, der die ganze Kompetenz darüber hat und dem Toningenieur sagt, was er haben will. Wenn der Regisseur ein Geräusch braucht, dann sucht der Regieassistent die Geräusche zusammen. Wenn irgendetwas fehlt, hat der Regisseur meistens schon eine Idee, was genommen werden kann. Erst wenn er keine Idee mehr hat, kommt der Toningenieur an die Reihe. Der Toningenieur ist an den künstlerischen Entscheidungen selten beteiligt. Er ist allein für den Ton verantwortlich, dass alles gut klingt.

Wie entsteht denn nun ein Hörspiel?

Zuerst hat irgendjemand eine Idee. Entweder hat jemand ein Buch zu einem Hörspiel umgeschrieben oder er hat ein eigenes Hörspiel geschrieben. Zuerst gibt es also einen Text. Der wird dann von der Redaktion einer Radioanstalt ausgesucht, weil er ihr gefällt und in ihr Programm passt. Manchmal verändert die Redaktion noch den Text ein wenig und passt ihn an ihr Sendeprofil an. Danach wird der Text oft von einem Dramaturgen zu einer runden Sache umgearbeitet und geht anschließend an einen Regisseur, der sich wiederum zusammen mit seinem Regieassistent und der Redaktion die Besetzung ausdenkt. Und dann erst kommt der Text ins Tonstudio, wo der Regisseur den Stoff so umsetzt, dass am Ende ein gutes Produkt entsteht. Und an dem Punkt sitze ich als Toningenieur und versuche, dem Regisseur dabei zu helfen.

Kommen alle Sprecher zusammen ins Studio oder muss der Toningenieur am Schluss die einzelnen Sprecherstimmen zusammenschneiden?

Das ist unterschiedlich. Es gibt Regisseure, die arbeiten die einzelnen Schauspieler generell nacheinander ab, und ich muss die Dialoge anschließend zusammenschneiden. Es gibt aber auch Regisseure, die erstellen schon bei der Aufnahme fertige Szenen. Da bewegen sich die Schauspieler im Raum und ich muss das dann so mit all den Bewegungen aufnehmen. Und dann gibt es Regisseure, die möchten die Schauspieler zwar zusammen aufnehmen, aber die dürfen sich nicht bewegen, weil es sich auf keinen Fall naturalistisch anhören soll. Meistens unterlegen wir dann das Hörspiel mit Musik. Natürlich gibt es auch den Fall, dass Schauspieler nicht am gleichen Tag kommen können. Dann muss ich die Rollen zusammenschneiden. Aber in ungefähr 70 % der Fälle ist es schon so, dass Szenen, in denen mehrere Schauspieler mitspielen, auch gleichzeitig mit mehreren Schauspielern aufgenommen werden.

Wie lange dauert ungefähr die Produktion eines Hörspiels?

Ab dem Zeitpunkt, wenn der Regisseur mit dem fertigen Skript zu mir ins Studio kommt bis zur Fertigstellung liegen ungefähr 10 Tage.

Wie muss man im Hörspiel die Geräusche einsetzen, damit es spannend wirkt?

Meine Erfahrung ist, dass es so viele Ansätze mit Geräuschen gibt, wie es Regisseure gibt. Ich habe Regisseure kennen gelernt, die sagen, es ist völlig fatal, überhaupt Geräusche zu verwenden. Sie sind der Meinung, dass die menschliche Phantasie so stark ist, dass man gar kein Geräusch braucht. Dann gibt es Leute, die benutzen Geräusche als sogenannte "Makrogeräusche". Das sind überdimensionierte Geräusche. Wenn ich etwas ganz Kleines, Feines ganz laut mache, dann entsteht etwas völlig anderes. Zum Beispiel, wenn ich mit einem Kaffeelöffel in einer Tasse umrühre und das ganz dicht ans Mikro halte, wird das ein ganz großes Geräusch. Dann kann man auch mit natürlichen atmosphärischen Geräuschen arbeiten, zum Beispiel wenn ich ein Kind auf dem Schulhof darstellen will, mache ich dahinter ein bisschen Schulhofatmosphäre. Und dann gibt es Leute, bei denen muss alles total naturalistisch sein. Wenn zum Beispiel zwei im Auto sitzen und einer die Scheibe runterkurbelt, muss der Verkehr von links etwas stärker werden als von rechts. Und wenn dann links die Tür aufgeht, muss das Geräusch hier auch stärker werden.
Eine persönliche Vorliebe den verschiedenen Ansätzen gegenüber habe ich nicht. Ich glaube, dass nicht die einzelne methodische Herangehensweise eine Rolle spielt, sondern das, was insgesamt dabei herauskommt. Ein Geräusch ist nur ein kleiner Baustein, immer nur ein Mittel zum Zweck. Das heißt, wenn am Ende etwas dabei entsteht, was Sinn macht und den Zweck erfüllt, dann ist es zwar interessant zu gucken wie es entstanden ist, aber wichtig ist nur, wie es insgesamt geworden ist.

Gibt es da auch Moden und Trends wie Geräusche eingesetzt werden?

Es gibt schon Moden und Trends, aber zur Zeit finde ich, dass alles gleichzeitig existiert. Es gab mal Zeiten, da hat man Hörspiele nur mit Geräuschen, also ohne gesprochenen Text gemacht. Früher wurden Hörspiele sehr viel mehr in realen, akustischen Spielszenarien gemacht, oder es waren naturalistische Hörspiele beliebt, wo fast alle Geräusche stimmten. So etwas möchte man heute fast gar nicht mehr. Wenn es heute einen Trend gibt, ist das, neben der Gleichzeitigkeit aller Trends, vielleicht der Trend zu sehr ausgesuchten, sehr speziellen, fast überdimensionierten, kurz angerissenen Geräuschen.

Seit ein paar Jahren boomt das Hörspiel ja geradezu. Kannst du dir erklären, warum?

Also ich glaube, das schönste Medium ist immer noch das Lesen, das Selberlesen. Weil sich die Geschichte vollständig in meiner Phantasie entfalten kann. Wenn ich ein Hörspiel höre, dann wird mir die akustische Seite schon ein bisschen weggenommen, aber die ganze Phantasie um mich herum kann ich immer noch aufbauen. Und dann kommt der Film, der nimmt mir das akustische und das visuelle weg, der ist deshalb auch am einfachsten zu konsumieren. Ich denke, dass das Hörspiel einfach den Reiz dieser Zwischenstellung zwischen Faulheit und Freude an der eigenen Phantasietätigkeit hat. Und man kann ein Hörspiel hören, wenn man mit anderen Tätigkeiten beschäftigt ist, z.B. Abwaschen oder Autofahren.

Kannst du abschließend den Kindern noch ein paar Tipps geben, was sie alles brauchen, um selbst ein Hörspiel zu machen?

Da brauchen sie nur ein Mikrophon und irgendein Gerät, mit dem man etwas aufzeichnen kann. Das kann ein Kassettenrecorder, ein Minidiskrecorder, ein Computer oder ein altes Tonbandgerät sein. Na, und dann hat man einfach Spaß damit! Dann denkt man sich einfach eine Geschichte aus und macht mit Freunden ein schönes Hörspiel. Der eigenen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Geräusche kann man entweder aus dem Internet ziehen oder selbst machen. Ich finde, dass ein vielleicht nicht ganz so passendes Geräusch von einem Kind, das Spaß an der Geräuschentwicklung hat, genauso viel Wert ist wie ein stimmiges Geräusch von einem Profi!

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Kulturtasche: Habt ihr schon auf die Bilder geklickt und gehört, welche Geräusche man selbst damit herstellen kann? Übrigens, wenn ihr für euer Hörspiel Geräusche braucht, die ihr nicht selbst herstellen könnt, schaut euch mal bei http://www.hoerspielbox.de und http://www.findsounds.com (eine englischsprachige Seite) um!

 © Rossipotti No. 7, April 2005