Realismus


Realismus als Begriff

Man kann darüber streiten, was Realismus wirklich ist. Es ist mit solchen Begriffen oft so, dass sie nicht ganz feststehen. Oft sind gerade die Autoren, die als Realisten bezeichnet werden, überhaupt nicht der Meinung, Realisten zu sein.
Das Problem geht schon damit los, zu bestimmen, was Realität, also Wirklichkeit, ist.
Gehört dazu zum Beispiel, was ich letzte Nacht geträumt habe?
Manche glauben an Gott, ist er deshalb Teil der Realität?
Wenn ich ein Eis esse, ist es ziemlich real. Aber wenn ich es gegessen habe, ist das Eis, das es dann nicht mehr gibt, obwohl ich mich noch gut daran erinnere, noch real?

Im Prinzip will der Realismus die Wahrheit darstellen. Deshalb vermeidet er als Thema das Seltene und Unwahrscheinliche. Man möchte so malen, wie die Natur aussieht und nicht schöner oder spektakulärer. Man kann also auch eine Müllecke mitzeichnen, die man als idealistischer Autor eher weggelassen hätte.
Aber kann man überhaupt so malen wie die Natur?
Schon wenn man fotografiert, kommt nie zweimal dasselbe Foto heraus, das Licht ist ja immer anders. Außerdem haben wir auch alle verschiedene Augen und sehen die Dinge verschieden. Was der eine schön findet, findet der andere hässlich. Kinder und Erwachsene sehen die Welt ganz verschieden. Für kleine Kinder sind Marienkäfer etwas besonderes, die Erwachsenen gar nicht mehr auffallen. Wenn zwei Brüder ihren Eltern beschreiben, warum die Scheibe kaputtgegangen ist, wird sich das nicht gleich anhören. Deshalb gibt es ja soviel Streit in der Welt, weil alle denken, sie wüssten, was die Wahrheit ist.

Realismus als Epoche

Der Realismus in der Literatur bezeichnet eine Epoche ungefähr von 1848 bis 1890. Vorher gab es die Romantik und nachher den Naturalismus. Die Romantiker haben sich sehr für Burgruinen und mysteriöse Stimmungen oder Sonnenuntergänge interessiert. Sie haben sich Märchen ausgedacht.
Die Realisten haben manchmal einfach eine Zeitungsmeldung genommen und daraus eine Geschichte entwickelt. Die kleinen Meldungen auf den letzten Seiten der Zeitung haben sie interessiert, wo stand, dass ein Pferd gestohlen wurde, oder dass jemand vom Baum gefallen ist. Ihre Helden sollten „normale Menschen" sein (aber was ist schon normal?). Sie wollten das „Milieu" schildern, also die Familie und Nachbarschaft des Helden, was er arbeitete, und was er zum Mittag aß.


Illustration: Halina Kirschner

Der Autor hält sich dabei mit seiner Meinung zurück, es geht ihm darum, wie die Welt wirklich ist, und nicht, was er darüber denkt. Schreiben ist für ihn Arbeit, während man vom Dichter bis dahin normalerweise dachte, daß er „von der Muse geküsst" werden muss, um zu schreiben, also Inspiration brauchte, und sich dazu eher zurückzog in den Wald oder in eine Dachstube, wo er von den Mitmenschen und ihrem Milieu nicht gestört wurde.
Natürlich gab es zu jeder Zeit mehr oder weniger realistische Texte, vor allem in der komischen Literatur, deren Helden immer eher die kleinen Leute waren, also die Diener und nicht ihre Herren. Das hat sich natürlich alles sehr geändert, inzwischen findet man auch Könige komisch, zum Beispiel die Königin von England mit ihren seltsamen Hüten.
Aber Humor und Detailgenauigkeit sind wichtige realistische Techniken. Man lacht eben, weil ein Komiker etwas sehr genau nachmachen kann, zum Beispiel einen Menschen oder einen Dialekt.
Ein wichtiger Realist war der Russe Anton Tschechow, der auch ein großer Humorist war, obwohl er selbst seine Stücke eher traurig fand. Sein Kollege Fjodor Dostojewski hat viel über die Armen in Russland geschrieben. Andere Realisten waren der Franzose Balzac mit seinen vielen Romanen oder der Amerikaner Mark Twain. Von diesem stammt eines der wenigen Bücher, das Erwachsenen genauso wie Kindern gefällt Tom Sawyers Abenteuer.

http://www.rossipotti.de/ausgabe07/titelbild.html
http://www.literaturwelt.com/epochen/real.html