[Diese Seite drucken]

Etwas anderes

Finanzkrise
und warum die ganze Aufregung

 

Hallo Kinder!

Ich habe gehört, dass Rossipotti ein neues Literaturlexikon heraus gibt, in dem rein gar nichts zum Thema Finanzkrise steht. Na gut, habe ich mir gedacht. Das ist ja auch etwas anderes als Literatur und muss deshalb dringend in meiner Rubrik behandelt werden. Deshalb will ich euch heute etwas über das 1 x 1 der Finanzkrise erzählen.

Bisher will noch niemand so recht von einer allgemeinen Wirtschaftskrise sprechen, lieber von einer Finanzkrise, das hört sich nicht so bedrohlich an. Tatsächlich ist die Finanzwirtschaft ein Teil unseres Wirtschaftssystems, das ich jetzt zur Erläuterung in die beiden Pakete Realwirtschaft und Finanzwirtschaft einteile:

Realwirtschaft

Die Realwirtschaft stellt reale, das heißt wirkliche Dinge her: Fahrräder, Telefone, Brezeln oder Bücher. Diese Produkte kann man anfassen, kaufen und verkaufen. Man könnte sie auch tauschen: 100 Brezeln gegen ein Fahrrad oder fünf Bücher für ein Telefon. Es hat sich als praktischer erwiesen, als Zahlungsmittel Geld einzusetzen, statt die Produkte zu tauschen, weil man Geld besser herumtragen kann und es nicht schlecht wird. In Brasilien, wo ich herkomme, heißt die Währung übrigens nicht Euro sondern Real. Der Name soll daran erinnern, dass man mit dem Geld wirkliche Dinge kaufen kann.

Als unpraktisch hat es sich jedoch erwiesen, das Geld immer nur zuhause, im Laden oder im Fabriktresor liegen zu lassen. Ein Einbrecher könnte es mitnehmen, Feuer könnte es zerstören und es würde kein bisschen mehr werden. Geschäftstüchtige Leute haben sich deshalb die Finanzwirtschaft ausgedacht.

Finanzwirtschaft

Die bekanntesten Unternehmen der Finanzwirtschaft sind Banken. Eine Bank bewahrt für mich das Geld auf und verspricht mir sogar ein paar Zinsen für mein angespartes Geld. Wenn ich heute 100 Euro hinbringe, kann ich in einem Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit wieder 103 Euro abheben. Auf der anderen Seite verleiht die Bank auch Geld an Leute, die dringend welches benötigen. Wenn ein Fabrikbesitzer beispielsweise eine neue Werkhalle bauen will, muss er das Geld nicht vorher sparen, sondern er leiht es sich von der Bank. Dafür bezahlt er eine Leihgebühr an die Bank, einen Kreditzins. Der Fabrikbesitzer muss jetzt nur noch dafür sorgen, dass er mit seiner Produktion mehr Geld verdient, als er der Bank zurück zahlen muss und schon kann er Gewinn machen. Gewinn macht übrigens auch die Bank, die das Geld zu höheren Zinsen verleiht, als sie es von mir geliehen hat.

Weil die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft in nichts nachstehen möchte, nennt sie ihre Dienstleistungen ebenfalls Produkte. Den Kredit habe ich eben schon beschrieben, aber es gibt noch weit mehr Produkte als nur Kredite. Da gibt es beispielsweise die Aktien, das sind Anteilsscheine an einer Firma. Eine Firma verkauft Teile von sich in Form von Aktien und jeder kann sich ein kleines Stückchen der Firma kaufen. Das Interessante an den Aktien ist nun, dass sie in ihrem Wert steigen, wenn es der Firma besonders gut geht oder deren Anteilsscheine besonders beliebt sind. So könnte ich aus meinen 100 Euro beispielsweise in einem Jahr, wenn ich Glück habe, 150 Euro machen. Wenn ich Pech habe, verlieren die Aktien jedoch an Wert und aus meinen 100 Euro werden nur 50 Euro oder noch weniger. Aktiengeschäfte sind deshalb immer mit einem großen Risiko verbunden.
Noch komischer wird das Jonglieren mit den Geldmengen, wenn ich nicht mal mehr Anteilsscheine an realen Firmen kaufe, sondern wenn ich nur noch Wetten abschließe, wie sich der Aktienkurs entwickeln wird. Weil ich vermute, dass der Aktienkurs einer bestimmten Firma fallen wird, wette ich mit jemandem, der sagt, der Aktienkurs würde steigen.

Bei diesen ganzen irrealen Produkten blickt die Finanzwirtschaft selbst nicht mehr durch. Und weil sie die ganze Zeit damit beschäftigt sind, das Geld hin und her zu schieben, fällt ihnen gar nicht auf, dass ihre Finanzprodukte gar nichts mehr mit dem echten Leben zu tun haben. Sie kaufen Wetten auf die Rückgabe von Kreditzinsen für Anteilsscheine an Firmen zur Beschaffung von billigen Immobilienkrediten und meinen, damit ein tolles Schnäppchen gemacht zu haben. Irgendwann platzt dann einmal die ganze Finanzblase, Banken gehen nacheinander pleite und es bleibt nur wertloses Papier übrig.

Kuddelmuddelwirtschaft

Warum interessiert es nun die Realwirtschaft, was mit der Finanzwirtschaft los ist? Man sollte meinen, solange es noch Geld zum Bezahlen der echten Produkte gibt, braucht man keine Finanzwirtschaft. Nun ist es aber leider so, dass sich die Realwirtschaft zu sehr an die Finanzwirtschaft gekettet hat. Die Finanzwirtschaft ist nicht nur eine nette Dienstleistung, die gelegentlich in Anspruch genommen wird, sie setzt die Maßstäbe für die Gewinnerwartungen der Realwirtschaft. Mit reinen Geldgeschäften, lässt sich viel schneller viel Geld verdienen, als mit echten Gütern. In den letzten Jahren haben deshalb die Firmen der Realwirtschaft lieber ihr Geld in zweifelhafte Geldgeschäfte investiert, als beispielsweise in den Ausbau oder die Verbesserung ihrer Unternehmen. Geht eine Bank jetzt bankrott, also pleite, zieht sie das Unternehmen deshalb gleich mit in den Ruin. Die Folge ist dann eine allgemeine Wirtschaftskrise. Die Realwirtschaft sitzt also selbst oben auf der Finanzblase und zittert, ob die Blase noch ein Weilchen hält.

Rettungspakete

Die verschiedenen Regierungen dieser Welt setzen deshalb alles dran, die Finanzwirtschaft am Leben zu halten und die Wirtschaftskrise zu verhindern. Die Finanzblase darf nicht komplett platzen und deshalb wird an allen Ecken und Enden geflickt und Geld nachgeschoben. Das einzig Beruhigende ist, dass es sich dabei nicht um echtes Geld handelt. Das Geld, das die Regierungen in die Hand nehmen, wird auch nur als Kredit von staatlichen Banken bereit gestellt. Wer diese Kredite jemals zurück zahlen muss, steht bisher noch in den Sternen.

Es grüßt euch ganz real

Juan aus Brasilien

 © Rossipotti No. 20, April 2009