Interview


Bedeutung und Struktur des Interviews

Sobald man jemanden etwas fragt und der andere antwortet, hat man schon ein kleines Interview geführt. Denn Interview heißt eigentlich nichts anderes als Befragung oder Gespräch.
Im Unterschied zu einem gewöhnlichen Gespräch, in dem einmal der eine Fragen stellt, einmal der andere, stellt in einem Interview immer nur einer die Fragen und der andere antwortet immer darauf.


Illustration: Tine Neubert

Der Fragende (Interviewer) ist meistens ein Journalist oder Moderator und der Antwortende (Interviewte) eine bekannte Persönlichkeit oder ein Experte in einem bestimmten Bereich. Es gibt allerdings auch Interviewer, die keine Journalisten sind, zum Beispiel Leute, die eine Meinungsumfrage machen. Und es gibt Interviewte, die weder bekannt noch Experten sind und trotzdem befragt werden. Zum Beispiel Menschen, die etwas Besonderes machen oder einen interessanten Beruf haben.

Unabhängig davon, wer wen befragt, muss der Fragende vor dem Interview mit dem Antwortenden vereinbaren, dass er ein Interview mit ihm führt. Das ist deshalb wichtig, weil man Interviews fast immer veröffentlichen möchte. Zum Beispiel in Zeitungen, Zeitschriften, im Radio, Fernsehen, Internet, Büchern oder auch innerhalb einer Meinungsumfrage. Der Interviewte muss also vor dem Interview wissen, dass seine Antworten noch andere Leute zu lesen oder hören bekommen und muss deshalb sein Einverständnis dazu geben.
Weil Interviews fast immer veröffentlicht werden, hat ein Interview einen viel offizielleren, formaleren Charakter als ein normales Gespräch. Während man in einem normalen Gespräch einfach drauf los plappern kann, vom eigentlichen Thema abschweifen, seine Gedanken springen lassen und mehr oder weniger ungeschönt seine Meinung sagen kann, muss der Antwortende bei einem Interview viel mehr auf seine Worte aufpassen. Er muss sich überlegen, was er preisgeben will und was nicht, und wie seine Sätze wohl auf die Öffentlichkeit wirken. Selbst bei Meinungsumfragen, bei denen der Interviewte bei der Veröffentlichung im allgemeinen anonym bleibt, wird sich der Interviewte genau überlegen, ob er dem Interviewer offen legt, ob er beispielsweise gerne Süßigkeiten isst, wie oft er ins Kino geht oder welche Partei er wählt.
Umgekehrt muss der Fragende aufpassen, dass der Interviewte nicht zu sehr vom Thema abschweift, dass die Antworten auch zu den Fragen passen und dass er am besten auch Dinge erfährt, die davor noch nicht allen bekannt waren. Der Fragende möchte also, dass der Informationsgehalt seines Interviews für seine Zuschauer, Hörer oder Leser möglichst hoch ist.

Ein Interview ist deshalb immer auch ein mehr oder weniger versteckter Machtkampf zwischen Interviewer und Interviewtem, bei dem der Interviewte nicht zu viel verraten oder sich zumindest in einem guten Licht präsentieren, der Interviewer dagegen möglichst viel, also auch nicht so Vorteilhaftes über den Antwortenden, heraus bekommen möchte.
Manchmal wird der Machtkampf offen ausgetragen. Das ist vor allem bei Interviews zwischen Journalisten und Politikern der Fall. Politiker wollen oft ihre eigentlichen Absichten nicht preisgeben und haben viele vorgefertigte Sätze, mit denen sie viele der Fragen beantworten.
Journalisten reagieren darauf mit unterschiedlichen Techniken. Zum Beispiel, indem sie den Politiker mit unangenehmen Fragen provozieren, so tun, als ob sie mehr wissen als die befragte Person oder mit tiefer gehenden Fragen immer weiter bohren. Im Glücksfall lässt sich der Politiker dadurch zu einer neuen, nicht vorhersehbaren Antwort hinreißen, im Pechfall weist er den Journalisten zurecht und sagt gar nichts mehr.
Aus dem Grund gibt es auch die Frage-Technik, lieber mit Nettigkeiten und Verständnis für den Befragten zu versuchen, neue Information zu bekommen. Das kann funktionieren, muss es aber nicht.

Auch bei anderen befragten Personen wie Künstlern, Wissenschaftlern, Sportlern oder auch unbekannten Personen ist es immer eine Gratwanderung zwischen zu forschem Auftreten und zu verständnisvollem Verhalten des Fragenden. Der Fragende braucht viel Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit, gut zuzuhören und richtig darauf zu reagieren, um die Antworten, die er haben möchte, zu bekommen.
Wie groß die Distanz oder Entfernung zwischen Fragendem und Antwortendem sein sollte und sein kann, hängt außerdem auch vom Thema (Sach- oder persönliche Themen), von der jeweiligen Situation (live oder erst später veröffentlicht) und nicht zuletzt auch vom Medium (Email, Telefon, direktes Gespräch vor laufender Kamera oder ohne jedes Medium) ab, durch das sich beide unterhalten.
Über die Verhaltensweise von Tieren lässt sich beispielsweise sicher einfacher plaudern als über persönliche Vorlieben und Abneigungen oder politische Absichten.
Ein Live-Interview, das also gleichzeitig stattfindet wie es veröffentlicht wird, ist einerseits sicher spontaner und wahrer als ein Interview, das zeitlich versetzt erscheint. Andererseits wird in einem Live-Interview der Befragte oft insgesamt vorsichtiger sein, weil er keine Möglichkeit hat, nach dem Interview für ihn unpassende O-Töne (also Originaltöne) heraus schneiden zu lassen.
Bei Interviews, die erst später erscheinen, hat der Interviewte nämlich die Möglichkeit, Passagen streichen zu lassen. Übrigens verändert in solchen Fällen auch der Fragende häufig noch das eigentliche Gespräch. Er stellt Passagen um, schneidet viele O-Töne heraus und stellt sie manchmal sogar in einen anderen Zusammenhang. Bei Interviews, die nicht live sind, kann man deshalb nie sicher sein, ob dieses oder jenes wirklich so gesagt wurde.


Illustration: Tine Neubert

Und ein Email-Interview verläuft in den meisten Fällen weniger persönlich als ein Telefoninterview, und das wiederum weniger persönlich als ein direktes Gespräch. Wird das persönliche Gespräch dagegen durch Kameras und Mikrofone gestört, ist die Atmosphäre in den meisten Fällen wiederum wesentlich weniger entspannt, als bei einem Interview, bei dem nur Fragender und Antwortender anwesend sind.

Ein gutes Interview zu führen, ist also gar nicht so einfach. Man braucht viel Wissen über die befragte Person oder das besprochene Thema, gut gestellte Fragen und Geschicklichkeit und Sensibilität, auf die Antwortenden zu reagieren. Und man darf sich nicht von der jeweiligen Umgebung des Interviews ablenken lassen.
Nicht zuletzt hängt die Güte eines Interview auch oft von der gegenseitigen Sympathie des Fragenden und Befragten ab.

Ziel von Interviews

Das Ziel eines Interviews hängt von der jeweiligen Perspektive ab, die man während des Gesprächs einnimmt: Fragender oder Antwortender?

Für den Fragenden ist das Ziel eines Interviews, möglichst viel Informationen für sein Publikum zu erhalten. Informationen können dabei Meinungen oder Einschätzungen einer bestimmten Lage (zum Beispiel bei einer Naturkatastrophe, einem politischen Konflikt, aber auch einem kommenden kulturellen Ereignis), (Hintergrund-)Wissen zu bestimmten Themen oder Personen, Absichtserklärungen oder auch Darstellungen von Lebenshaltungen der befragten Person sein.


Illustration: Tine Neubert

Für den Antwortenden ist dagegen das Ziel, seine Position oder sein Handeln zu erläutern und einer Öffentlichkeit vorzustellen. Es geht immer auch darum, ein gewisses Image oder Bild von sich oder seiner Gruppe oder Partei, für die man spricht, zu entwerfen. In den meisten Fällen möchte der Antwortende die eigenen Absichten, Lebenshaltungen oder sein Wissen zu einem Thema so darstellen, dass sie die Öffentlichkeit für ihn einnehmen, oder zumindest ihn oder die Sache, für die er eintritt, nicht in Misskredit bringen.
Da man sich in einem Interview oft positionieren muss, kommt es immer wieder vor, dass die Antwortenden entweder die falschen Worte wählen oder etwas sagen, das sie lieber verschwiegen hätten. Zuletzt ist Bundespräsident Horst Köhler zurück getreten, weil er in einem Interview etwas gesagt hat, was ihm von Teilen der Öffentlichkeit verübelt wurde.
Schauspieler, Musiker oder Personen aus dem Showbusiness haben da meistens weniger zu verlieren. Sie benutzen ihre Interviews vor allem zu Werbezwecken. Das heißt, dass sie über Interviews ein Bild von sich entwerfen, das sich in der Öffentlichkeit gut verkaufen lässt. Wenn ein Popstar beispielsweise in einem Interview behauptet, dass sein Hobby „Kochen mit Freunden“ ist, oder dass er in seiner Freizeit viel mit seinen Kindern unternimmt, muss das noch lange nicht stimmen.
Außerdem nutzen Prominente Interviews auch, um bei der Öffentlichkeit erst einmal bekannt oder umgekehrt auch in Erinnerung behalten zu werden.
Daneben gibt es aber auch Prominente, die gar keine oder nur äußerst selten Interviews geben. Bei diesen Prominenten ist es dann ein großes Glück für den Fragenden (und auch für die Öffentlichkeit), wenn er den Prominenten überhaupt einmal befragen darf.

Sonderformen des Interviews

Talkshow

Bei Talkshows werden gleichzeitig mehrere Personen über einen Moderator ins Gespräch verwickelt. Dadurch kann ein Thema aus verschiedenen persönlichen Blickwinkeln beleuchtet werden. Die Güte dieser Interviews hängt wesentlich davon ab, wie gut der Moderator die Gesprächsrunde führt. Bricht er beispielsweise jemanden immer ab, bevor es spannend wird, lässt er einer Person wesentlich mehr Raum als einer anderen, verliert er den roten Faden der Diskussion oder reagiert er nicht auf das, was eigentlich gesprochen wurde, wird der Informationsgehalt der Runde eher gering ausfallen.

Meinungsumfrage


Illustration: Tine Neubert

Bei Meinungsumfragen werden die Meinungen von vielen Personen befragt. Zum Beispiel wird gefragt, wer welche Partei wählt, wer welche Lebensmittel oder Kleider kauft oder wie viele Menschen noch an Gott glauben oder nicht.
Meinungsumfragen werden meistens von bestimmten Personen-Gruppen bei Meinungsumfrage-Instituten in Auftrag gegeben.
So möchten Politiker beispielsweise erfahren, wie die Stimmung ihrer Wähler ist. Warenhersteller interessieren sich dagegen für die Beliebtheit ihrer Produkte, und Wissenschaftler interessieren sich für die Lebenseinstellung oder Lebensgewohnheiten von uns.
Meinungsumfragen sind insofern problematisch, weil man Meinungen der Befragten durch die Art der Fragen gezielt lenken kann. Außerdem kann man auch nicht davon ausgehen, dass die Befragten immer wahrheitsgetreu antworten.

Patientengespräche

Befragungen zwischen Arzt und Patienten werden im Unterschied zu anderen Interviews nicht veröffentlicht und unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Sie dienen zum einen dazu, den Patienten besser kennen zu lernen. Zum anderen sollen psychisch oder seelisch erkrankte Patienten unter anderem über Gespräche geheilt werden.

http://www.rossipotti.de/archiv.html#kulturtasche
http://www.rhetorik.ch/Interviewtechnik/Interviewtechnik.html