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Rossipottis 11 Uhr Termin

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Quiz:
Die Zeiten ändern sich, das, was die Menschen bewegt, bleibt oft erstaunlich gleich.
Bekommt ihr heraus, welcher der Texte heute, welcher früher geschrieben wurde?
Die Lösung findet ihr unter dem jeweiligen Text.

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Liedchen

 

Die Zeit vergeht,
Das Gras verwelkt,
Die Milch entsteht,
Die Kuhmagd melkt.

Die Milch verdirbt.
Die Wahrheit schweigt.
Die Kuhmagd stirbt.
Ein Geiger geigt.

 

lasst mich mensch sein

 

lasst mich mensch sein denkt der dino
lasst mich rein ins spielkasino
sumpflandschaften tu ich hassen
ich will endlich geld verprassen

erst macht ich die nacht zum tag
säh hundertmal jurassic park
ich wär DER dinosaurier
und zwarn besonders schlaurier

nen feinen anzug möcht ich tragen
reichlich porzellan zerschlagen
alles um mich ging in scherben
ich finds besser als auszusterben

 

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Das Gedicht ist relativ alt und von
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
geschrieben.

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Das Gedicht ist neu und von
arne rautenberg (*1967) geschrieben.
Arne Rautenberg hat Rossipotti dieses Gedicht netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

 

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Fabel von Anderland und Soistsland

 

Vor vielen Jahren wählten sich die Tiere von Anderland eine Antilope zum König. Sie wollten nicht immer wieder einen Löwen zu ihrem Herrscher haben, denn sie sagten sich, wir werden es einmal mit einem versuchen, der die Schönheit mehr liebt als die Rauferei und anmutige Manieren höher schätzt als protziges Gehabe.

Der neue König gefiel den meisten Untertanen sehr gut, denn er zog Frieden dem Krieg, Rechtschaffenheit der Durchtriebenheit vor, und all seinen Reichtum steckte er lieber in aufwendige Feste und Lustbarkeiten, statt ihn für Waffen und Kriegshändel auszugeben. Die schönen Künste blühten im Land, sogar die rauhbeinigen Tiger, die gefräßigen Löwen, die Haifische, die Füchse waren's zufrieden, solange ihnen niemand verwehrte, so zu leben wie es ihnen gemäß war.


Illustration: Annette Kautt

Nun gab es in der Nachbarschaft von Anderland das Königreich Soistsland, regiert von einem Bären. Auch die Soistsländer waren auf den Trichter gekommen, sich nicht immer von einem Löwen regieren zu lassen. Und wenn ihr König nur halb so vernünftig gewesen wäre wie der von Anderland, dann hätten die beiden Reiche friedlich nebeneinander leben können. Aber ihr König Braunbär hatte sich in den Kopf gesetzt, sein Nachbarkönig müsste seine schöne Tochter heiraten. Es stimmte, sie war sehr schön, aber sie hatte nicht vor, nach Anderland zu ziehen, denn sie war in einen Tanzbär verliebt, den sie im Zirkus gesehen hatte.


Illustration: Annette Kautt

Das hatte eine Taube ausgekundschaftet, die der Hofnarr, ein fröhliches Zebra, am anderlandischen Hof eigens für verschwiegene Erkundungen hielt. Sie war sehr unscheinbar, aber sehr klug, konnte lesen und viele Dialekte verstehn, sogar Gedanken erraten und in Herzen schauen. So hatte sie erfahren, dass die Königstochter betrübt war, einen Mann heiraten zu sollen, den sie nicht liebte. Und, was nicht weniger schlimm war, die Hochzeit, die ihr Vater einfädeln wollte, war ihm nur wichtig für sein politisches Ränkespiel. Er wollte seine Macht auf Anderland ausweiten. Das alles erzählte die Taube dem Raben, der der Ratgeber des Hofnarren war.

Hitzköpfig, wie er war, hielt der König von Soistsland es eines Tags nicht mehr aus, in eigner Person wollte er seinem Nachbarn deutlich machen, wie nützlich die Verbindung beider Reiche sei. Es könne nicht angehn, wollte er ihm freiweg ins Gesicht sagen, seine Tochter als Gemahlin auszuschlagen. Er fühle sich beleidigt und herausgefordert. Drum hätte er seine Soldaten dabei, wenn man so wolle, ein kleines Heer. Er könne die Schmach der Abweisung nicht länger ertragen, also wolle er seinem Anerbieten Nachdruck verleihen. So sagte er, ohne sich lange mit Begrüßungsritualen aufzuhalten. Der Hofnarr, neben seinem König sitzend, kannte nun dank des Berichts des Raben alle finsteren Pläne des Königs von Soistsland. Zum Glück verstand er den Dialekt, den man seinerzeit in Soistsland sprach. Und da er ein gewitzter und weiser Hofnarr war, wollte er diese grobe Eröffnung seinem Herrscher ersparen. So übersetzte er: "Sei gegrüßt von mir und meinem Volk, König von Anderland." Der war froh das zu hören, aber dachte bei sich: Obwohl das Betragen meines Gastes sehr unhöflich ist, will doch ich ihm meine Ehrerbierung zeigen. Er machte eine unmißverständliche Bewegung mit dem Oberkörper. Das gab's nichts zu übersetzen, jedermann konnte es sehn. Der König von Anderland begrüßte höflich seinen Rivalen.


Illustration: Annette Kautt

Der war verdutzt und erbost und sagte, ein ganzes Heer wartet hinter dem Berg, wenn du mich verspottest, werde ich dich überfallen und derlei Ungezogenheiten. Das Zebra dolmetschte: "Ich habe viele Karren beladen mit Geschenken. Verzeih, wenn ich mich nicht verbeugte. In der Aufregung vergaß ich ganz das gebotene Zeremoniell."
Der Gastgeber machte eine freundliche Geste mit dem Arm, beinahe so, wie wenn er seinen Besucher umarmen wollte. Der Hofnarr übersetzte ziemlich genau die Worte der Antilope: "Das versteh ich sehr gut. Du bist noch hitzigen Gemüts. Das schreckt mich nicht." Das war für den Braunbären zu viel. Er fühlte sich gefoppt und bloßgestellt. Er machte einen ungestümen Griff zur Brust. Dort hatte er einen Dolch verborgen, womit er seinen Gegner töten wollte. Man hätte es aber auch so deuten können: Da greift sich einer ans Herz, weil er hilflos ist und überwältigt in seiner Verwirrung.

Die gutmütige Antilope wollte nicht nachstehn, und im nu, so schnell, dass niemand der Umstehenden es recht begriff, umarmte sie den Bären. Und dieser Augenblick war sein Tod. Die machtvolle Umarmung ließ das Herz des bösen Braunbären stillstehn. Er bekam ein ehrenvolles Geleit bis zu seinen Soldaten. Als sie ihren Herrn tot auf einer Bahre liegen sahn, überkam sie Angst und Schrecken. Führerlos, kopflos stob das Heer auseinander.

Wie ist das möglich? fragte der König seinen Hofnarren. Es ist möglich, antwortete der, sie führten nichts Gutes im Schilde. Und er erzählte seinem König den wahren Hintergrund. Der zog seinen Hofnarren, der auch sein Vertrauter und Dolmetsch war, liebevoll am Ohr und sagte:
"Ich hab's geahnt, alles. Hätte ich sonst so schnell sein können?"
Die sprachgewandte Taube und der kluge Rabe durften noch am gleichen Abend links und rechts vom Zebra sitzen an der königlichen Tafel.

Die älteste Tochter des Braunbären wurde die neue Königin von Soistsland, und da sie verständig war, machte sie ihrer jüngeren Schwester keinerlei Vorschriften.

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Die Fabel ist relativ neu und von Rolf Hannes (*1936) geschrieben.
Rolf Hannes hat Rossipotti diese Fabel netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

 

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Taube hält den Feind ab

 


Illustration: Annette Kautt

Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt Höxter oder Huxar im Korveischen von den kaiserlichen Soldaten eingeschlossen und konnte nicht eingenommen werden; endlich kam der Befehl, sie sollte mit schwerem Geschütz geängstigt und gezwungen werden.

Wie nun bei einbrechender Nacht der Fähndrich die erste Kanone losbrennen wollte, flog eine Taube und pickte ihm auf die Hand, so dass er das Zündloch verfehlte. Da sprach er: "Es ist Gottes Willen, dass ich nicht schießen soll" und ließ ab. In der Nacht kamen die Schweden, und die Kaiserlichen mussten abziehen; so war die Stadt diesmal gerettet.

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Die Sage ist alt und wurde von Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) aufgeschrieben.

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die uga-sprache

 

uga heißt ich liebe dich
uga uga heißt verlass mich nicht
uga uga uga heißt vielleicht ja vielleicht nein
uga uga uga uga heißt du bist gemein
uga uga uga uga uga heißt ich kann nicht mehr
uga uga uga uga uga uga heißt nimms nicht so schwer
uga uga uga uga uga uga uga heißt du hast gut lachen
uga uga uga uga uga uga uga uga heißt nun lass es krachen
uga uga uga uga uga uga uga uga uga heißt wo ein ross da ein reiter
uga uga uga uga uga uga uga uga uga uga heißt das gute leben geht jetzt weiter

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Das Gedicht ist neu und von arne rautenberg (*1967) geschrieben.
Arne Rautenberg hat Rossipotti dieses Gedicht netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

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A.E.I.O.U.

 

A. ist derer, die nicht wollen.
E. ist derer, die nicht sollen.
I. ist derer, die da zagen.
O. ist derer, die da klagen.
U. ist derer, die da plagen.

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Das Gedicht ist sehr alt und von Friedrich Logau (1604-1655) geschrieben.

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Rotkäppchen

 


Illustration: Ludwig Richter

Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet, und weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: "Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiß nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Ecken herum."

"Ich will schon alles gut machen", sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. "Guten Tag, Rotkäppchen", sprach er. "Schönen Dank, Wolf." "Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?" "Zur Großmutter." "Was trägst du unter der Schürze?" "Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugut tun und sich damit stärken." "Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?" "Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen", sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: 'Das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte: du musst es listig anfangen, damit du beide erschnappst.' Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: "Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald."

Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, dachte es: "Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme", lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief darnach, und geriet immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die Türe. "Wer ist draußen?" "Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf." "Drück nur auf die Klinke", rief die Großmutter, "ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen."
Der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf, und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann tat er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.


Illustration: Ludwig Richter

Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und als es so viel zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, dass die Türe aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, dass es dachte: "Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir's heute zumut, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!" Es rief "Guten Morgen", bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. "Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!" "Dass ich dich besser hören kann." "Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!" "Dass ich dich besser sehen kann." "Ei, Großmutter, was hast du für große Hände?" "Dass ich dich besser packen kann." "Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!" "Dass ich dich besser fressen kann." Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.

Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: 'Wie die alte Frau schnarcht, du musst doch sehen, ob ihr etwas fehlt.' Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er, dass der Wolf darin lag. "Finde ich dich hier, du alter Sünder", sagte er, "ich habe dich lange gesucht." Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben und sie wäre noch zu retten: schoss nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief: "Ach, wie war ich erschrocken, wie war's so dunkel in dem Wolf seinem Leib!" Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, dass er gleich niedersank und sich totfiel.

Da waren alle drei vergnügt; der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte: "Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir's die Mutter verboten hat."

Es wird auch erzählt, dass einmal, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen. Rotkäppchen aber hütete sich und ging gerade fort seines Wegs und sagte der Großmutter, dass es dem Wolf begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös aus den Augen geguckt hätte: "Wenn's nicht auf offner Straße gewesen wäre, er hätte mich gefressen." "Komm", sagte die Großmutter, "wir wollen die Türe verschließen, dass er nicht herein kann." Bald darnach klopfte der Wolf an und rief: "Mach auf, Großmutter, ich bin das Rotkäppchen, ich bring dir Gebackenes." Sie schwiegen aber still und machten die Türe nicht auf: da schlich der Graukopf etliche Mal um das Haus, sprang endlich aufs Dach und wollte warten, bis Rotkäppchen abends nach Haus ginge, dann wollte er ihm nachschleichen und wollt's in der Dunkelheit fressen. Aber die Großmutter merkte, was er im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind: "Nimm den Eimer, Rotkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog." Rotkäppchen trug so lange, bis der große, große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den Hals so lang, dass er sich nicht mehr halten konnte und anfing zu rutschen: so ruschte er vom Dach herab, gerade in den großen Trog hinein, und ertrank. Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Haus, und tat ihm niemand etwas zuleid.

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Das Märchen ist alt und wurde von Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) aufgeschrieben.

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Eine märchenhafte Geschichte

Es war einmal vor langer Zeit. Nämlich gestern Mittag. Da schickte mich meine Mama mit einer goldenen Kugel und einem Knüppel im Sack zur Großmutter.
"Bleib aber schön auf dem Bürgersteig. Du weißt, der Wolf überfährt nicht nur sieben Geißlein."


Illustration: Ludwig Richter

Ich machte mich auf den Weg und nachdem ich sieben Gänseblümchen auf einen Streich gepflückt hatte, machte sich auf einmal ein kleiner Rauhaardackel an mich ran. Als er mich nach der Adresse meiner Großmutter fragte, antwortete ich ihm: "Bei den Zwergen hinter den sieben Bergen."
Das war natürlich eine List von mir, denn meine Großmutter wohnt schon hinter dem dritten Berg. Aber ich hatte den Rauhaardackel unterschätzt. Als ich ankam, hatte er bereits das halbe Lebkuchenhaus meiner Großmutter aufgefressen. Da diese nicht zu sehen war, dachte ich, der Dackel hätte sie auch gefressen. Das war aber ein Irrtum. Denn meine Großmutter war, wie ich später erfuhr, mit einem gewissen Hans im Glück durchgebrannt - einer zweifelhaften Figur, die ihr das Goldene vom Himmel versprochen hatte und in Hameln mit ihr Ratten fangen wollte.
Da der Dackel in dem halbaufgefressenen Lebkuchenhaus auf einmal so riesige Ohren und ein noch riesigeres Maul bekam, versteckte ich mich sicherheitshalber im Uhrenkasten. Von diesem Trick hatte ich irgendwo mal gehört.
Bei mir half dieser Trick allerdings nicht. Der Dackel fand mich auf Anhieb und fraß mich auf.
Ich wartete eine Weile, aber es kam kein Jäger vorbei, um dem Dackel den Bauch aufzuschneiden. Jäger gibt es anscheinend nur in Märchen. Zum Glück hatte ich eine Schere dabei. In solchen Situationen habe ich grundsätzlich eine Schere dabei.
Das tapfere Schneiderlein half mir hinterher, den Dackel wieder zuzunähen. Aber das hätten wir uns sparen können, denn als der Dackel aufwachte, hat er sich vor Wut sofort in zwei Stücke zerrissen. Spät in der Nacht wurden die beiden Dackelhälften noch einmal gesehen, wie sie wild um ein Lagerfeuer tanzten.
Auf dem Heimweg legte ich mich in eine Rosenhecke, schloss die Augen und wartete auf den Prinzen. Der hat sich allerdings ziemlich verspätet. Ich wollte ihm schon eine Szene machen. Aber dann habe ich mich doch von ihm küssen lassen. Wir wurden beide glücklich. Er nahm einen meiner kleinen goldenen Schuhe und ich sein Pferd. Damit ritt ich in irgendein Schloss, wo ich die Kissen aufschüttelte, Frau Holle heiratete und schließlich erschöpft auf sieben Matratzen einschlief.
Und wenn ich dann gestorben bin, so war das nur ein Märchen.

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Das Märchen ist neu und von Peter Friedrich (*1965) geschrieben.
Peter Friedrich hat Rossipotti dieses Märchen netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

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 © Rossipotti No. 24, Juli 2011