Literaturbetrieb


 

Ein Beispiel aus dem Literaturbetrieb

Es war einmal ein Autor – wir wollen ihn Johann Treibel nennen -, der schrieb schon seit vielen Jahren Romane, Gedichte und Erzählungen und hatte bereits ein kleines Buch veröffentlicht. Aber Erfolg hatte er nicht, und es gelang ihm auch nicht, einen Verlag für sein zweites Buch zu finden. Der Roman sollte „Der Sandsturm“ heißen. Glücklicherweise arbeitete Johann Treibel auch noch als Lehrer am Gymnasium, sonst hätte er diese schwierige Zeit nicht überlebt. Von irgendetwas musste er ja seine Miete zahlen und Essen und Kleider einkaufen. Mit seinem Schreiben verdiente der Autor nämlich leider kaum einen Cent.
Johann Treibel wollte nicht aufgeben und kämpfte verzweifelt für seine Manuskripte, die er an alle Verlage und Literaturagenturen schickte, die er kannte. Aber immer wieder wurde sein Manuskript abgelehnt: „Zu altmodisch“, „zu sperrig“, „zu konservativ“, „zu schwierig“, „zu poetisch“ hieß es von den Agenten und Lektoren. So ging das mehrere Jahre lang, und Johann Treibel war schon am Rande der Verzweiflung.
Da fand eines Tages eine junge Frau, die in der kleinen Literaturagentur Phillipstein als Praktikantin arbeitete, – wir nennen sie Katharina -, Johann Treibels Manuskript „Der Sandsturm“ in dem großen Stapel der ungefragt eingesandten Manuskripte. Zunächst blätterte sie lustlos in dem Text, denn die meisten Schriften, die die Menschen an die Literaturagentur schickten, waren schlecht! Unglaublich, unsagbar schlecht.
Schon nach wenigen Minuten wurde Katharina nun aber warm, sie bekam rote Wangen und konnte ihre Augen nicht mehr von dem Manuskript wenden. Die Hände der jungen Frau begannen zu zittern, denn sie war sich sicher, dass sie etwas sehr Wertvolles in ihnen hielt: ein großartiges Buch von einem besonderen Schriftsteller! Katharina las und las, und nahm schließlich abends das Manuskript sogar mit nach Hause. Dort las sie weiter bis tief in die Nacht hinein. Als Katharina endlich das gesamte Manuskript verschlungen hatte, klappte sie es zusammen, seufzte laut, rieb sich die Augen und fasste einen Entschluss: Dies würde das erste Manuskript sein, das sie verkaufen würde. Dies würde der erste Autor sein, dem sie zu wahrem Erfolg verhelfen würde! Katharina kaute auf ihrer Unterlippe, so aufgeregt war sie, und konnte den Rest der Nacht kaum schlafen. Wie sollte sie ihren Chef, Maximilian von Phillipstein, davon überzeugen, dass er den Text vertreten musste? Er war ein elegant gekleideter Mann Ende 30 aus gutem Hause, gescheiterter Arztstudent und Liebhaber der Literatur, der nach Katharinas Meinung nicht besonders viel Ahnung von guten Texten hatte. Ihn interessierten Sachbücher zu den Themen Geschichte und Politik, Unterhaltungsromane für Frauen über Liebe und Betrug und Krimis, denn solche Bücher verkauften sich gut. Aber die große, die ,wahre’ Literatur, mit den klingenden Worten, den geheimnisvollen Bildern, den fantastischen Gedanken, die Literatur, die Katharina so liebte, die war Herrn von Phillipstein ziemlich schnuppe! Immer, wenn die junge Frau, ihm ein Manuskript vorlegte, bei dem man nicht gleich verstand, worum es ging, bei dem man geduldig lesen musste und warten und ein bisschen rätseln, dann rief er mit seiner knurrigen Stimme von seinem Schreibtisch zu ihr herüber: „Geht’s hier auch irgendwann mal los?“
Wider alle Erwartungen aber gelang Katharina das Wunder: Sie überzeugte Maximilian von Phillipstein davon, dass sie Johann Treibels „Der Sandsturm“ im Namen der Agentur auf der Leipziger Buchmesse vertreten durfte. Katharina war überglücklich! Begeistert schrieb sie an Johann Treibel, lobte seinen Text in den höchsten Tönen, verfasste ein Exposé zu dem Roman, wählte Textproben aus und vereinbarte Termine mit Lektoren. Johann Treibel freute sich über Katharinas Interesse und Engagement. Er schickte ihr altmodische Briefe, die mit der Schreibmaschine getippt waren, Fotos von sich, einen selbst eingebundenen Gedichtband mit persönlicher Widmung, und schrieb begeistert: „Sie sind der erste und einzige Mensch, der mich und mein Schreiben wahrhaftig versteht!“
Im März begann die Messe. Katharina hatte sich schick gemacht. Sie trug einen leicht schillernden grauen Anzug, eine purpurnfarbene Bluse, hatte die Haare gewaschen und sich ein bisschen geschminkt. Aufgeregt traf sie den ersten Lektor, Tim Stutzbaum, vom anerkannten Publikumsverlag Katzer. Er begrüßte sie freundlich, sie setzten sich an einen Tisch und tranken Kaffee. Nachdem sie ein wenig über das Wetter und die Stadt Leipzig geplaudert hatten, begann Katharina ihre Vorstellung; ihre Stimme piepste dabei kurz vor Anspannung: „Als Erstes möchte ich Ihnen etwas ganz Besonderes vorstellen, einen wirklich großartigen Roman! ,Der Sandsturm’… - Tim Stutzbaum zuckte leicht zusammen und kuckte verblüfft – „von Johann Treibel.“ Da lief der Lektor langsam rot an und antwortete: „Das ist ja interessant. Mit dem habe ich vor einer Stunde einen Vertrag abgeschlossen.“ Wie ein Donnerschlag brachen seine Worte über Katharina herein.
Nachdem sie sich von ihrem ersten Schock erholt hatte, schämte die junge Frau sich in Grund und Boden: Was würde der Lektor jetzt nur von ihr denken? Dass sie sich nicht mit ihren Autoren absprach? Dass sie nicht über deren Handlungen informiert war? Wie unprofessionell das wirkte! So hatte sie sich ihre erste Buchmesse nicht vorgestellt. Es war schrecklich!
Wieder zu Hause angekommen, stellte Katharina Johann Treibel zur Rede: Wie das sein könne, dass er einen Vertrag abschließe, ohne die Agentur Phillipstein als seine Vertretung zu nennen? Ob sie nicht vereinbart hätten, dass sie, Katharina, seinen Roman auf der Messe vorstellen würde? Wie sie nun da stehen würde, vor dem Lektor, wie peinlich das alles sei, wie viel Arbeit sie investiert hätte und so weiter, und so fort. Johann Treibel überschüttete Katharina mit ellenlangen Briefen, rechtfertigte sich und versuchte, sein Verhalten zu erklären. Er habe in seiner Verzweiflung einfach alles versucht, was nur ging, und den Kontakt zu Katzer habe er schon lange vor seiner Vertretung durch die Agentur Phillipstein geknüpft. Er habe Angst gehabt, der Verleger würde seinen Roman nicht publizieren, wenn er erführe, dass Treibel durch eine Literaturagentur vertreten wurde. Schließlich schickte der Autor Katharina sogar Blumen, einen riesigen Blumenstrauß in die Agentur. Maximilian von Phillipstein und Katharinas Kolleginnen machten sich noch wochenlang darüber lustig.
Katharina aber konnte und wollte Johann Treibel nicht vergeben. Sie warf alle seine Briefe und seine Fotos in den Müll und wollte nichts mehr von ihm wissen. Ihr erster Versuch, einen Stern am literarischen Himmel zu entdecken und zum Glänzen zu bringen, war grandios gescheitert.
Wenige Monate später gewann Johann Treibel, der bis dahin der Presse noch völlig unbekannt gewesen war, einen wichtigen Literaturpreis. Von nun an ging es mit seiner Karriere nur noch steil bergauf. Der Autor hielt eine Lesung nach der anderen und sein Buch wurde in Büchersendungen im Fernsehen besprochen. Alle wichtigen Tageszeitungen und Literaturzeitschriften rezensierten „Den Sandsturm“, der sich fantastisch verkaufte! So gut, dass Johann Treibel seinen Beruf als Lehrer aufgeben und sich nur noch dem Schreiben widmen konnte.
Einige Jahre später erschien der nächste große Roman des Autoren, „Der Bunker“. Er war noch erfolgreicher als „Der Sandsturm“, und Johann Treibel gewann viele wichtige Literaturpreise mit ihm, unter anderem den Deutschen Buchpreis.
Heute ist Johann Treibel einer der wichtigsten und erfolgreichsten Autoren der deutschen Gegenwart. Seine Werke werden nicht nur von der Literaturkritik gefeiert, sondern sein Name ist auch ein Garant für Bestsellerzahlen. Johann Treibel hat also das erreicht, was er immer wollte: Er ist ein anerkannter wichtiger Autor und kann gut von seinem Beruf leben.
Und Katharina?
Katharina hatte nie wieder Kontakt zu Johann Treibel. Tief in ihrem Innersten freut sie sich über seinen Erfolg, weil sie weiß, dass er ihn verdient hat. Aber seine neuen Bücher hat sie nie gelesen.

Das Beispiel zeigt, wie der heutige Literaturbetrieb funktioniert: Wie aus einem Manuskript ein Buch und aus einem Buch ein erfolgreiches Buch wird. Dazu muss normalerweise ein begabter Schriftsteller nicht nur ein gutes Manuskript geschrieben haben, sondern viele andere Faktoren müssen auch stimmen: Eine kompetente Literaturagentur muss den Autoren vertreten, ein erfolgreicher Verlag muss das Manuskript kaufen, wichtige Literaturkritiker müssen das Buch in Zeitungsartikeln besprechen und so weiter.
Besonders an dem beschriebenen Fall ist, dass der Autor seine noch junge Zusammenarbeit mit der Literaturagentur nicht erwähnt hat, als er den Vertrag mit dem Katzer-Verlag unterschrieben hat. Das hat damit zu tun, dass der Autor schon viele Jahre versucht hatte, sein Manuskript unterzubringen, und dieses mittlerweile bunt gemischt an alle Literaturagenturen und Verlage gleichzeitig geschickt hatte, die er kannte. Normalerweise sollte man das nicht tun, denn Literaturagenten reagieren verständlicherweise ziemlich verärgert, wenn sie umsonst Arbeit leisten. Theoretisch hätte die Literaturagentur Phillipstein Johann Treibel sogar wegen Vertragsbruch verklagen können! Andererseits wollen Verlage immer gleich, bei der ersten Prüfung des Manuskripts, darüber informiert werden, ob ein Manuskript über eine Agentur vertreten wird oder nicht. Johann Treibel hat sich also nicht besonders geschickt oder fair verhalten, hatte aber trotzdem Erfolg.

Wie wird aus einem Manuskript ein Buch?

Literaturagenturen

Wenn man als unbekannter Autor ein Manuskript veröffentlichen lassen will, wendet man sich heutzutage besser nicht mehr direkt an die Verlage, sondern schickt seinen Text an eine Literaturagentur.
Literaturagenturen, die es zuerst im englischsprachigen Raum und in der Schweiz gab, arbeiten im Prinzip wie Agenturen, die Modelle oder Schauspieler vertreten: Sie kümmern sich um die Vermittlung der Autoren an Verlage und um die Vertretung ihrer Interessen und Rechte gegenüber den Verlagen. Konkret heißt das, dass sie, wenn nötig, mit den Autoren an den Texten arbeiten, passende Verlage aussuchen, den Lektoren das Manuskript vorstellen und es zur Prüfung verschicken. Später haken die Literaturagenten bei den Lektoren nach und bitten um Feedback. Sollten mehrere Verlag an einem Manuskript interessiert sein, veranstalten die Literaturagenten eine ,Auktion’: Wie bei einer Versteigerung verkünden sie den interessierten Verlagen ein Angebot, das heißt eine bestimmte Summe, die ein Verlag als Vorschuss für das Manuskript angeboten hat, und die Verlage, die das Manuskript auch veröffentlichen wollen, müssen diese Summe dann überbieten. So gelingt es den Literaturagenturen, die Vorschüsse in die Höhe zu treiben und bessere Bezahlungen für ihre Autoren auszuhandeln.

Hat sich ein bestimmter Verlag dazu entschieden, dass er ein Manuskript veröffentlichen will, kommt es zu den Vertragsverhandlungen. Der Literaturagent spielt hier eine zentrale Rolle: Er überprüft, ob die Vertragsbedingungen rechtens und fair sind. So achtet er zum Beispiel darauf, dass der Autor – finanziell – ausreichend am Verkauf des Buches beteiligt ist, dass er angemessen davon profitiert, sollte das Buch ins Ausland verkauft werden, und dass er an den Filmrechten beteiligt ist. Für die Autoren ist es oft angenehm, wenn sie sich nicht um den komplizierten Papierkram kümmern müssen, von dem sie meistens nicht viel verstehen.

Aber natürlich hat auch die Arbeit mit Literaturagenturen einen Haken: Literaturagenten müssen für ihre Arbeit bezahlt werden. So bekommen sie, abgesehen von dem Honorar für Lesungen, von allen Einnahmen des Autoren 15 Prozent. Das scheint auf den ersten Blick viel, ist es aber im Grunde nicht. Es kann nämlich auch – gar nicht zu selten! – vorkommen, dass die Literaturagenten sich viel Mühe geben, um ein bestimmtes Manuskript an einen Verlag zu verkaufen, dies aber letztlich doch nicht gelingt. Dann haben die Agenten Zeit und Energie in das Manuskript investiert, aber ohne Erfolg, und sie bekommen keinen Cent für ihre Arbeit.

Zudem ist es mittlerweile so, dass ein Autor, der sich nicht um eine Vertretung durch eine Literaturagentur bemüht, nahezu keine Chance mehr hat, sein Manuskript selbständig an einen Verlag zu vermitteln, es sei denn, er hat gute Kontakte. Jeden Tag bekommen die Verlage unzählige, ungefragt eingesandte Manuskripte zugeschickt – so nennt man die Manuskripte, die Autoren von sich aus an die Verlage schicken. Die Lektoren haben, neben all ihrer anderen Arbeit, keine Zeit, sich durch die Stapel von Texten zu arbeiten. Also wird diese Arbeit meist von jungen unerfahrenen, schlecht oder meistens gar nicht bezahlten Praktikanten übernommen. Die Chancen, dass ein Manuskript auf diesem Weg in die Hände eines Verlegers gelangt, der es veröffentlichen möchte, ist verschwindend gering.

Literaturagenten hingegen haben gute Kontakte zu den Verlagen und Lektoren. Wenn sie ein Manuskript zur Prüfung schicken, wissen die Verlage, dass es sich lohnt, einen Blick in den Text zu werfen. So landet das Werk nicht auf den riesigen Stapeln, die von den Praktikanten geprüft werden, sondern direkt auf dem Schreibtisch der Lektoren.
Nachdem der Vertrag zwischen Autor und Verlag erfolgreich abgeschlossen worden ist, bleibt der Agent ein wichtiger Vermittler zwischen Verlag und Autor. Er kümmert sich mit um die Pressefotos von dem Autoren, ist in der Diskussion dabei, wenn es um die Gestaltung des Buchcovers geht, organisiert Interviews und informiert seinen Autoren über Literaturstipendien und Literaturpreise.
In Deutschland gibt es mittlerweile zahlreiche Literaturagenturen, beispielsweise die Literaturagentur Graf & Graf, die Literaturagentur Petra Eggers und die Literaturagentur Landwehr & Cie.

Lektoren

Der Begriff „Lektor“ kommt aus dem Lateinischen, ,lector’, was „Leser“ bedeutet. Allerdings hat ein Lektor heute weit mehr zu tun, als ,nur’ die Manuskripte seiner Autoren zu lesen. Er liest und korrigiert die Manuskripte seiner Autoren, macht Veränderungsvorschläge und arbeitet so lange gemeinsam mit den Autoren an den Texten, bis beide mit ihnen zufrieden sind. Dabei korrigiert der Lektor vor allem den Stil, den Spannungsaufbau, die Überzeugungskraft der Geschichte, die Gestaltung der auftretenden Figuren. Der Lektor muss also ein feines Gespür für Sprache und bewegende Geschichten haben und über ein gutes menschliches Einfühlungsvermögen verfügen: Immerhin arbeitet er mit Autoren zusammen, die manchmal, wie viele Künstler, kapriziös sind, und es muss ihm gelingen, die Autoren produktiv zu kritisieren, ohne sie zu kränken. Allerdings haben Lektoren heutzutage immer mehr mit Fragen des Marketings und der Pressearbeit zu tun, so dass ihre Arbeit am Text für den Geschmack einiger Autoren zu kurz kommt. Immer häufiger wird diese Arbeit an externe freiberufliche Lektoren weitergegeben, und die Lektoren innerhalb des Verlags kümmern sich dann nur noch um die Präsentation und das Marketing des Buches.
Ist der Text fertig, betreut der Lektor ihn weiter bis zur Veröffentlichung, das heißt er überprüft, ob der Text richtig gedruckt wird, wie das Cover aussieht, und er kooperiert mit der Marketingabteilung: Der Lektor bestimmt mit, wie das Buch in den Verlagsvorschauen präsentiert wird, und er schreibt zumeist die Werbetexte für das Buch.
Während der gesamten Phase der Zusammenarbeit eines Verlages mit einem bestimmten Autoren ist der Lektor im Verlag die erste Ansprechperson für den Autoren.

Wie wird aus einem Buch ein erfolgreiches Buch?

Wie man in dem Beispiel oben lesen kann, heißt die Tatsache, dass Jemand ein gutes Buch geschrieben hat, noch lange nicht, dass es veröffentlicht wird und dann auch noch Erfolg hat. Bei unserem Autoren Johann Treibel sind mehrere Faktoren zusammen gekommen, die dazu geführt haben, dass er schließlich so erfolgreich und bekannt wurde. Der erste wichtige Meilenstein war der Verlags-Vertrag mit Katzer, der zweite der Gewinn des bedeutenden Literaturpreises. Aber warum hatte Johann Treibel plötzlich Erfolg? Warum fand er mit einem Mal einen großen Publikumsverlag und bekam einen wichtigen Preis? Das, was er schrieb, war doch immer noch das gleiche: das, was davor jahrelang niemand hatte lesen wollen. Für den plötzlichen Erfolg eines Autoren gibt es manchmal keine genaue Erklärung. Man könnte annehmen, dass die Zeit mit einem Mal ,reif’ war für Johann Treibels Literatur, dass also sein Schreiben irgendeinen Nerv traf, eine grundlegende Stimmung in der deutschen Bevölkerung so wiedergab, dass sich viele damit identifizieren konnten. Außerdem ist Erfolg immer auch Glückssache: Vielleicht hatte im Katzer-Verlag gerade die Programmleitung gewechselt, und der neue Programmleiter mochte ganz andere Literatur als der alte, nämlich solche, wie Johann Treibel schrieb. Nicht zuletzt denken viele: Wahres Talent setzt sich immer irgendwann durch. Es gibt sehr viele Geschichten von großen Autoren oder Künstlern im Allgemeinen, die erst spät oder sogar erst nach ihrem Tod – posthum nennt man das – Erfolg hatten. Als Joanne K. Rowling, damals noch allein erziehende, arbeitslose Mutter, versuchte, ihr erstes Manuskript von Harry Potter an einen Verlag zu verkaufen, erlebte sie zum Beispiel zuerst nur Niederlagen. Das ist heute kaum vorstellbar! Glücklicherweise hat sie nicht gleich aufgegeben.
Dass Johann Treibel dann unmittelbar nach dem Vertragsabschluss mit dem Katzer-Verlag auch noch einen wichtigen Literaturpreis bekam, hat einerseits damit zu tun, dass die Juroren zu dem Zeitpunkt schon wussten, dass Johann Treibels Roman bei Katzer erscheinen würde. Der Text konnte also nicht schlecht oder unbedeutend sein, denn sonst würde sich ein renommierter Verlag wie der Katzer-Verlag nicht dafür interessieren. Natürlich würden viele Literaturkritiker behaupten, dass sie sich von solchen ,Äußerlichkeiten’ – ob ein Autor bereits einen Verlag für seinen Text hat und wenn ja, welchen – nicht beeinflussen lassen. Zumindest unbewusst ist es aber doch immer wieder so. Außerdem hat Johann Treibel wahrscheinlich auch hier wieder die notwendige Portion Glück gehabt: Ein paar Juroren hatten einen ähnlichen Geschmack, schätzten seinen Text, und prompt bekam er, der davor jahrelang noch nicht mal einen kleinen Verlag für seinen Roman gewinnen konnte, einen wichtigen Literaturpreis!
Spätestens dann war der Name Johann Treibel bekannt, sein Gesicht wurde auf Fotos in Zeitungen abgebildet, und die Literaturkritiker schrieben Rezensionen zu seinem Buch.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt bedingt dann eines das andere, und der Erfolg verbreitet sich wie ein Lauffeuer oder wie Dominosteine, die hintereinander aufgereiht sind und einer nach dem anderen umfallen: Die eine Rezension führt zur nächsten, das eine Interview zur Einladung in eine Fernsehshow und so weiter. Alle diese Ereignisse befördern die Verkaufszahlen des Buches, was den Titel schließlich, im besten Falle, auf die Bestsellerliste vom Spiegel oder vom Buchreport befördert. Menschen, die diese Bestsellerlisten lesen, denken dann: „Oh, interessant, dieses Buch muss ich unbedingt lesen…“, das Buch verkauft sich noch besser, die Verkaufszahlen schnellen weiter in die Höhe, und der Autor wird noch bekannter.

Marketing und Vertrieb

Ein erfolgreiches Marketing und ein gut funktionierender Vertrieb sind wichtige Faktoren für den Erfolg eines Buches. Um beides kümmern sich die Verlage, in denen es für beide Bereiche Abteilungen gibt. Die Aufgabe der Marketing-Abteilung ist es, herauszufinden, für welche Zielgruppen ein bestimmtes Buch interessant sein könnte, und diese Zielgruppen direkt mit speziellen Werbemaßnahmen anzusprechen, um sie zum Kauf des Buches anzuregen. So müsste ein Kinderbuch, das von einem zehnjährigen Mädchen handelt, das gerne reitet und während ihres Aufenthaltes auf einem Reiterhof viele Abenteuer erlebt, so gestaltet sein, dass ungefähr acht- bis zehnjährige Mädchen, die das Buch sehen, Lust haben, es zu kaufen oder dass die Eltern und Bekannten von den Mädchen denken: „Mh, das könnte meiner Tochter / meiner Enkelin / meinem Patenkind gefallen…“, wenn sie das Buch in einer Buchhandlung sehen. Es wäre daher wahrscheinlich eher günstig, ein Cover mit galoppierenden Pferden zu gestalten, vielleicht auch noch mit der Farbe Pink und mit Glitzersteinen, als ein schwarzes Cover, auf dem nur der Titel des Buches und der Autorenname geschrieben steht.
Immer üblicher wird es zudem, vor allem bei Büchern für Kinder und Jugendliche oder so genannten „Geschenkbüchern“, die schöne Gedichte, Sprüche oder lustige Geschichten enthalten, „Gimmicks“ zu gestalten, also kleine, billige Werbegeschenke, die dem Buch beigelegt werden, wie eine hübsch gestaltete Packung Blumensamen zu einem Buch über „Gartengestaltung“ oder eine kleine Papierkrone zum Basteln und Ausmalen in einem Bilderbuch über eine Prinzessin.
Die Marketingabteilung überlegt sich auch, wie man den Autoren des Buches bekannt machen könnte, das heißt, wo er Lesungen halten könnte, in welche Talkshows er gehen könnte und so weiter.

Der Vertrieb eines Verlages ist das Bindeglied zwischen dem Verlag und allen potentiellen Institutionen, die das Buch kaufen und es bewerben könnten. Seine Aufgabe ist es, die Bücher an den stationären Buchhandel, also an alle Buchhandlungen, in denen man persönlich Bücher kaufen kann, zu verteilen sowie an den Online-Versand, beispielsweise Amazon zu vermitteln. Vertriebsmitarbeiter überlegen außerdem, gemeinsam mit den Mitarbeitern in der Marketing-Abteilung, wie man die Absatzchancen eines Buches vergrößern könnte, das heißt, wie man es besonders gut verkaufen kann.
Da heutzutage immer mehr Bücher gleichzeitig erscheinen und der Buchmarkt ein hart umkämpfter ist, geht es – neben der literarischen Qualität eines Textes – immer mehr auch um seine Verkaufschancen, also um Geld. Daher kommt es auch, dass die Bedeutung der Abteilungen für Marketing und Vertrieb in den Verlagen immer weiter zunimmt, und deren Mitarbeiter immer mehr Mitspracherecht bei der Frage haben, ob ein bestimmtes Buch publiziert werden sollte oder nicht. Das ist eine Entwicklung, die von vielen Menschen kritisiert wird, da sie meinen, es gehe so nur noch um Dinge wie Zielgruppen, Alter, Aussehen und Vermarktungsmöglichkeiten des Autoren und so weiter und viel zu wenig um Literatur.

Buchmessen

Ein wichtiger Treffpunkt für alle Menschen, die in den Literaturbetrieb involviert sind, sind die Buchmessen. Die wichtigste und größte in Deutschland ist die Frankfurter Buchmesse, die traditionell im Herbst stattfindet. Die Leipziger Buchmesse, die im Frühling stattfindet, ist kleiner und weniger pompös, gewinnt aber auch zunehmend an Bedeutung.
Auf Buchmessen haben die Verlage die Gelegenheit, ihre neuen Bücher und Autoren anhand von Buchständen und Autorenlesungen zu präsentieren. Außerdem führen die Lektoren Gespräche mit Literaturagenten, um neue Buchprojekte an Land zu ziehen. Literaturkritiker machen sich ein Bild von den wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres, und vor allem können alle Menschen, die an Büchern interessiert sind, auf die Messe gehen, sich die Verlagsstände ansehen, Lesungen besuchen, in Verlagskatalogen schmökern und Bücher kaufen. Ganz Mutige versuchen auch, auf der Messe Kontakte zu Verlagen zu knüpfen, indem sie ihre unveröffentlichten Manuskripte mit zu den Verlagsständen nehmen, freundlich lächeln und versuchen, so die Aufmerksamkeit der Lektoren auf sich zu lenken. Allerdings ist diese Methode bei den meisten Lektoren, die auf den Messen meist von früh am Morgen bis spät abends von einem Termin zum nächsten hetzen, nicht besonders beliebt.

Lesungen

Eine wichtige und auch schöne Möglichkeit für Autoren, ihr Buch bekannt zu machen und zu verkaufen, sind Lesungen. Diese können in Buchhandlungen stattfinden, in Literaturhäusern, in Bibliotheken, an der Universität oder in Schulen. Der Autor hat hier die Möglichkeit, direkt in Kontakt mit möglichen Lesern zu treten, ihre Reaktionen auf seinen Text ,life’ und unmittelbar zu erleben und mit ihnen über sein Werk zu diskutieren. Zudem bekommt der Autor für jede Lesung ein Honorar, von dem er – sollte er von einer Literaturagentur vertreten werden (siehe oben) – nichts abgeben muss, das heißt Lesungen können auch eine gute Verdienstmöglichkeit für Autoren sein.
Allerdings ist die Einstellung von Autoren zu dem Thema „Lesungen“ sehr unterschiedlich: Es gibt lebhafte, offene Autoren, die gerne auf einer Bühne sitzen und ihre Texte schauspielerisch gekonnt vortragen, aber es gibt auch schüchterne, zurückhaltende Autoren, die es hassen, vor Menschengruppen aufzutreten, und ihre Texte nur leise nuschelnd ,runterlesen’.

Literaturkritik – Rezensionen und Fernsehsendungen

Schon mehrfach wurde in diesem Artikel die Bedeutung von Literaturkritikern erwähnt, also von Menschen, die beispielsweise in Tageszeitungen wie der Zeit, der FAZ, der Welt, der Süddeutschen Zeitung und dem Tagesspiegel Bücher besprechen und damit dafür sorgen, dass diese Bücher im positiven Sinne – wenn es eine gute Besprechung war – und im negativen Sinne – wenn es eine schlechte Besprechung war – einer breiteren Leserschaft bekannt werden.
Der einflussreichste Literaturkritiker des 20. Jahrhunderts in Deutschland war und ist mit Sicherheit Marcel Reich-Ranicki, der 1920 geboren wurde und häufig als „Literaturpapst“ bezeichnet wird. Angeblich kennen 98% aller Deutschen seinen Namen!
Den größten Erfolg hatte er als Leiter der Fernsehsendung des Literarischen Quartetts von 1988 bis 2001. Der beeindruckend aussehende Mann mit Halbglatze, auffällig geschwungenen Lippen, kräftiger Nase und großen Ohren riss viele Fernsehzuschauer mit, weil er so lebendig sprach und seine Kritik unverhüllt und auf provokante bis beleidigende Art und Weise äußerte. Dabei gestikulierte Marcel Reich-Ranicki wild und redete sich mit seiner unverkennbaren lispelnden Aussprache in Rage. Marcel Reich-Ranickis Auftreten hatte großen Unterhaltungswert, und es gelang ihm mit seiner Sendung, viele Zuschauer, die sich sonst nicht oder weniger für Literatur interessiert hätten, zu begeistern. Andere einflussreiche Literaturkritiker sind Elke Heidenreich, die mit ihrer Büchersendung Lesung! eine Zeit lang an Marcel Reich-Ranickis Erfolge anknüpfen konnte, sowie Dennis Scheck, der seit 2003 die Büchersendung Druckfrisch moderiert, Iris Radisch, die für die Zeit schreibt, Ijoma Mangold und Elmar Krekeler unter vielen anderen.

Spiegel-Bestsellerliste und Amazon

Ein Buch, das auf der Bestsellerliste des Nachrichtenmagazins Der Spiegel erscheint und dort wenigstens ein paar Wochen bleibt, hat es geschafft: Es ist ein Verkaufserfolg!
Die Bestsellerlisten im Spiegel zeigen an, welche Bücher sich in welcher Sparte am besten verkaufen – daher auch der Name: Das englische Wort „bestseller“ heißt auf Deutsch „Buch / Film, das oder der sich am besten verkauft“. Man unterscheidet zwischen Belletristik, also – mehr oder weniger - erfundenen Romanen, Sachbüchern, das heißt Büchern, die Informationen zu bestimmten Themen vermitteln wie Kochbücher oder Ratgeber zum Thema „Gesundheit“, Kinder- und Jugendbüchern und dazwischen, ob ein Buch eine Hardcoverausgabe ist, also ob es mit stabilem und aufwendig gearbeitetem Einband erscheint, oder ob es ein Taschenbuch ist. Aus den Verkaufszahlen von verschiedenen Buchhandlungen in ganz Deutschland werden die Titel und die Reihenfolge der Bücher auf der Liste ermittelt.
Die Spiegel-Bestsellerliste ist deswegen so wichtig, weil viele Menschen sich von ihr beeinflussen lassen: Wenn ein Buch auf der Liste steht – so denken sie – dann muss es besonders lesenswert sein. Also kaufen sie es. Außerdem richten sich die großen Buchhandlungen auch nach der Spiegel-Bestsellerliste. Sie bestellen vor allem die Bücher, die auf der Liste stehen, weil sie wissen, dass sich diese besonders gut verkaufen.
Zudem beeinflusst das Online-Versandhaus Amazon den Buchverkauf: Dort kann man sich online Bücher bestellen, die einem direkt ins Haus geliefert werden. Für jedes Buch, das über Amazon angeboten wird, wird ein Verkaufsrang ermittelt und angezeigt. Er gibt an, wie oft sich das Buch im Vergleich zu anderen Büchern verkauft. Zudem können Kunden Rezensionen zu den einzelnen Büchern schreiben und diese bewerten. Wenn ein Leser nun ein Buch zu einem bestimmten Thema, beispielsweise über den Umgang mit Katzen, über Amazon bestellen will, dann vergleicht er bei der Auswahl des Buches nicht nur die verschiedenen Autoren, Verlage und Preise der Bücher zu dem Thema, sondern auch den Verkaufsrang der einzelnen Bücher und die Kundenrezensionen, die zu ihnen geschrieben wurden.

Literaturpreise

Literaturpreise sind nicht nur eine wichtige – auch finanzielle – Anerkennung für Autoren, sondern sie beeinflussen auch das Buchgeschäft. Wenn ein Autor einen wichtigen Literaturpreis verliehen bekommt, wird das nicht nur groß in der Presse besprochen, sondern meistens werden die Bücher des Autoren dann auch vom Verlag mit Aufklebern versehen, auf denen steht, mit welchem Literaturpreis das Buch ausgezeichnet worden ist. Damit bezwecken die Verlage, dass mögliche Käufer des Buches beim Auswählen in der Buchhandlung sehen: „Oh, dieses Buch hat einen Preis gewonnen!“, und somit eher das Buch kaufen, als es ohne Preis der Fall wäre.
Wichtige deutsche Literaturpreise sind unter anderem der Georg-Büchner-Preis, der nach dem großen deutschen Schriftsteller Georg Büchner benannt wurde, der Deutsche Buchpreis und der Ingeborg-Bachmann-Preis, der seinen Namen von der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat. Letzterer ist auch deshalb bekannt, weil die Auswahl der Gewinner als spannendes ,life-event’ organisiert wird: Die vorgeschlagenen Autoren tragen ihre Wettbewerbstexte öffentlich in Lesungen vor, die auch im Fernsehen übertragen werden. Nach jedem Vortrag diskutieren dann verschiedene Literaturkritiker und Literaturwissenschaftler über die Texte. Manchmal geht es dabei ganz schön lebhaft, ja hitzig zu, und die Autoren, deren Texte diskutiert werden, müssen ein dickes Fell haben, um von der teilweise heftigen Kritik nicht zu sehr gekränkt zu sein.

Sandra Uschtrin

Falls Du mehr über den Literaturbetrieb in Deutschland erfahren möchtest, bist Du bei Sandra Uschtrin an der richtigen Stelle: Das ist eine sympathische und engagierte Frau, die schon seit Jahren einen kostenlosen Newsletter verschickt mit Ausschreibungen für Literaturpreise und Literaturstipendien. Außerdem stammt von ihr das bekannte Handbuch für Autorinnen und Autoren, in dem man alle wichtigen Informationen über den deutschen Literaturbetrieb nachlesen kann.

http://www.uschtrin.de/
http://www.youtube.com/watch?v=IFCSHEfQvY4&feature=related
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/wir-ueber-u...
http://www.zeit.de/video/2010-12/703879954001
http://www.buchmesse.de/de/
http://www.leipziger-buchmesse.de/
http://www.deutscheakademie.de/preise_buechner.html
http://www.deutscher-buchpreis.de/de/477825/
http://bachmannpreis.eu/de