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Rossipottis 11 Uhr Termin

 

 

 

Freundschaft

Tom David Hovehne (9 Jahre)

Freundschaft ist wichtig.
Freundschaft ist gut.
Menschen führen Freundschaft.
Tiere führen Freundschaft.
Aus größten Feinden werden engste Freunde.
Messer werden gegen Blumen getauscht.
Krallen werden eingezogen.
Das ist Freundschaft.

 

 

Dieses Bild mit dem Titel FREUNDE hat Klaus Ensikat gezeichnet:

 

Und dieses Gedicht hat Martin Baltscheit dazu geschrieben:

SPIEL DES LEBENS

Zuerst lag ein Spiel auf dem Tisch
ein Spiel zum Vertreiben der Zeit
gelangweilt kam eine Katze hinzu
sie war der täglichen Muße so Leid

So setzte sie sich und sah sie an
die Karten die schwarzen und roten
und spielte mit sich das Spiel der Geduld
mit samtigen piekfeinen Pfoten

Die Maus von der Mühle entdeckte sie nun
und ließ am Tische sich nieder
sie wusste ein Spiel mit Karten für zwei
sie spielten es wieder und wieder

Ein Lachen der Maus das Miau der Madame
das hörte der Landvogt von Hagen
er eilte hinzu, die Sanduhr im Arm
und gewann in stocksteifem Kragen

Endlich erschien der Hofhund Baptiste
der nach dem Hofe des Königs benannte
und brachte vom höfischen Wachpersonal
ein Spiel das als Poker man kannte

Die Regel war schlicht und schnell erklärt
man sammelte Karten und setzte darauf
am Ende verglich man ganz offen den Wert
so nahmen Gewinn und Verlust ihren Lauf

Zuerst war es Geld dann wertvolle Dinge
die Katze verlor ihren Schal und die Schuh
Vogt Hagen verlor zwei kostbare Ringe
nur die Maus von der Mühle gewann immerzu

Einmal in Fahrt glühten die Wangen
doch wurde der Runde bewusst
was waren schon Geld oder goldene Spangen
nur größerer Einsatz erhöhte die Lust

Es ging um die Mühle um Länder und Seen
sie spielten um manches Gewerbe
sie gingen sehr weit und pokerten hoch
so spielte Baptiste um sein Erbe

Voran nur voran gesagt war gesagt
das Glück war der Teilnehmer Ziel
die Farben so gleich die Karten famos
so setzten sie alle ihr Leben aufs Spiel

Das Auge vom Vogt es regte sich nicht
die Spitzmaus spitzte die Ohren
die Katze rümpfte das Näschen im Licht
der Hund saß steif wie gefroren

Dann deckten sie auf, die Maus gewann
und bat die Verlierer zur Kasse
doch sieh nur der Tod trat ein zur Tür
und hielt in der Hand vier Asse.

 

* * *

Dieses Bild mit dem Titel KATZE UND MAUS hat Regine Roeder-Ensikat gemalt:

 

 

Und diese Geschichte hat Marie Charlé für euch dazu geschrieben:

Das Mitternachtsfestessen

Schon seit Wochen war eine merkwürdige Unruhe im Haus. Seltsame große Pappen wurden ins Haus getragen. Sie lagen als großer, dunkler Berg in der Diele des Hauses, in dem Kater Felix zusammen mit der Großmutter lebte. In der Diele hielt sich Felix am liebsten auf, denn nichts entging seinen wachsamen Augen und Ohren. Von hier kam er in die Küche und in die unteren Wohnräume, aber auch in den Garten, von hier aus führte die Treppe nach oben. Mit dumpfem Knall wuchs der Pappenberg, Lage um Lage.
Felix hatte genug von der Hektik. Er sauste in den ersten Stock und verkroch sich unter Omas Bett. Als es unten wieder ruhig wurde, schlich er ganz vorsichtig und langsam Stufe für Stufe wieder nach unten. Er erstarrte. Dieser Berg war immer noch da. Unbeweglich lag er in der Ecke. Aber er verströmte einen Geruch, einen ganz seltsamen Geruch. Felix verkroch sich unter dem Sessel am Fenster, in dem die Großmutter sonst ihre Zeitung las. Heute war sie irgendwo, Felix hörte sie rumoren. Aber nicht das beschäftigte ihn, sondern dieser Geruch. Felix streckte den Kopf unter dem Sessel hervor und zog die Nase kraus. Er kannte ihn. Aber woher nur, woher? Er erinnerte ihn an irgendetwas, was schon lange zurückliegen musste.
Dann hörte er Schritte. Felix duckte sich wieder unter den Sessel.

Die Kinder von Oma kamen, nahmen den Berg auseinander und bauten aus den Pappen große Behältnisse. Schränke wurden geöffnet, die Sachen aus den Fächern herausgenommen und in die Kartons gepackt. Einige Dinge wurden von allen Seiten beguckt, dann wurde gelacht. Die Kinder schüttelten ihren Kopf und schmissen diese Sachen in einen großen Korb. Manchmal schepperte es. Felix saß da und beobachtete das Treiben mit großen, runden Augen. Viele Gerüche wirbelten jetzt in der Luft herum, aber Felix drehte seine Nase nur nach dem einen. Oma rief: "Kinder, kommt, der Kaffee ist fertig! Ich habe den Tisch auf der Terrasse gedeckt." Die Schritte entfernten sich.

Felix kam unter dem Sessel hervor. Den Bauch fast auf den Boden gedrückt, robbte er zu den Schränken. Einige Kartons waren geschlossen, bei einigen waren die Deckel noch offen. Felix stellte sich auf die Hinterbeine und schaute hinein. Um noch besser sehen zu können, musste er dort hinein. Fest die Hinterbeine abgedrückt, und geschafft! Aber er hatte die Entfernung nicht richtig eingeschätzt. Die linke Hinterpfote blieb an der einen Ecke hängen. Mit einem Plumps landete Felix auf den Sachen. Der Karton wackelte, der Deckel klappte zu. Es wurde dunkel. Felix duckte sich. Jetzt, jetzt wusste er es wieder! In so einem Pappding war er zu Oma gekommen. Nur damals gab es runde Löcher oben, durch die etwas Licht sickerte. Heute war es dunkel. Aber er roch die Außenluft. Felix miaute. Ganz laut rief er nach Oma. Bisher hatte das immer geholfen. Wenn er mal im Wäscheschrank eingeschlossen war, dann erlöste ihn Oma. Jetzt aber half das nicht. Keiner hörte ihn. Er sprang mit voller Kraft nach oben, der Deckel öffnete sich. Felix schoss heraus und bezog sofort wieder seinen sicheren Beobachtungsposten unter dem Sessel.
Auch von oben kamen gefüllte Kartons nach unten in die Diele. Irgendwann wurden sie alle hinausgetragen. Als der Sessel angehoben wurde, griffen sofort zwei Hände nach Felix. Sein Fell sträubte sich. Er fauchte und kratzte. Doch es half nichts, auch er wurde in einen Karton gesetzt, der wackelnd irgendwo hingetragen wurde. Dann merkte er unter sich ein Brummen und horte Geräusche von einem Automotor.

Als sich nach kurzer Zeit der Deckel wieder öffnete, sprang Felix in eine unbekannte Welt. Ängstlich duckte er sich. Aber da kamen Omas Hände und streichelten ihn. Dabei sagte sie: "Keine Angst, Felix! Das ist jetzt unser neues Zuhause. Schau mal, hier stehen deine Futterschalen!" Und dabei schüttete sie eine große Portion in die rote Schüssel. Felix tat ihr den Gefallen und fraß etwas. Dann leckte er sich die Schnauze, sah sich suchend um und ging den Stimmen nach in ein Zimmer. Er blieb in der Tür stehen. Der alte Lesesessel fehlte. Dafür stand dort ein neuer, mit einer Lehne, die bis auf den Boden reichte und keinen Platz zum Unterkriechen ließ. Oma hatte den Telefonhörer in der Hand. Felix hörte, wie sie ihrer alten Freundin Marie von der Wohnung im Hochparterre vorschwärmte, wie wenig Hausarbeit sie jetzt haben würde, wie hell es in der Wohnung sei, nur ein Balkon würde ihr schon jetzt fehlen. Ach, nicht mal ein Balkon, dachte Felix traurig. Er betrachtete die langen Fensterreihen, links und rechts an den Wänden, und wählte sich einen Platz auf dem breiten Fensterbrett.

Das alles geschah vor Monaten im Herbst. Felix sehnte sich noch immer nach der Diele, nach seinem alten Sonnen-Schlafplatz auf dem Schuppendach, nach seinem Kratzbaum im Garten, ja sogar nach dem furchtbaren Micky, dem schwatzsüchtigen Kater aus dem Nachbargarten. Das beste an dieser Wohnung waren und blieben Oma und das Futter.

Mittlerweile war der Winter eingezogen. Noch immer saß Felix - so oft es ging - auf dem Fensterbrett und beobachtete die Welt draußen, in die er jetzt nicht mehr konnte. Nachdem er einmal stundenlang den Keller erkundet hatte, ließ Oma ihn nicht mal mehr ins Treppenhaus. So drückte er seine Nase auf der einen Seite ans Fensterglas, um die Luftschwingungen auf der anderen Seite des Glases zu spüren.

Jeden Abend, wenn Oma in ihrem Schlafzimmer verschwunden war - und sie klinkte jetzt die Tür ein, denn er sollte nicht an dem neuen Bett kratzen - bezog er seinen Platz am Fenster. Er träumte von der schwarzweiß gefleckten Miezi, die er immer unter dem Jasmin-Busch traf, und von der aufregenden Jagd auf die Haselmäuse, die er Miezi als Geschenk vor die Füße legen wollte. Nein, er fraß doch keine Mäuse! Er bekam sein Futter aus den duftenden Händen von Oma. Die Haselmäuse bezogen dann irgendwo anders ihr Quartier. Von heut auf morgen verschwand eines Tages auch Miezi. Und das nur, weil er kein Jagdglück hatte! Die Treulose, dachte er damals oft. Heute weiß er, dass sie von ihren Leuten sicherlich auch in einem Karton in eine neue Wohnung gebracht worden war.

Felix träumte beim Hinaussehen von den vergangenen Zeiten. Da spürte er eine Bewegung im Schnee. Eine kleine kreisrunde Stelle bewegte sich, unten ihr etwas Graubräunliches. Rosa Pfötchen schoben den Schneedeckel zur Seite. Sollte das etwa..., ja, es war eine wunderschöne Haselmaus. Ihr braunes Fell mit dem schwärzlichen Strich auf dem Rücken glänzte im Mondlicht. Felix legte seine Ohren nach hinten. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Zum Sprung bereit, duckte er sich und sprang. Dong! Der dumpfe Ton der zitternden Glasscheibe erfüllte den Raum. So was dummes, er kannte doch Glasscheiben, schon lange. Wieso ließ er sich wieder einmal von seinem Jagdeifer übertölpeln! Er wusste es selbst nicht. Mit empörten Miauen über seine Dummheit nahm er seinen Platz auf dem Fensterbrett wieder ein. Draußen war der Schneedeckel zugeklappt. Nichts erinnerte mehr daran, dass da irgendwo ein Eingang zu einer Mäusehöhle war.

Jede Nacht wartete Felix nun auf die Haselmaus, die sich an seinen Anblick und an seine gelben Augen schon lange gewöhnt hatte. Er kratze und klopfte am Fenster, wenn er von seinem gehobenen Platz aus den Fuchs oder den Marder früher als die Maus bemerken konnte. Sofort verschwand die Maus in ihrem Gang. Nicht einmal eine Mauseschwanzspitze war zu sehen. Wenn die Gefahr vorüber war, zeigten sich die rosa Pfötchen wieder unter dem Schnee.

Entweder wurde die Maus bei so einem riesigen Wachposten übermütig oder der Kater war für einen Moment unachtsam gewesen, jedenfalls geschah es eines Nachts, dass der Fuchs ganz leise hinter der Hausecke hervortrat. Noch nie war er von dieser Seite gekommen. Felix erkannte sofort, in welcher Gefahr das Mäuschen schwebte, das sich ganz seelenruhig vor seinem Höhleneingang putzte. Felix miaute und trommelte mit seinen Vorderpfoten ans Fenster. Doch die Kleine da unten war so mit ihrem Waschgang beschäftigt, dass sie auf nichts reagierte. Der Fuchs kam näher und näher. Felix rannte aufgeregt auf dem Fensterbrett hin und her. Sein Schwanz peitschte die Luft. Die Fuchsschnauze war nur noch eine Barthaarlänge vom Rücken des Mäuschens entfernt. Er musste etwas tun und das sofort.
Felix rannte über die Stühle bis ans äußerste Ende der Sitzbank, die im Winkel zum Fenster stand, nahm Anlauf und sprang mit ganz Kraft, mit dem Kopf, voran gegen die untere Fensterecke. Das Glas klirrte, ein dumpfer Ton folgte.

Felix lag wie leblos auf dem Teppich. Endlich öffnet er seine Augen und erhob sich ganz langsam, lehnte sich einen Augenblick an Omas Sessel, schüttelte sich. Was war passiert? Er sah die gesprungene Stelle im Fensterglas. Sofort wusste er alles wieder. Mit einem Satz war er auf seinem Platz. Der Eingang zur Mausehöhle war noch immer offen. Aber sonst nichts, keine Maus, kein Fuchs, alles war leer. Er konzentrierte sich, um irgendetwas in dem dunklen Mäusegang zu bemerken. Aber es war aussichtslos, viel zu weit weg.
Plötzlich ein leises Piepsen, gleich dicht neben sich. Felix Kopf schnellte in diese Richtung. Seinen Blick heftete er auf das äußere Fensterblech. Da saß das Mäuschen, in seinen zierlichen Pfötchen eine Haselnuss. Es stieß mit der Nuss gerade in das Zentrum der gesprungene Scheibe, ein kleiner Glasstreifen fiel heraus und verschwand hinter dem Heizkörper, der direkt unter dem Fenster angebracht war. Das entstandene Loch war gerade so groß, dass die Nuss hindurchpasste. Kullernd fiel sie ins Zimmer und Felix sprang sofort hinterher. Als er zum Fenster zurückkam, war das Mäuschen verschwunden, der Schneedeckel war auf das dunkle Loch gezogen.
Zufrieden schlich Felix zu seinem Schlafplatz unter dem Blumenständer und fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Jede Nacht fand nun die Maus den Weg über die dicken Stränge des alten Efeus zum Fensterblech hinauf. Sie brachte ihrem Katerfreund eine Nuss und der steckte ihr ein Kügelchen seines Trockenfutters durch das Loch im Glas.

Als der Schnee wegtaute und Oma in der aller ersten Frühlingssonne das Blech am Fenster abfegte, entdeckte sie das kleine Loch im Fenster. Und natürlich auch die Reste des Trockenfutters. Sie schüttelte verwundert den Kopf: Katzenfutter vor dem Fenster und Haselnüsse im Zimmer! Aber erklären konnte sie sich das überhaupt nicht. Sie riss eine Ecke von der Zeitung ab, schmierte an die Ränder etwas Honig und verklebte damit das kleine Loch im Glas. Felix kannte das schon, denn so verarztete sich Oma immer, wenn sie einen kleinen Riss in der Haut und gerade kein Pflaster zur Hand hatte. Naja, dann nahm Oma keinen Honig, sondern ihre Spucke zum Kleben. So, sagte sie, das muss erst einmal halten. Jeden Morgen war das Stückchen Papier heruntergefallen, abends verklebte Oma die Stelle wieder.

Dann wurde es richtig Frühling. Die Temperaturen stiegen an, die Fenster standen offen. Oma hatte schon lange vergessen, dass irgendwann einmal Haselnüsse in ihrem Zimmer und Trockenfutterkügelchen auf dem Fensterbrett herumkullerten. Oma war mit vielen anderen Dingen beschäftigt.
Bis, ja bis sie einmal in einer heißen Sommernacht bei Vollmond nicht schlafen konnte, sich ihren Sessel ans offene Wohnzimmerfenster rückte und die Sterne am Himmel zählte. Beim Einnicken bemerkte sie zwei Augenpaare auf dem Fensterbrett, die großen glühenden Bernsteinaugen ihres Kartäuser Katers und zwischen seinen Vorderpfoten...

Seitdem standen immer zwei Schüsselchen vor dem Fenster, gefüllt mit den köstlichsten Leckereien für Felix und seine kleine Freundin. Als Omas Kinder das zum ersten Mal sahen, schimpften sie sehr. Oma hörte sich alles wortlos an, nickte ganz brav und dachte sich ihr Teil. Dann war die alte Frau mit ihrem Kater wieder allein. In der Nacht sprang Felix aus dem nun stets offenstehenden Fenster und lud seine Freundin wie immer zum Mitternachtsfestessen ein.

* * *

Außerdem haben Kinder der Jugendkunstschule Atrium (Berlin) zur Illustration von Regine Roeder-Ensikat mehrere Geschichten geschrieben. Das Projekt wurde von Frau Eva Pitsch-Schweikert begleitet. Alle Geschichten könnt ihr lesen, wenn ihr auf die folgenden Links klickt:

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Adelchi Riccardo Mantovani hat dieses Bild mit dem Titel FREUNDINNEN gemalt:

 

 

Und Sabine Ludwig hat sich folgende Geschichte dazu ausgedacht:

Die Base mit der langen Nase

Endlich war es Frühling geworden. Die Vögel pickten die frische Saat vom Feld, die weißen Wolken spielten am blauen Himmel Fangen und Dorle durfte zum ersten Mal Söckchen anziehen, weiße Söckchen, die fast schon zu klein waren, denn Dorles Füße waren im Winter ein ganzes Stück gewachsen. Die weißen Schuhe drückten und das rote Kleid zwickte unter den Armen. Aber was machte das schon, wenn draußen die Sonne schien und außerdem Dorles Cousine Hulda zu Besuch kommen sollte. "Wir werden uns als erstes ein Eis kaufen!", rief Dorle. "Nein, wir laufen um die Wette und ich gewinne und dann kaufen wir uns Eis. Hulda nimmt Schokolade und ich nehme Vanille. Aber ich darf mal bei ihr lecken. Und wenn wir damit fertig sind, ziehen wir unseren Puppen Sommerkleider an und setzen sie in die Sonne. Und dann kaufen wir uns noch ein Eis, und diesmal nehme ich Schokolade und Hulda Vanille und ... "
"Dorle!", sagte die Mutter. "Lauf mir nicht immer zwischen den Füßen rum, kannst du nicht mal still sitzen?"
"Aber ich bin so aufgeregt! Ich hab Hulda schon ganz lange nicht gesehen!"
"Magst du sie vom Bahnhof abholen? Johann spannt grad den Wagen an."
Dorle setzte sich zu Johann auf den Kutschbock, die Peitsche knallte und los ging's. Der Wagen rumpelte zwischen den frischgepflügten Feldern entlang und über die kleine Brücke.
"Was meinst du, Johann? Sollen Hulda und ich erst um die Wette laufen und dann unsere Puppen anziehen oder uns erst ein Eis kaufen oder ...?"
"Mädchenkram", brummte Johann und nahm den Hut ab, um sich mit einem großen karierten Tuch den Schweiß von der Stirn zu wischen, denn es war sehr warm. "Und sitz endlich still, sonst landen wir noch im Graben."
Aber Dorle konnte nicht still sitzen, sie wackelte und zappelte, und als sie am Bahnhof angekommen waren, lief sie den Bahnsteig hoch und wieder runter und wieder hoch.
Endlich rollte dampfend und fauchend der Zug ein. Dorle lief an den Waggons entlang. Keine Hulda war zu sehen. Doch jetzt stieg ein Mädchen aus dem letzten Waggon. Ein etwas dickliches Mädchen in einem braunen Kleid. Das Kleid erkannte Dorle sofort, es hatte weiße Knöpfe auf der Brust, die aussahen wie Mandeln auf einem Lebkuchen. Hulda trug immer ihr Lebkuchenkleid, wenn sie zu Besuch kam, aber das Mädchen war nicht Hulda. Konnte gar nicht Hulda sein. Es hatte nämlich eine Brille!
"Sie ist nicht gekommen", sagte Dorle enttäuscht und ging zum Ausgang.
"Dorle! Dorle!", rief das Mädchen. "Warte doch!"
Es war doch Hulda. Eine Hulda mit Brille. Sie sah ganz fremd aus, ganz anders als die Hulda, an die Dorle sich erinnerte und auf keinen Fall sah sie aus wie jemand, mit dem Dorle ein Eis essen wollte, egal ob Schokolade oder Vanille.
"Warum hast du eine Brille?", fragte Dorle. "Du siehst doof aus."
"Und warum hast du so eine lange Nase?", fragte Hulda. "Das sieht erst recht doof aus."
Dorle fasste sich an die Nase, an ihre kleine, etwas knubbelige Stupsnase. Aber die war nicht mehr klein und knubbelig, sie war lang und spitz.
"Und ich dachte, nur meine Füße seien gewachsen", sagte Dorle.
"So was passiert eben", sagte Hulda. "Die eine bekommt eine lange Nase und die andere eine Brille."
"Aber du kannst deine Brille abnehmen, meine Nase sitzt fest", sagte Dorle und zog daran.
Hulda zuckte mit den Schultern. "Wenn ich meine Brille abnehme, sehe ich nichts. Und das wäre schade, denn ich würde gern das Eis sehen, das wir uns gleich kaufen."
"Und riechen", sagte Dorle.
"Und schmecken", sagte Hulda.
"Wenn wir beide daran lecken!", rief Dorle und streckte die Zunge raus.
Es wurde ein wunderschöner Tag, leider gab es kein Schokoladeneis, aber Erdbeer schmeckt schließlich auch.

 

* * *

 

Evelin hat für euch dieses Bild gemalt. Den Titel FREUNDSCHAFT IN MOLL hat sie sich zusammen mit ihrer Freundin Farriba ausgedacht:

 

 

Und Evelins Freundin Farriba Schulz hat euch diesen Text dazu geschrieben:

Freundschaft in Moll

Emma war in den Ferien wieder einmal zu ihrer Oma Emile gefahren. Emma liebte ihre Oma. Wenn Emma kam, dann kochte sie all ihre Lieblingsessen und sie waren ständig unterwegs. Eine Ausstellung hier, Kino dort, schwimmen gehen oder im Winter Schlittschuh fahren auf dem Kanal. Emmas Oma war über all dabei, und das gefiel ihr.
Dieses Mal freute sich Emma aber auf noch jemand anderen. Luzie, die Neue aus ihrer Klasse, war auch nach Berlin gefahren. Sie besuchte ihren großen Bruder, der gar nicht weit entfernt von Emmas Oma lebte.
Eine Eisdiele war ihr erster Treffpunkt. Luzie stand schon schleckend davor.
"Hier, probier mal, schmeckt echt lecker!"
Die Eistüte wanderte zwischen den beiden Mädchen hin und her. So schlenderten Luzie und Emma die Straße hinunter.
"Sag mal, wohin gehen wir eigentlich?", fragte Emma.
"Weiß nich!", zuckte Luzie mit den Schultern. "Ich kenn da ein verlassenes altes Haus, das könnten wir uns ja mal von innen anschauen. Vielleicht entdecken wir ja was Interessantes. Hast du Lust?"
"Ob ich Lust hab? Na, klar!"
Graue Fassade, die in sich bröckelte. Fenster mit altem morschem Holz so verbarrikadiert, dass man nicht hineinsehen konnte.
Langsam und vorsichtig drückten sie gemeinsam die knarrende Tür auf und traten ein. Drinnen war es ziemlich dunkel. Nur an manchen Stellen kam das Licht durch.
Emma zog Luzie über einen von Müll bedeckten Boden weiter.
"Ich find's unheimlich hier", flüsterte Luzie.
"Ich dachte, du warst hier schon mal!", murmelte Emma.
"Ne, ich hab mich noch nie getraut."
Plötzlich blieb Emma abrupt stehen und stieß Luzie den Ellbogen in die Seite.
"Autsch!", raunte die.
"Pscht, guck mal da hinten! Siehst du auch den Hund?"
Luzie nickte Emma stumm zu.
Der Hund hatte seine Ohren angelegt, den Kopf tief unten nach vorne gestreckt und je näher die beiden kamen, desto lauter wurde sein Knurren.
"Ich glaube, wir sollten ihn lieber in Ruhe lassen!" tuschelte Luzie zu Emma hinüber. "Komm, lass uns von hier verschwinden!"
"Verschwinden?", entgegnete Emma entrüstet. "Und was ist mit dem Hund? Sollen wir den einfach hier lassen?"
Luzie blickte etwas betreten auf den Boden, dann zur Tür, wieder zum Hund und antwortete sehr verhalten:
"Aber er gehört uns doch nicht!"
"Na und, aber wir können ihm doch trotzdem was zu Fressen organisieren" meint Emma. "Der hat bestimmt Hunger, so verwahrlost wie der aussieht."
Emma packte Luzie an der Hand, zog sie aus dem Haus hinaus, in die nächste Fleischerei hinein und wenig später standen Emma und Luzie wieder vor der Tür des alten zerfallenen Hauses. Doch diesmal mit ein paar Würstchen und einem großen Knochen unterm Arm.
Sie gingen hinein und legten dem Hund die Beute mit einigem Abstand auf den Boden. Dann setzten sie sich auf ein altes durchgesessenes Sofa, das mitten im Raum stand.
Der Hund wartete nicht lange. Er schlich sich an und machte sich ausgehungert über das Fressen her.
"Siehst du, Luzie, der hat wirklich Hunger!"
"Mmmh", entgegnete Luzie fast abwesend.
"Was?", fragte Emma neugierig, "Was ist?"
"Wie kommt so ein Hund nur hier her?", fragte Luzie fast traurig.
"Ich weiß nicht. Vielleicht ist er ja weggelaufen?", war Emmas erste Idee.
"Oder vielleicht ist er auch ausgesetzt worden!"
Emma und Luzie saßen auf dem Sofa, rätselten über die Herkunft des Hundes und vergaßen darüber ganz die Zeit.
Plötzlich sprang Emma vom Sofa auf, und der Hund spitzte sofort die Ohren.
"Oh nein! Wie viel Uhr ist es? Ich muss los! Ich hab' meiner Oma versprochen, mit ihr den Nachmittag zu verbringen."
"Tschüs, Hund! Vielleicht, ich meine, wir …", Luzie stammelte ein paar Formulierungen, die Emma mit einem Satz beendete:
"Wir kommen wieder, mach's gut, Hund!"
Sie drehten sich um und wollten gehen. Doch der Hund schnappte sich seinen Knochen und folgte ihnen. Emma und Luzie blickten sich an, blickten zu dem Hund, zuckten mit den Schultern und gingen weiter. Und der Hund ging auch weiter.
"Du kannst nicht mitkommen! Wir gehen jetzt nach Hause. Wir kommen aber sicher wieder, o.k.? Morgen, morgen kommen wir wieder", wandte sich Luzie an den Hund.
Doch der hörte nicht auf sie, folgte ihnen einfach weiter. Auch als sich Emma und Luzie von einander verabschiedeten, getrennte Wege gingen, ging der Hund weiter. Jetzt folgte er Emma.
"Du kannst nicht mit", sagte Emma. "Ich kann dich nicht zu meiner Oma mitnehmen. Geh wieder zurück, wir kommen dich morgen wieder besuchen."
Emma verschwand im Haus ihrer Oma, doch der Hund ging nicht weg. Er blieb einfach vor dem Haus sitzen!
Als Emma und ihre Oma Emile wenig später gemeinsam das Haus verließen, saß dort noch immer der Hund.
"Du bist ja immer noch da!" wunderte sich Emma mit einem breiten Grinsen auf ihrem Gesicht.
"Du kennst den Hund?" Emile wunderte sich noch mehr als Emma.
"Ja, Omi. Luzie und ich haben heute …", fing Emma an und erzählte ihrer Oma die ganze Geschichte von dem Haus, den Würstchen und dass der Hund jetzt wohl immer bei ihr bleiben wollte.
"Oma, können wir uns nicht um ihn kümmern?", bettelte Emma.
"Ein Hund in der Wohnung? Das ist doch nichts für ihn. Der braucht doch …." Emma unterbrach ihre Oma:
"Was der Hund jetzt braucht, das ist erst einmal nur etwas zu essen und einen Platz zum schlafen. Ach, bitte, Omi. Bitte, bitte, liebes Omilein. Nur so lange bis wir ein Zuhause für ihn gefunden haben."
"Aber, vielleicht gehört er jemand?" überlegte Emmas Omi. "Na, eine Marke hat er jedenfalls nicht. Aber wenn dieser Hund jetzt bei dir bleibt, dann auf keinem Fall in diesem Zustand! Zuerst musst du ihn waschen!"
"Oh, danke Oma! Vielen Dank!" rief Emma. "Ich ruf' gleich Luzie an. Die will bestimmt mit dabei sein."
Keine fünfzehn Minuten später standen Luzie, Emma und Emile im Badezimmer und verwandelten den Hund in ein stattliches Tier.
"Oma, kann der Hund jetzt in deiner Wohnung bleiben oder muss ich ihn draußen irgendwo unterbringen?"
"Nur wenn er einen Namen hat", sagte Emile. "In meine Wohnung kommt keiner ohne Namen."
"Wie wär's denn mit Fritz?", schlug Luzie vor.
"Nein!" Emma schüttelte den Kopf
"Und wie gefällt euch der Name Dreifuß? Mit einem ‚Dreifuß' könnte ich leben", meinte Emile verschmitzt.
Alle waren einverstanden und so blieb Dreifuß für's erste bei Emile. Emma und Luzie hatten einen Begleiter für ihre Abenteuer gefunden und Emile einen Gefährten bei ihren Spaziergängen im Park.
Doch die Ferien gingen zu Ende, und Emma konnte ihn unmöglich mit nach Hause nehmen. Und deshalb standen Emma, Luzie und Emile erneut vor der großen Frage, wohin sie Dreifuß bringen sollten. Ins Tierheim wollten sie ihn auf keinen Fall bringen. Sollten sie eine nette Familie für ihn finden? Aber dafür hatte sich Emile schon zu sehr an Dreifuß gewöhnt.
"Eigentlich hat er doch schon ein Zuhause", meinte Emile deshalb nach einigem Überlegen. "Dreifuß hat sich sein Zuhause selbst ausgesucht und wir haben uns eh schon aneinander gewöhnt."
Alle waren mit dieser Lösung glücklich, nicht zuletzt Emile, die auf ihre alten Tage noch einen Mitbewohner gefunden hatte.
Emma und Luzie verließen Berlin wieder, versprachen aber, schon allein wegen Dreifuß sehr bald wieder zu kommen.
Eines Tages kam Emma ganz aufgeregt in die Schule.
"Luzie, ich muss dir unbedingt diesen Brief hier und das Foto zeigen! Der ist von meiner Oma. Hör dir das mal an:
"Liebe Emma, ich bin Dir sehr dankbar, dass Du und Luzie mir Dreifuß hinterlassen habt. Nicht nur Dreifuß ist mir ans Herz gewachsen, sondern durch ihn habe ich eine neue Freundin gewonnen. Sie heißt Henriette und wir verbringen jetzt viel Zeit miteinander. Denk nur, Dreifuß hat sich im Park einfach neben sie gesetzt und sie so treu angeblickt, dass wir beide lachen mussten. Ich habe Dir ein Foto von uns dreien beigefügt. Und ich finde, wenn ich dich und Luzie und mich und Henriette vergleiche, kann ich eine gewisse Ähnlichkeit feststellen. Heb es auf, und vergleiche es in sechzig Jahren noch einmal! Alles Liebe, Deine Oma Emile."

 © Rossipotti No. 11, April 2006