Parodie


Was ist eine Parodie?

„O Tannenbaum, O Tannenbaum,
wie grinsen deine Blätter.“

(anonyme Umdichtung des Originaltextes von J. H. Zarnack)

Wenn man diese beiden Zeilen liest, denkt man automatisch an das bekannte Weihnachtslied O Tannenbaum. Das Weihnachtslied ist dabei das Original und der Text oben die Nachahmung. Da die Nachahmung das Original nicht nur imitiert, sondern sich darüber lustig macht oder es verspottet, spricht man in diesem Fall von einer Parodie. Eine Parodie ist also eine das Original verspottende oder ins lächerliche, komische ziehende Nachahmung.
Dabei behält die Parodie meistens die äußere Form des Originals bei, verändert aber bewusst den Inhalt, indem sie ihn ins Gegenteil verkehrt, verspottet oder übertreibt. Und genau dadurch entsteht dann die komische Wirkung.
Weil die Parodie meistens die Form des Originals beibehält, bleibt sie selbstverständlich auch meistens innerhalb des Genres, auf das sie sich bezieht. Im allgemeinen bedeutet das, dass Literatur Literatur, Musik Musik und Filme andere Filme parodieren. Im besonderen heißt das, dass die Parodie eines Dramas meist selbst ein Drama, die Parodie eines Lieds ein Lied, und die Parodie eines Western ein Western ist. Das muss aber nicht immer so sein. Comics zum Beispiel parodieren gern die verschiedensten Themen wie Filme, Bücher, bekannte Persönlichkeiten oder auch Werbung.


Illustration: Halina Kirschner

Voraussetzung, dass die Parodie verstanden werden kann, ist natürlich, dass der Leser, Hörer oder Zuschauer das Original überhaupt kennt. Aus dem Grund werden vor allem bekannte Werke parodiert. Und von den bekannten Werken eignen sich besonders solche als Vorlage, die markante Figuren oder Texte mit eigenem Stil oder hohem Wiederkennungswert haben. Denn dann kann das Publikum das Original trotz seiner nachahmenden Verzerrung besser erkennen.
Die literarische Parodie kann ein eigenes Genre sein, wenn in den Texten die parodistische Schreibart vorherrscht. Sie kann aber auch als Stilmittel in Texten bezeichnet werden, in denen nur ab und zu parodistische Elemente auftauchen. Die parodistischen Veränderungen entstehen beispielsweise durch Raffen, Dehnen, Hinzufügen, Weglassen, Umstellen, Verkehren oder Übertreiben des Inhalts. Damit der Leser oder Hörer das Original aber trotz der Veränderungen noch erkennen kann, bleiben in der Parodie neben dem Genre auch der Rhythmus und einzelne Satzteile des Originals häufig gleich.
Der Autor bezweckt mit seiner Parodie in erster Linie, den Originaltext oder dessen Verfasser lächerlich zu machen oder auf dessen Kosten Komik zu erzeugen. Besonders gut klappt das bei sehr ernsten, heldenhaften oder auch sentimental, gefühlvollen Texten, weil dann die „Fallhöhe“ von ernst zu witzig oder von gefühlvoll zu lächerlich sehr hoch ist. Eine weltberühmte Parodie ist beispielsweise Miguel de Cervantes Don Quijote, der sich einbildet, ein tapferer Ritter zu sein und dabei auch gegen eingebildete Riesen und Heere kämpft.
Neben dieser unterhaltsamen Funktion haben einige Parodien aber auch durchaus eine kritische Zielrichtung und erinnern dadurch an die wörtliche Übersetzung von Parodie, nämlich Gegengesang. Erich Kästners Parodie Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn? auf Goethes Gedicht Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn ist ein Beispiel für solch einen Gegengesang oder eine Gegenrede. Kästner kritisierte dabei weniger Goethes Text, sondern machte durch den Kontrast zwischen blühenden „Zitronen“ und „Kanonen“ auf die veränderte politische Situation in seiner Zeit aufmerksam.
Verwandte Formen der Parodie sind übrigens unter anderem die Satire, das Pastiche, die Burleske, die Travestie, die Groteske oder die Karikatur.

Geschichte der Parodie

Die ersten Parodien stammen aus der antiken griechischen Literatur. Es sind komische Epen mit Titeln wie Margites oder Batrachomyomachia von scheinbar unbekannten Verfassern aus dem 7./5. Jh. v. Chr. Diese beiden Parodien richten sich konkret gegen den Dichter Homer und dessen Werke. Manche Wissenschaftler meinen sogar, beweisen zu können, dass diese Parodien von Homer selbst stammen, er also seine eigenen Werke parodiert hat.
Allgemein wurden aber die gesamten alten griechischen Mythen von Helden und Göttern gern parodiert. In der römischen antiken Literatur waren Komödien häufig gleichzeitig Parodien, die den tragenden, pathetischen Stil der Tragödien verspotteten.


Illustration: Halina Kirschner

Im Mittelalter ahmten wandernde Schauspieler auf Märkten das höfische Theater nach, das dem einfachen Volk nicht zugänglich war. Poeten parodierten den Minnesang und die höfische Epik genauso wie die bäuerliche Dichtung, über deren groben und einfachen Stil sie sich lustig machten. Vor allem die Helden- und Ritterepen wurden gern verspottet. Don Quijote ist die bekannteste Parodie auf die Ritterepen des Mittelalters.
In der epischen Literatur richteten sich die Parodien aber auch oft kritisch gegen die Kirche. Die Bibel diente in den meisten Fällen als literarische Textvorlage. Damals kursierten innerhalb der gebildeten Schichten die sogenannten Höllen- oder Teufelsbriefe, die den strengen Ton der päpstlichen Schreiben nachahmten.
Im 15./16. Jahrhundert, während des Humanismus, der Reformation und des Barocks, wurde die Parodie als eigenständige literarische Technik des Nachahmens festgeschrieben. Während dieser Epochen kritisierten die Parodien weiterhin die kirchliche Bevormundung und die oberflächliche höfische Gesellschaft. Die Märchen des französischen Barock-Dichters Charles Perrault beispielsweise sind unter anderem ironische Parodien des höfischen Lebens.
In den folgenden Epochen und Jahrhunderten wurde weiterhin viel und leidenschaftlich parodiert. Meistens nahmen die Dichter einer Epoche die Vertreter, vergangener Epochen auf's Korn, weil sie so am besten ihre Ablehnung gegenüber dem anderen Stil ausdrücken konnten. So schrieben beispielsweise die Romantiker wie E. T. A. Hoffmann mit Lebensansichten des Katers Murr oder Ludwig Tieck mit Der gestiefelte Kater gegen die Aufklärer und Klassiker an, die Realisten und Naturalisten wiederum gegen die Romantiker, die Impressionisten gegen die Naturalisten und so weiter. Vor allem Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller oder deren Texte waren häufig Opfer von Parodien. Das lag nicht nur an ihrer Bekanntheit, sondern auch daran, dass beide Dichter die Parodie strikt ablehnten, weil mit ihr das „Hohe, Große und Edle“ auf eine flache Ebene heruntergezogen wird. Schillers Gedicht Lied von der Glocke ist bis heute das am häufigsten parodierte Gedicht.
Anfang des 20. Jahrhunderts kam es durch die rasante Entwicklung der Varietés und Kabaretts zu einem regelrechten Parodie-Boom. Ein literarischer Schwerpunkt des Kabaretts der Jahrhundertwende war die theatrale Parodie. Es wurden extra Parodietheater gegründet, in denen nur Stücke aufgeführt wurden, die andere Dramen parodierten.
Bis in die postmoderne Gegenwart hinein spielt die Parodie als literarische Technik eine wichtige Rolle. Seit den 1960 Jahren ist sie ein Ausdrucksmittel für Schriftsteller, um beispielsweise die Begrenztheit traditioneller Gattungen zu veranschaulichen.

Parodien in der Kinderliteratur

Bei Parodien in der Kinderliteratur gilt natürlich auch, dass die Leser die Vorlage, also das Original, auf die sich die Parodie bezieht, kennen müssen. Weil Kinder aber meistens noch nicht so viele Texte gelesen haben, gibt es in der Kinderliteratur weitaus weniger Parodien als in der Literatur für Erwachsene. Außerdem wollte man Kinder viele Jahre nicht durch Parodien verunsichern.
Doch in den späten 1960er Jahren wurde von verschiedenen Verlegern, Autoren und Vermittlern von Kinder- und Jugendliteratur immer wieder gefordert, Kinder mehr an den politischen und alltäglichen Diskussionen teilnehmen zu lassen und sie nicht in einen Schonraum abzuschieben. Darum fanden nun auch Parodien verstärkt Eingang in die Kinder- und Jugendliteratur. Sie waren weniger Mittel, die Kinder zum Lachen zu bringen, als sie zum Nachdenken über Machtstrukturen und veraltete Konventionen anzuregen.
Damit die Kinder die Parodien überhaupt verstehen konnten, waren als Vorlage Märchen und Ritter, Räuber- oder Cowboygeschichten beliebt.
Seit Ende der 1960er Jahren findet man in der Kinder- und Jugendliteratur deshalb mehr und mehr Parodien.
Paul Maars Die Geschichte vom bösen Hänsel, der bösen Gretel und der Hexe ist beispielsweise eine Parodie auf das bekannte Märchen der Brüder Grimm. Darin verkehrt Maar die Eigenschaften der Figuren aus dem Originaltext ins Gegenteil: Hänsel und Gretel sind böse, verlogene Kinder. Die Hexe dagegen ist freundlich und hilfsbereit. Der Autor schreibt mit seiner Parodie gegen die altmodische, überholte Moral der Märchen an.
Das Märchen Hänsel und Gretel ist ohnehin eine beliebte Vorlage für Parodien. Bekannt wurde zum Beispiel Michael Endes Gedicht Ein sehr kurzes Märchen:

Hänsel und Knödel,
die gingen in den Wald.
Nach längerem Getrödel
rief Hänsel plötzlich: „Halt!”

Ihr alle kennt die Fabel,
des Schicksals dunklen Lauf:
Der Hänsel nahm die Gabel
und aß den Knödel auf.

Auch Janosch parodiert in dem Buch Janosch erzählt Grimms Märchen einige Märchentexte und verändert sie so, dass ihre Aussage lachhaft wird.
In den 1970er Jahren parodierten Kinderbuchautoren, wie Christine Nöstlinger in Der liebe Herr Teufel, oft das autoritäre Verhalten der Erwachsenen, um es zu kritisieren. Auch die unzähligen Struwwelpeter-Parodien, wie beispielsweise von Friedrich Karl Waechter, verzerren bis heute Erwachsenenautorität und Moralvorstellungen ins Komische.
Auch der bürgerliche, sentimentale Mädchenroman im Stil von Else Urys Nesthäkchen lieferte viel Stoff für Parodien. Zum Teil kann auch Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf als Parodie auf das traditionelle Mädchenbuch gelten, weil sie darin mit ihrer Heldin Pippi das genaue Gegenteil des wohlbehüteten, anständigen Mädchens zeigt.
Die Helden der abenteuerlichen Kinder- und Jugendliteratur wurden und werden ebenfalls gern aufs Korn genommen: Räuber, Ritter, Detektive, Cowboys oder Seefahrer. So zeigen Gudrun Pausewangs Kinderbücher von Räuber Grapsch einen Räuber, der eher unbeholfen und komisch wirkt und gar nichts Furchteinflößendes an sich hat.
Und natürlich bleiben auch die bekannten Kinder- und Jugendbücher der Gegenwart nicht vor Parodien verschont. So gibt es Harry Potter-Parodien nicht nur als Buch, sondern auch in den unterschiedlichsten Formen im Internet.
Insgesamt will die parodierende Kinder- und Jugendliteratur ihre Leser unterhaltsam zum selbständigen Denken und Handeln auffordern. Sie richtet sich unter anderem gegen veraltete Moral- und Autoritätsvorstellungen oder weltfremde und idealisierte Heldenfiguren.

http://www.spitze-feder.de/parodie.php