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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher

 

Rossipottis Leibspeise

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

* * *

treffpunkt tatort: der einzelgänger

"Wir müssen sofort den 'einzelgänger' von K.P. Wolf vorstellen."
Rossipotti hält ein knallgrünes Buch mit gelbem Rücken in der Hand. "Los schreib auf: Ein Junge stürzt sich vom Schuldach und seine Mitschüler schauen tatenlos dabei zu ..."

"Warum die Hektik?" unterbreche ich Rossipotti. "War das Buch so gut?"

"Hä?" macht Rossipotti. "Wenn wir nicht gleich loslegen, vergesse ich den Inhalt."

"Dann war der Krimi also extrem langweilig?"

"Seit wann stellen wir hier langweilig Bücher vor?" fragt Rossipotti ungeduldig. "Ich kann mir Krimis generell nicht merken! Wozu auch? Krimis sollen mich im Augenblick unterhalten und danach in Ruhe lassen."

"Das funktioniert doch nur bei belanglosen Texten!" beharre ich. "Gute Krimis gehen unter die Haut und stoßen dir auch noch am nächsten Tag auf."

"Ach, das meinst du!" sagt Rossipotti. "Aber der Magensaft reicht doch nicht bis zum Kopf! Warum sollte ich mir auch merken, welcher Mörder welches Opfer umbringt? Und was bringt es mir für mich persönlich, wenn ich weiß, welche Indizien der Kommissar gesammelt hat, um den Mörder zu überführen? Nichts! Ich merke mir bei Büchern grundsätzlich nur das, was mich in meinem persönlichen Leben inspiriert oder mich um Erfahrungen reicher macht."

"Es könnte dich auch erfahrener machen, zu sehen, wie Kinder dabei zusehen, wie ihr Klassenkamerad vom Dach stürzt."

"Theoretisch schon", gibt Rossipotti zu. "Aber praktisch nicht. Wann komme ich selbst schon mal in so eine Situation? Das ist reines Gedankenspiel, das hat nichts mit mir zu tun."

"Mit dir vielleicht nicht", gebe ich zu Bedenken. "Aber mit anderen schon."

"Gut möglich", sagt Rossipotti. "Das ist auch einer der Gründe, warum ich das Buch ausgesucht habe. Außerdem wollte ich unbedingt eine Krimi-Reihe für Kinder vorstellen. Reihen haben den Vorteil, dass man sich immer wieder in die gleiche Umgebung beamen kann. Aber leider sind die meisten Krimi-Reihen zu billig, zu bekannt oder haben eben gar nichts mit dem Erleben der Kinder zu tun."

"Und 'der einzelgänger' ist weder billig noch bekannt?"

"Nich zu billig, nicht zu bekannt", formuliert Rossipotti vorsichtig. "Ich würde sagen, er ist handwerklich solide gestrickt und einigermaßen spannend."

"Das ist alles?"

"Na und?" sagt Rossipotti. "Den 'Tatort' schauen sich doch auch jeden Sonntag einige Millionen Leute an. 'treffpunkt tatort' ist dasselbe für Kinder und Jugendliche. Aber jetzt möchte ich endlich anfangen! Ich weiß ja jetzt schon nicht mehr, wie der Junge hieß, der sich vom Dach gestürzt hat."

"Kai Lichte", lese ich vom Klappentext des Buchs ab. "Und die Mitschüler Jan, Doro, Tim und Lina nehmen anscheinend die Ermittlungen auf."

"Ja, ich erinnere mich!" sagt Rossipotti und runzelt die Stirn. "Also: Schreib auf: Nachdem Jan, Doro, Tim und Lina bei Kais Sturz tatenlos zugesehen haben, packt sie das schlechte Gewissen und sie ermitteln gegen den Willen der Polizei auf eigene Faust. Stürzte sich Kai selbst vom Dach oder wurde er von jemandem anderen gestoßen? Zwar ist Kai ein Einzelgänger, aber bringt man sich deshalb gleich um? Noch während die Kinder dem Verbrechen auf der Spur sind, wird Tim plötzlich selbst der Tat verdächtigt! Von einer Sekunde zur nächsten ändert sich das Blatt und ..."

"Und?" frage ich, nachdem Rossipotti mitten im Satz aufhört.

"Und du", fährt Rossipotti fort, "hast anscheinend noch nie gehört, dass Krimis langweilig werden, wenn man ihren Ausgang schon kennt?"

K.P. Wolf: treffpunkt tatort: der einzelgänger. arsEdition GmbH. München 2007.

* * *

Fletcher Moon

"Bernstein sagt: Niemand ist je auf Grund von Vermutungen veruteilt worden."

"Schön wär's", sage ich. "Aber leider ist das nur idealistisches Geschwätz!"

"Von wegen!" sagt Rossipotti und klappert wichtig mit den Augendeckeln. "Bob Bernstein, der legendäre FBI-Agent, ist durch und durch Realist! Und dann wurde er auch noch Privatdetektiv und gründete in Washington die Bernstein-Akademie, um angehende Detektive in dem knallharten Gewerbe auszubilden ..."

"In deinem Buch vielleicht!" kontere ich. "Aber in echt sind schon viel zu viele Menschen nur auf Grund von Vermutungen verurteilt worden!"

"Ach, wer denn?" fragt Rossipotti angriffslustig. Offensichtlich empfindet er große Sympathie für seinen fiktiven FBI-Agenten und Privatdetektiv.

"Zum Beispiel alle Verurteilten im 18. Jahrhundert", sage ich etwas pauschal und klopfe mit meiner Schwanzflosse auf ein vergilbtes, sehr zerfleddertes, in braunes Papier eingebundenes Buch mit dem Titel Merkwürdige Kriminal-Rechtsfälle.
"Damals war man nämlich der Auffassung, dass man Verbrechen nie mit mathematischer Genauigkeit nachweisen könne. Also waren alle Angeklagten nur wahrscheinlich oder vermutlich Täter eines Verbrechens, aber nicht sicher!"

"Das ist doch alter Kaffee!" wiegelt Rossipotti ab. "Heute hat man einen ganz anderen Leitspruch: 'Im Zweifel für den Angeklagten'. Der Rest muss eindeutig bewiesen werden."

"Interessant", sage ich. "Und was sagst du dann zum Beispiel zur kürzlich eingeführten Vorbeugehaft?"

"Pah!" macht Rossipotti. "Muskelspiele des Innenministers! Mit dem müsste Bernstein nur mal ein ernstes Wörtchen reden!"

"Klar, Bernstein! Wie konnte ich ihn nur vergessen", sage ich mit ironischem Unterton. "Was aber, wenn er gerade dienstlich verhindert ist?"

"Dann muss man eben eine andere Ermittlerregel Bernsteins beherzigen: Bleib unsichtbar. Setz die Puzzleteile zusammen, aber werde nie selbst ein Teil des Puzzles."

"Klingt gut!" sage ich und bin wirklich ein wenig beeindruckt. "Ich werde es gleich einmal versuchen."
Ich drücke auf einen versteckten Knopf in meinem Bilderrahmen. Fast lautlos öffnet sich die Tapeten-Tür in der Wand und in wenigen Sekunden bin ich auf der andreren Seite verschwunden.

"Halt!" ruft Rossipotti mir nach. "Hiergeblieben! Ich habe dir doch noch gar nicht alles über Bernstein und Fletcher Moon erzählt!"

Aber der Fisch bleibt verschwunden. Man hört nur noch einen leisen Dreiklang, dann ist alles ruhig.

"Seltsam!" sagt Rossipotti, als seine Leibspeise auch nach fünf Minuten nicht wieder gekommen ist. "Ich hätte ihm gar nicht so viel Zivilcourage zugetraut. Egal, dann stelle ich Eoin Colfers Detektivroman "Fletcher Moon" eben alleine vor. Das mache ich ausnahmsweise sogar einmal gerne."

Rossipotti setzt sich vor den Laptop seiner Leispeise und tippt mit konzentriertem Blick auf die Tastatur in seinen Computer:

"Bob Bernstein, FBI-Agent und Gründer der Detektiv-Akademie ist zwar ein genialer Kopf, doch nichts gegen seinen ehemaligen Schüler, den zwölfjährigen Fletcher Moon, stolzen Besitzer der Akademie-Dienstmarke. Fletcher Moon knackt jeden Fall, kennt jeden Trick und ist sich nicht zu schade, mit Gangstern und hartgekochten Verbrechern zu kooperieren. Mit dem allgemeingefährlichen Red verschafft er sich Zugang zur ortsansässigen Mafia, entlarvt ihre grausamen Machenschaften und entdeckt, dass die eigentlichen Verbrechen im Zentrum der Macht zu finden sind. Mit Red zusammen, der ihm durch die Ermittlungen zum treuen Freund wird, will er in Zukunft mit einem gemeinsamen Detektivbüro gegen Unterdrückung und für Gerechtigkeit kämpfen ..."

Rossipotti grunzt zufrieden und liest, was er bis dahin geschrieben hat.
Doch, was ist das?
Der Text, den er jetzt auf seinem Bildschirm liest, hat fast nichts mehr mit dem zu tun, den er eben geschrieben hat. Statt Fletcher Moon, ist da plötzlich von einem schmächtigen Jungen namens "Halfmoon" die Rede. Und anstatt Verbrecher zu jagen, kümmert sich Fletcher, alias Halfmoon, nur noch um geplünderte Frühstücksdosen, Hausaufgabenfälscher und geklaute Lollis!
Die größte Frechheit ist aber der Satz, der behauptet, dass sich Fletcher mit dämlichen Barbies und gestohlenen Mädchen-Locken abgeben soll:

"Seinen bisher ersten großen Fall bekommt Halfmoon von April Devereux, der Ober-Barbie aus der Highscool. Angeblich hat ihr jemand die stinkteure Locke ihres Liebling-Popstars Shona Biederbeck gestohlen ..."

Rossipotti will schon den ganzen fremden Text markieren und auf "entfernen" drücken, als sich vor seinen Augen wie von Geisterhand geschrieben weiter ein Satz nach dem anderen aufbaut. Gebannt starrt Rossipotti auf den Schirm:

"... Fletcher will diesen lächerlichen Auftrag ablehnen, doch Shona überzeugt ihn, dass es nicht nur um die Locke, sondern um die Überführung eines kriminiellen Hehlerrings geht. Fletcher stimmt zu und steckt bald bis zum Hals in Schwierigkeiten. Er wird hinterrücks mit einem Baseball-Schläger niedergeschlagen, seine Eltern verbieten ihm, weiter an dem Fall zu arbeiten, er wird beschuldigt, bei den Devereuxs ein Feuer gelegt zu haben und die Rektorin der Schule ist sich sicher, dass Fletcher endgültig auf die schiefe Bahn geraten ist. Wäre da nicht Red Sharkey aus der berüchtigten Kriminellen-Familie, für Fletcher würde es ziemlich schlecht aussehen ..."

Rossipotti ist so in das Lesen des Textes vertieft, dass er vor Schreck fast vom Stuhl fällt, als ihm jemand von hinten mit einer kalten Flosse auf den Kopf klatscht.

"Und wie war mein Einsatz?" fragt der Fisch stolz. "War ich nicht ein toller unsichtbarer Text-Puzzle-Hacker?"

Eoin Colfer: Fletcher Moon. Aus dem Englischen von Catrin Fischer. Carlsen Verlag. Hamburg 2006.

 

* * *

Kiki Strike

"Mach das nie wieder!" schnaubt Rossipotti und funkelt wütend mit den Augen. "Wusstest du nicht, dass man an Schock sterben kann?"

"Ach, ein bisschen sollte man schon aushalten können, wenn man von morgens bis abends Krimis liest!" sage ich überzeugt.
Der kleine Klatscher auf den Hinterkopf schadet Rossipotti sicher nichts. Außerdem freue ich mich, dass ich Rossipotti mit meiner Computer-Hacker-Aktion beeindrucken konnte. Auch wenn er es nie zugeben würde.

"Einen Krimi zu lesen ist etwas ganz anderes, als in einem Krimi zu sein!"

"Wirklich?" ziehe ich ihn auf. "Nein im Ernst: Ich würde gerne mal in einem mitspielen."

"Als Opfer?" fragt Rossipotti und leckt sich das Maul.

"Quatsch!" sage ich, "als eine der Detektivinnen bei Kiki Strike. Vorhin hinter der Tapetentür habe ich gedacht, wie aufregend es wäre, jetzt zu Kiki Strike, Luz Lopez und den anderen unter New York in die Schattenstadt zu klettern. Aber unser Keller endet ja leider nur in der Gerümpelkammer, anstatt mit Falltüren in eine unterirdische Stadt zu führen."

"Und du würdest in dem Roman wahrscheinlich die Ich-Erzählerin Ananka Fishbein abgeben?" lästert Rossipotti. "Ich kann es mir prima vorstellen: Mit Designer-Brille und einer schicken Frisur würdest du bald schon alle Mitschüler beeindrucken. Nur würdest du leider bei der ersten Monsterratte, die dir da unten begenet, das Weite suchen."

"Nicht wenn ich den erstklassigen Anzug von Betty Bent anhätte und den Rattenschreck von Ananka Fishbeins Urgroßvater!"

"Und was würdest du da unten überhaupt wollen?" fragt Rossipott. "Besonders spannend war es da wirklich nicht. Ein paar alte Salons und Lagerhäuser. Das kannst du auch hier oben haben."

"Du vergisst die Skelette und den Schatz."

"Der mittlerweile gehoben ist."

"Spielverderber!"

"Aufschneider!"

"Langweiler!"

"Lügner!"

"Im Gegensatz zu dir weiß ich wenigstens, was mich hier hinter der Tapetentür erwartet, du traust dich ja nicht einmal einen Meter ins Dunkel."

"Dass ich nicht lache!" sagt Rossipotti. "Ich gehe dort nur nicht hin, weil ich diese mickrigen Ratten nicht erschrecken will. Was denkst du, wie viele ich mit einem einzigen Schwanzschlag erwischen würde?"

"Trotzdem!" sage ich. "Dir hat das Buch doch auch gefallen! Immerhin hast du es in einem Satz durchgelesen."

"Es war nicht schlecht", lenkt Rossipotti ein. "Vor allem war es mal etwas ganz anderes. Mir hat vor allem die comicartige Beschreibung der Szenen und Personen gefallen. Man merkt, dass die Autorin in einer Werbeagentur arbeitet und das bringt mal einen frischen Wind in die verstaubte Buchwelt. Von der unterirdischen Schattenstadt und den Verwicklungen mit der Gangster-Welt New Yorks habe ich mir allerdings mehr versprochen."

"Aber die zwölfjährige Kiki Strike mit ihren eisblauen Augen und weißen Haaren war doch klasse?"

"Geht so", sagt Rossipotti. "Zuerst wurde ein großes Geheimnis um sie aufgebaut, um dann am Schluss mit irgendeiner belanglosen Erklärung daherzukommen. Mich zumindest hat die Auflösung nicht vom Hocker gerissen."

"Angeber!"

"Banause!"

"Verräter!"

"..."

Kirsten Miller: Kiki Strike. Die Schattenstadt. Bloomsbury. Berlin 2006.

 

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Der Unsichtbare

"Jetzt brauchen wir mal einen richtig guten Thriller", sagt Rossipotti und reibt sich vor Vorfreude die Hände. "Einen, der von Anfang bis Ende spannend bleibt. Einer, bei dem man nicht weiß, wo man steht, und bei dem man mit dem gefährdeten Opfer bis zum Schluss mitzittert."

"Mats Wahl", sage ich. "Du brauchst Mats Wahl."

"Ziemlich gut", nickt Rossipotti. "Aber was ist zum Beispiel mit Monika Feth oder Ulrike Bliefert? Deren Bücher sollen doch auch so spannend sein."

"Was?!" sage ich erstaunt. "Die Bücher sind langatmig, zum Teil abgekupfert, außerdem durchschaubar, klischeehaft, brigittehaft, suche dir ein Adjektiv davon aus."

"Also das Gegenteil von Mats Wahl?"

"Wenn du mal außer acht lässt, dass seine Bücher stark an Henning Mankell erinnern, ja!" sage ich.

"Dann lass uns seinen ersten Jugendkrimi 'Der Unsichtbare' vorstellen", entscheidet Rossipotti. "Der fängt gleich so irritierend gut an, dass einem schwindlig werden kann."

"Du meinst jenen 'ersten Tag im Mai, als Hilmer Eriksson entdeckte, dass er unsichtbar geworden war'?"

Rossipotti nickt.

"Ich habe tatsächlich auch einige Zeit gebraucht, bis ich verstanden habe, auf welche Weise Hilmer unsichtbar geworden ist", sage ich.

"Geradezu unheimlich", sagt Rossipotti. "So etwas habe ich noch nie zuvor in einem Krimi gelesen. Aber gerade, weil man bis zum Schluss nicht weiß, woran man mit dem Unsichtbaren eigentlich ist, und ob es Hoffnung für das Opfer gibt, ist das Buch ja so spannend."

"Willst du nicht endlich die Katze aus dem Sack lassen und sagen, was es mit dem Unsichtbaren auf sich hat?"

"Auf keinen Fall!" sagt Rossipotti. "Wir können höchstens noch verraten, dass es in dem Buch außerdem um Freundschaft, Solidarität und eine rechtsradikale Szene geht, die von der Gemeinde und dem Schuldirektor fast bis zum Schluss unter den Teppich gekehrt wird."

"Und um Kommissar Fors, der noch in einigen anderen Krimis von Mats Wahl komplizierte Fälle löst."

"Von mir aus: Und um Kommissar Fors, der noch in einigen anderen Krimis von Mats Wahl komplizierte Fälle löst."

Mats Wahl: Der Unsichtbare. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 2003.

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Detektiv John Chatterton

"Wie wäre es zum Schluss mit einem Titel für die jüngeren Leser?" fragt Rossipotti. "Vielleicht gibt es ja einige, die schon mit sieben Jahren das Gruseln lernen wollen?"

"Denkst du an Kalle Blomquist?" frage ich. "In Ordnung. Die Bücher sind zwar etwas altmodisch, und die beiden verfeindeten Kinderbanden haben aus heutiger Sicht einen merkwürdigen Ehrenkodex, aber die Trilogie ist sehr spannend. Und Astrid Lindgren ist immer gut."

"Vor allem der zweite Band hat es in sich", meint Rossipotti. "Als Lotta alleine mit dem Mörder in dem verfallenen Haus ist, hat sogar mir der Atem gestockt. Aber erzählen wir den Kindern wirklich etwas Neues, wenn wir über Kalle Blomquist reden?"

Ich zucke mit den Schultern und schlage dann einen der vielen Rätselkrimis vor.

"Rätselkrimis sind zwar schön und gut", sagt Rossipotti, "aber wir kämen doch auch nicht auf die Idee, Sudoku-Bücher vorzustellen? Nein, ich glaube, ich habe da eine bessere Idee."

Rossipotti steht auf und geht zu einem der unübersichtlichen Bücherhaufen in der Ecke, in der er offensichtlich seine Krimis, Thriller und Detektivgeschichten sammelt. Er wühlt ein bisschen in dem Haufen und sagt dann:
"Bei den Unmengen von Krimibüchern, die es gibt, sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und deshalb lasse ich jetzt den Zufall entscheiden, welches Buch wir als letztes vorstellen."

Rossipotti schließt die Augen und zieht dann das Buch "Franz Ratte taucht unter" aus dem Stapel.

"Oh", sagt Rossipotti. "Ich habe mich wohl vergriffen. Bei dem Buch bin ich keine zwanzig Seiten weit gekommen."

Rossipotti legt das Buch zurück und greift nochmals hinein.
"'Salamander im Netz' von Elisabeth Honey", stellt Rossipotti fest, als er die Augen öffnet. "Nicht schlecht, durchaus lesenswert. Aber irgendwie habe ich mir etwas anderes erwartet. Etwas Einmaligeres, Frischeres, Witzigeres. Etwas, das nicht nur die jüngeren Leser vom Hocker reißt, sondern das man immer lesen kann."

Er legt das Buch zurück und wühlt jetzt mit geschlossenen Augen am unteren Ende des Haufens. Wenn ich es von meinem Platz richtig sehe, blinzelt Rossipotti immer wieder ein wenig.
Er wühlt auffallend lange, doch endlich fischt er ein schmales DIN A5 Bändchen im Querformat aus dem Haufen. Auf dem Umschlag sieht man einen comicartig gezeichneten schwarzen Kater mit Schlips und Trenchcoat, der mit entsetzten Augen auf eine rote Kindersandalette starrt.

"Wow!" ruft Rossipotti erregt. "Das kann kein Zufall, das muss Schicksal sein! Sieh mal, was ich hier herausgezogen habe: 'Detektiv John Chatterton' von Yvan Pommaux. Genau das, was ich gesucht habe! Nach den ganzen Krimis ist das endlich mal eine richtige Detektivgeschichte! Eine Geschichte, in der der coole Kater John Chatterton wie Philipp Marlowe eins und eins zusammen zählt und der bezaubernden Madame aus gutem Hause ihr geraubtes Töchterchen wieder bringt ..."

"Ich denke, man soll nie den Schluss eines Krimis verraten?" weise ich Rossipotti auf seinen Fauxpas hin.

"Ach was!" sagt Rossipotti. "In diesem Buch geht es doch nicht um den Schluss des Buchs. Spätestens seit Rotkäppchen weiß man, dass die Geschichten mit dem roten Mädchen gut ausgeht. Hier geht es um die tollen Zeichnungen, die knappen Szenen mit ihren unerwarteten Perspektiven und die Zitate aus Film- und Märchenwelt."

"Und was ist das wirklich Herausragende daran?" bohre ich weiter.

Rossipotti sieht mich befremdet an. Dann grinst er:

"Dass ich die Bilder auch nach fünf Jahren noch nicht vergessen habe!"

Yvan Pommaux: Detektiv John Chatterfield. Moritz Verlag. Frankfurt am Main 1994.

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Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

Nick Nase & Co

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber wenn ich an Kriminal- oder Detektivgeschichten denke, dann fällt mir sofort Emil ein und wie er mit Hilfe von Berliner Kindern den Dieb seines Geldes nicht nur in die Enge trieb, sondern ihn auch noch beweiskräftig überführte. So konnte, nein, so musste die Polizei den Mann verhaften. Emil bekam sein Geld zurück und wurde zum Held des Tages und des Kinderbuches von Erich Kästner.
"Emil und die Detektive", "Kalle Blomquist" von Astrid Lindgren, "Kommt ein Löwe geflogen" von Max Kruse und "Detektiv Pinky" von Gert Prokop - um nur einige Titel aus dem ständig großen Angebot von Büchern dieser Thematik im Handel zu nennen - gehören schon lange zu den Kinderliteraturklassikern.
Als Klassiker bezeichnet man Bücher, die nicht nur in der Erinnerung Einzelner leben, sondern die immer wieder von den Verlagen herausgebracht werden müssen, weil eine Generation nach der anderen gerade diese Geschichte neu entdeckt. Es gibt Bücher und Schriftsteller, die in einer bestimmten Zeit sehr bekannt oder sogar berühmt sind, weil sie das darstellen, was die Menschen gerade erleben, weil sie genau das sagen, was die Menschen in dem Jahrzehnt, in dem Jahrhundert denken und fühlen bzw. weil sie den Geschmack aufgreifen, der gerade modern ist. Aber durch die Veränderungen des täglichen Lebens stirbt mit dem Autoren das öffentliche Interesse an diesen Werken. Sie geraten in Vergessenheit und sind manchmal nur noch den Literaturwissenschaftlern und den Sammlern von Kinderbüchern ein Begriff. Klassiker aber sind immer aktuell. Sie sind zeitlos. Sie werden rund um den Erdball unabhängig von Zeit und Ort immer von Kindern und Erwachsenen gelesen.

Nick und seine Fälle

In die Reihe der Kinderbuchklassiker kann auch Nick Nase eingeordnet werden. Bereits 1978 wurde Nick von seiner amerikanischen Schöpferin Marjorie Weinman Sharmat auf die Saurierspur geschickt. "Ich bin Nick Nase, der berühmte Detektiv. Mein Hund heißt Schnuffel und ist auch Detektiv." So oder ähnlich beginnt Nick jeden Bericht über seinen letzten Fall. Und damit weißt du natürlich gleich, dass es vor diesem letzten einen vorletzten, einen vorvorletzten, eben viele Fälle davor gegeben haben muss. So zum Beispiel: "Nick Nase stellt eine Falle", "Nick Nase und die verschwundene Weihnachtskarte".
Ich empfehle dir heute die CD "Nick Nase und die Geister". Besonders gefällt mir, dass alle Kinderfiguren auch von Kindern gesprochen werden. Du kannst dir diese CD gemeinsam mit deinen jüngeren Geschwistern anhören, denn die Geschichten von Nick sind für Kinder ab 5 Jahren geeignet. Ach, rümpf deswegen nicht die Nase! Du kannst ja versuchen, die Lösung vor Nick zu finden.
Übrigens, ist dir schon einmal aufgefallen, dass oftmals unser Riechorgan, die Nase, herangezogen wird, wenn knifflige und geheimnisvolle Rätsel gelöst werden müssen? Bei Nick Nase verstehen wir mit seinem Namen sofort, dass das ein kluger, pfiffiger Junge sein muss. Wahrscheinlich sind wir Menschen so beeindruckt davon, dass viele Tiere eine Spur mit der Nase finden können. Und mit dieser Witterung in ihrer Nase verfolgen sie die richtige Spur bis sie ihre Beute stellen können. Mit solch einem besonderen Spürsinn ausgerüstet, ist meist auch ein guter Detektiv oder eine gute Kommissarin. Tiere spielen als Begleiter der Kinderdetektive eine sehr wichtige Rolle. Sie sind ihre Gefährten und sie helfen den Kindern, indem sie sie manchmal sozusagen mit der Nase auf eine Sache stoßen.

Marjorie Weinman Sharmat: Nick Nase und die Geister. Igel Records. Dortmund 2005.

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Kommt ein Löwe geflogen

Der Löwe Totokatapi und seine Freunde fliegen auf einem fliegenden Teppich in die kleine Stadt Irgendwo. Dort hat Totokatapi ein Kaufhaus geerbt. Aber Mister Knister hat ihn übers Ohr gehauen, sich das Erbe unter den Nagel gerissen und hat finstere Pläne ausgeheckt ...
Auch dieses Buch ist etwas für die ganze Familie. Deine Eltern werden sich an ihre Kinderlesezeit und die Augsburger Puppenkiste mit den liebenswerten Verfilmungen der Löwe-Geschichten von Max Kruse erinnern. Deine kleineren Geschwister können schmökern. Du allerdings kannst dich an den Computer setzen und die zum Buch gehörende CD-Rom erkunden.

Max Kruse: Kommt ein Löwe geflogen. Mit Bildern von Horst Lemke. Thienemann Verlag. Stuttgart 1995.

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Detektiv Pinky

Bei der Durchsicht der zahlreichen Krimis für Kinder stellte ich fest, dass viele in England oder in den USA spielen. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht klingen die englischen Namen interessanter als die deutschen, vielleicht lässt sich durch die andere Umgebung ein besseres Spannungsfeld aufbauen ... Vielleicht aber hängt es auch damit zusammen, dass die allererste richtige Kriminalgeschichte der Weltliteratur von dem amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe geschrieben wurde. Es ist "Der Mord in der Rue Morgue".
Aber der berühmteste Detektiv Amerikas ist ganz sicher Allan Pinkerton, der 1850 seine Agentur eröffnete und spektakuläre Fälle aufklärte bzw. verhinderte, wie ein Mordkomplott auf den damaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln.
In Detektiv Pinky geht es nicht um diesen berühmten Pinkerton, sondern um einen Jungen, den alle Welt nur Pinky nennt, weil er schon als Kind ein gefragter Ermittler wird, der sogar von Erwachsenen beauftragte wird, Kriminalfälle zu klären.
Bei der Figur von Pinky tritt alles das in Erscheinung, wodurch sich die Kinderdetektive in der Literatur auszeichnen. Sie sind klug, interessiert, selbstbewusst und sie können gut kombinieren. Sie nutzen in der Regel die Überheblichkeit der Erwachsene "Das ist doch nur ein Kind!" aus und kommen so fast unbemerkt an Fakten, mit denen sie die Wahrheit finden. So geht es Pinky. Er kommt groß raus und bleibt trotzdem ein guter Freund, ein liebenswerter Junge. Und das seit über 20 Jahren. Diese spannende Detektivgeschichte erschien das erste Mal 1982.

Gert Prokop: Detektiv Pinky. Illustrationen von Klaus Vonderwerth. Kinderbuchverlag. Berlin 2007.

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Krimi-Reihen

Wie im Fernsehen so gibt es auch bei Büchern ganze Reihen, die immer mit den gleichen handelnden Personen sich neue kriminalistische Glanzstücke leisten. Diese Krimi-Reihen haben den Vorteil, dass man als Leser sofort Bekanntes und Vertrautes entdeckt, dass die einzelnen Geschichten nicht zu lang sind und trotzdem einen Schluss haben und dass die Bücher im Buchhandel relativ preiswert sind. Du musst in der Regel zwischen vier und sieben Euro einplanen. Ich habe Bücher gelesen aus den Reihen: "Die drei ???", "Keine Spur zu heiß", "Lesefix Wissensdetektive".
Letzteres sind immer spannende historische Krimis für Kinder ab 8 Jahren. Eingebaut in die Handlung sind kniffelige Ratefragen. Im Anhang werden Sachinformationen vermittelt.
Empfehlen kann ich dir außerdem "Das Geheimnis des schwarzen Pharaos" in der Reihe "Ein Fall für 3". Es ist eine richtig spannende Abenteuergeschichte mit allem, was dazu gehört, mit rätselhaft Fremdem aus der Pharaonenkultur, mit Dieben, mit Entführung und mit der Freundschaft zwischen Emma, Anne und Paul.
Außerdem haben mir noch die anderen beiden Bücher gefallen, zu denen ich einfach nur aus Platzgründen nichts weiter sagen will.

  • Andrea Jähnel: Die Geheimakten der Superdetektive. Keine Spur zu heiß. Ravensburger Buchverlag. Ravensburg 2007.
  • Andrea Jähnel. Ein Fall für 3. Das Geheimnis der schwarzen Pharaos. Ravensburger Verlag. Ravensburg 2003.
  • André Marx: Die doppelte Täuschung. Kosmos Verlag. Stuttgart 2005.
  • Sabine Streufert: Verrat im Indianerdorf. Lesefix Wissensdetektive. Gondrom Verlag. Bindlach 2007.

 

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Bilderräuber. Die größten Kunstdiebstähle

Die Seiten dieses Buches sind sozusagen noch druckfrisch, denn es ist gerade Ende September 2007 neu auf den Büchermarkt gekommen. Es ist ein Sachbuch mit vielen großen Abbildungen und wenig Text. Darum kündigt der Berliner Aufbauverlag seine Neuerscheinung wohl auch in seinem Verzeichnis der Bilderbücher an. Mario Giordano erzählt von den spektakulärsten Kunstdiebstählen der Welt und wirft dabei u.a. die Fragen auf: Welcher war der größte Kunstraub? Welche Bilder wurden am häufigsten gestohlen? Wie gehen Bilderräuber vor, um an ihre Beute zu kommen?
Abbildungen von allen diesen Bildern kannst du dir in diesem Buch anschauen. Gleichzeitig erfährst du etwas über den Künstler und sein Werk. Mit einer beigelegten Suchschablone kannst du mit deinen Augen immer neue Ausschnitte aus dem Gesamtbild "herausschneiden". Dieses Buch fällt durch sein ungewöhnliches Format, durch die gute Gestaltung und durch sehr gute buchbinderische Verarbeitung auf. Auch wenn es nicht spannend wie eine Krimi-Buch ist, hat es doch auf jeder Seite unendlich viel zu erzählen. Vielleicht regt es dich an, einen eigenen Krimi mit einem selbst ausgedachten Kinderdetektiv oder -detektivin zu erfinden, die alleine oder gemeinsam zum Beispiel das noch immer verschollene Bild "Maya mit Puppe" des berühmten Malers Pablo Picasso aufspüren?

Dabei und natürlich auch beim Lesen wünscht dir wie immer viele unterhaltsame Stunden Helma

Mario Giordano: Bilderräuber. Die größten Kunstdiebstähle. Aufbau Verlag. Berlin 2007.

 

 
 © Rossipotti No. 16, Oktober 2007