Die Kulturtasche im Gespräch mit Heinz-Otto Seidenschnur, ehemaliger Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord, Berlin

Lieber Herr Seidenschnur, als frisch in den Ruhestand verabschiedeter Pfarrer haben Sie viele Jahre Zeit gehabt, sich mit der Bibel und den christlichen Werten auseinander zu setzen. Ist das Glück für Christen ein wichtiger Wert? Oder anders formuliert: Ist das Glück bei den Christen überhaupt ein Ziel?

Was ist Glück? Dass ich im Lotto gewonnen habe? Dass ich in eine wohlhabende Familie hinein geboren worden bin? Dass ich immer gesund geblieben bin? Das ist ja alles mehr oder weniger Zufall.
Die Bibel hat schon eine Vorstellung davon, was wir Glück nennen, aber nicht in dieser zufälligen Weise, sondern in einer anderen, ich sage mal, vertieften Weise. Glück ist hier nicht, dass im Leben alles glatt geht und ich immer zufrieden bin. Sondern dass ich auch bei Schicksalsschlägen und menschengemachten Katastrophen auf Gott vertrauen und hoffen kann. Durch diesen Glauben kann man lernen, die Kraft zu haben, auch in Niederlagen und Katastrophen nicht aufzugeben. Und man kann den Mut finden, weiter zu machen.

Wird der vertrauensvolle Glaube an Gott in der Bibel also mit „Glück“ beschrieben?

Der Begriff „Glück“ kommt in den Übersetzungen des Neuen Testaments so eigentlich gar nicht vor. Statt dessen spielen die Begriffe „das Gute“, „das Tragende“, „das Heil“, „das Segensreiche“, „die Freude“ und allgemein das eine Rolle, was dem Leben grundsätzlich Sinn und Zuversicht gibt. Diese Sinnstiftung ist eigentlich das oberste Ziel des Christentums.
Alle Geschichten in der Bibel versuchen auf irgendeine Weise zu beschreiben, wie ich ein sinnvolles, selbstbestimmtes Leben in Freiheit meiner Gedanken und Gefühle führen kann.
Dadurch, dass ich meinem Leben einen Sinn gebe, entsteht aber natürlich auch Glück.

Welchen Stellenwert hat das Glück im Vergleich dazu im Alten Testament?

Im Alten Testament vertraut der Mensch noch viel mehr darauf, durch sein gottgefälliges Handeln ein gesegneter Mensch zu sein, und die Erfolge dieses Handelns auch an den äußeren Umständen ablesen zu können. Gesundheit, langes Leben, Reichtum und viele Nachkommen schaffen da Glück. Der Begriff „Glück“ wird dort auch einige Male im Zusammenhang damit, dass Gott Glück spendet, ganz direkt genannt.
Im Neuen Testament hängt das Glück viel mehr von der inneren Einstellung des einzelnen ab. Jesus sagt, finde den Sinn des Lebens, finde deine eigene Bestimmung, deine eigenen Gaben und sieh zu, was du aus deinem zeitlich begrenzten Leben machen kannst. Nutze es sinnvoll, koste die kurze Spanne deines Lebens aus. Dann bist du Gott nahe, und dann gehst du auch nicht in den kleinen und großen Katastrophen unter.
Daneben gibt es aber auch grundsätzliche Überschneidungen zwischen Altem und Neuem Testament. Besonders deutlich wird sie im Psalm 73, 28 des Alten Testaments. Dort steht: „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte / und meine Zuversicht setze auf Gott, den Herrn.“ In der Jahreslosung 2014 haben Christen diesen Satz für sich modern übersetzt: „Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“
Und das ist eigentlich auch das Programm des Neuen Testaments und der christlichen Bibel.

Was bedeutet es, Gott nahe zu sein?

Das ist in der Bibel immer zweierlei: Gott ist allen Menschen nah, und der Mensch nähert sich Gott.
Der Mensch nähert sich dann den Ansprüchen, Geboten, Anweisungen von Gott an, wenn er sich vertrauensvoll auf eine Lebenseinstellung einlässt, die sich nicht von den schlechten Erfahrungen, die er im Leben sammelt, sondern von den guten Erwartungen leiten lässt, auch wenn nicht alles wieder heiler und besser werden kann. Das ist also eine positive Lebensgrundhaltung. Wenn ich mich dagegen von den negativen Erfahrungen leiten lassen, zieht es mich immer weiter nach unten. Man sollte also eine positive Grundeinstellung bekommen. Eine andere Sicht auf die Dinge. Und dann ist man Gott nah. Und glücklich.

Sind die Seligpreisungen wie „selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, „selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden“ und „selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ aus der Bergpredigt von Jesus Handlungsanleitungen, wie man eine andere, positive Sicht auf die Dinge bekommen kann? Soll man also erst einmal zu einer Art von Randgruppe werden, um dann selig oder glücklich werden zu können?

Nein, die Seligpreisungen sind keine Handlungsanleitungen, um glücklich zu werden, sondern Versprechen oder Zusprüche, durch den die Angesprochenen ermutigt werden, die Hoffnung trotz alledem nicht aufzugeben.
Davon unabhängig, lernt man das Glück aber sicher besonders schätzen, wenn man auch durch unglückliche Zeiten und durch unglückliche Tage geht, wenn man also beide Seiten des Lebens erlebt und kennen lernt.

Gibt es in der Bibel überhaupt eine konkrete Anleitung, die beschreibt, wie man Gott nah sein und dadurch glücklich werden kann?

Es gibt ein paar Eigenschaften, die die Grundhaltung des christlichen Glaubens wieder geben und die beschreiben, wie man die Sicht auf die Dinge, auf das Leben, auf die Menschen und die Erfahrung verändern und Gott nah sein kann. Das sind:
1. Dankbarkeit. Diese Grundhaltung wird in der Bibel immer wieder beschrieben. Man soll nicht alles als selbstverständlich hinnehmen, sondern erkennen, dass es viele Dinge gibt, für die man dankbar sein kann.
2. Optimismus. Das beste Beispiel in der Bibel dazu steht in Markus 10,13-16, in der Jesus sagt, dass die Erwachsenen wie die Kinder werden sollen, um das Reich Gottes, also die hoffnungsvolle Welt, sehen zu können. Was aber ist der Vorzug der Kinder? Dass sie aus dem Vertrauen, dass alles gut werden kann, leben.
4. Vergebung. Das ist der Kerngedanke des Christentums und ein Prinzip, das auch neue Anfänge ermöglicht. Natürlich gibt es immer wieder Situationen, wo man glaubt, dass man sich nie wieder mit den anderen vertragen wird. Aber wenn man wieder mit den anderen zurecht kommen möchte, muss man vergeben können. Wir sind selbst so oft darauf angewiesen, dass uns vergeben wird. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, sagt Jesus im Vaterunser in der Bergpredigt.
5. Liebe. Jesus von Nazareth wird ja in der Bibel als jemand beschrieben, der mit einem großen Gottvertrauen, in einer großen Nähe zu Menschen und Fähigkeit, sie zu lieben, durchs Leben gegangen ist. Er zeigt, dass wenn man aus dieser Liebe lebt und liebend handelt, man in jeder unterschiedlichen Situation Gott nahe und glücklich sein kann.
3. Im Hier und Heute leben. Jesus sagt das in der Bergpredigt: Seht euch die Vögel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen. Sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag hat seine eigene Plage.
Das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch Sehnsüchte und Wünsche haben kann. Aber man sollte sich nicht zu viele Sorgen machen, sondern darauf vertrauen, dass Gott für einen sorgen wird.
6. Nicht gierig sein und sich nicht mit anderen vergleichen. In der alten jüdischen Zählung der zehn Gebote gibt es vier Gebote, die eher das Verhältnis zwischen Gott und Mensch beschreiben, und sechs Gebote, die das Verhältnis zwischen den Menschen beschreiben. Diese sechs Gebote handeln nun alle in irgend einer Weise von der Gier. Beispielsweise die Gier nach dem Geld des anderen, Gier nach dem Hab und Gut des anderen oder Gier nach dem Leben des anderen. Sie alle sagen aus, dass erst der Vergleich uns dazu verführt, uns schlechter vorzukommen, uns also unglücklich macht. Denn es gibt immer Menschen, denen es besser geht. Die Gier nach dem anderen abzulegen, führt also eher dazu, ein hoffnungsfroher und glücklicher Mensch zu werden.
7. Gemeinschaft. Gute Beziehungen zu anderen Menschen sind sehr wichtig, um glücklich zu werden. Deshalb ist auch die Gemeinde für Christen so wichtig. Hier wird ausprobiert, wie man gemeinsam glücklich werden kann.

Angenommen, es würde einem wirklich gelingen, immer dankbar, optimistisch und ein liebender Mensch zu sein, der niemandem etwas neidet und auch seine Feinde liebt. Würde das dann nicht bedeuten, dass man sich in jeder Situation, egal wie widrig sie ist, egal wie sehr man politisch unterdrückt und von den Reichen ausgebeutet wird, zurecht finden müsste? Sollte man aber nicht auch für sein Glück und gegen ungerechte Zustände kämpfen?

Irgendjemand hat einmal das Gebet geschrieben: „Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
In der Tat ist es sehr schwierig, beides zu unterscheiden.
Im Alten und gerade auch im Neuen Testament gibt es allerdings eine ganze Reihe an Beispielen und Hinweisen, an welchen Stellen man eingreifen soll und wann nicht. Jesus selbst war ein aufsässiger Mensch, der mutig war und seine Meinung vom wahren oder richtigen Leben offen vertreten und auch gelebt hat, sonst wäre er nicht so geendet. Aber im Grunde bleibt es immer die persönliche Freiheit, selbst zu entscheiden, wie man handeln will. Die einen wollen weniger hinnehmen und sind mutig, die anderen wollen und können länger etwas hinnehmen.
Wichtig erscheint mir allerdings, gerade auch im Hinblick auf Jesus, dass man Kritik an anderen und an misslichen Zuständen immer im Maßstab der Liebe machen sollte und nie mit dem Hintergedanken, den anderen nieder oder klein zu machen.

Jesus sagte bekanntlich: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt“.
Können äußerlich reiche Menschen nach dem Neuen Testament Gott also nicht nahe, das heißt glücklich sein?

In der Geschichte, in der Jesus den Spruch mit dem Kamel sagt, kommt zuvor ein reicher Jüngling zu ihm und fragt ihn, wie er das ewige Leben bekommen könne. Jesus antwortet ihm, dass er die zehn Gebote doch kenne. „Ja, ja“, sagt darauf hin der Jüngling, „die zehn Gebote halte ich schon ein.“ Jesus sagt daraufhin: „Na, dann verschenke doch deinen Reichtum an die Armen. Dann bist du vollkommen.“
Doch dann zieht sich der reiche Jüngling zurück. Die Geschichte endet zwar dann, und man weiß nicht, ob der Jüngling nicht doch etwas von seinem Geld abgibt. Aber erst darauf hin sagt Jesus den oben genannten Satz, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr komme als ein Reicher ins Himmelreich. Und deshalb verstehe ich die Geschichte so, dass reiche Menschen Gott schon nahe sein können, aber nur dann, wenn sie sich nicht vom Geld abhängig machen und wenn sie mit ihrem Reichtum verantwortlich umgehen, das heißt, ihn mit anderen teilen. Reichtum allein macht sicherlich nicht glücklich, sondern ist im Gegenteil hinderlich, den Sinn des Lebens zu erkennen und dadurch glücklich zu werden.

Wenn der christliche Glaube offensichtlich doch einiges Wissen enthält, wie man ein erfülltes, glückliches Leben führen kann, warum wirken dann viele Christen nicht richtig glücklich? Oder warum wird der innere Reichtum nicht nach außen hin sichtbar?

„Die Christen müssten mir erlöster aussehen, [...] wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte“, sagte auch Friedrich Nietzsche.
Klar, eigentlich könnten die Christen wirklich glücklicher aussehen, müssten sie eigentlich. Der gewünschte Glaube könnte sicher bei den meisten, ich sehe mich auch darunter, größer und stärker sein, als er praktiziert wird bei jedem einzelnen.
Vielleicht liegt es auch daran, weil das Christentum eine sogenannte Verlierer-Religion ist. Vor zweitausend Jahren war es völlig neu und eigentlich unvorstellbar, dass ein Gekreuzigter zum Erlöser wurde. Damals war es üblich, dass siegreiche Helden Erlöser waren. Christus ist dagegen ein scheinbar Gescheiterter. Andererseits ist er womöglich gerade dadurch auch den Menschen näher als ein strahlender Held.
Aber vielleicht hat das auch mit der Geschichte zu tun, dass das Christentum bis ins 20. Jahrhundert hinein noch relativ deutlich die Schuld und das Versagen der Menschen gepredigt und mit Höllenqualen und Strafen gedroht hat. Dadurch wurde in den christlichen Glauben eine gewisse Härte und Bitternis reingebracht. Vielleicht hat das über die Jahrhunderte das Christentum – neben vielen positiven Entwicklungen, die es auch immer gegeben hat - tatsächlich sehr stark geprägt.
Übrigens hat schon Martin Luther gestört, dass die Christen nicht freier und glücklicher sind. Er fand es einen Irrweg, zuerst die Menschen schlecht zu machen, um ihnen dann mit der Erlösung zu kommen. Heute betonen wir zum Glück eher das Freimachende, nicht das Angstmachende.

Trotzdem betonen auch Sie immer wieder, dass das Leben immer beide Seiten beinhaltet. Also neben der guten, glücklichen Seite auch eine brüchige, leidvolle. Was aber ist mit denjenigen, die nach eigenen Angaben ein durchweg heiteres, glückliches Leben haben. Ist deren Glück dann nicht echt oder irgendwie anrüchig?

Wenn es Menschen gibt, die wirklich ein ganzes Leben lang in einem glücklichen Zustand leben können, wenn sie wenig scheitern und wenige Katastrophen erleben, will ich das natürlich niemandem absprechen.
Der Maßstab für die Güte seines Glücks ist meiner Meinung nach aber, dass er ein offener, toleranter, liebevoller Mensch ist, und bereit ist, sein Glück zu teilen. Letztlich wird er meiner Meinung nach auch gar nicht wirklich glücklich sein, wenn er nicht bereit ist, sein Glück zu teilen.

Gibt es ein Erlebnis oder eine Erfahrung, die Sie als Pfarrer besonders glücklich gemacht hat?

Mich hat glücklich gemacht, dass ich, obwohl ich zunächst nicht mehr daran geglaubt habe, in der DDR doch noch mein Abitur nachholen konnte. Und dass ich trotz meiner regimekritischen Meldung zum Bausoldat, was damals ein Wehrdienst ohne Waffe war, über Umwege schließlich doch noch Theologie studieren und Pfarrer werden konnte.
Die Erfahrung, einen schwierigen Umweg machen zu müssen, und doch zum Ziel zu kommen, empfinde ich wirklich als beglückend. Und die Widrigkeiten von Damals sehe ich heute eher als Stärkung.

Gibt es einen Psalm oder Spruch, der Ihrer Meinung nach glücklich macht und den Sie unseren Leserinnen und Lesern empfehlen können?

Der 23. Psalm ist für mich immer noch ein Psalm, der glücklich macht. Auch wenn er unserer modernen, städtischen Lebenswelt heute sehr weit weg zu sein scheint:
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. [...] Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. [...]
Und dann auch der letzte Vers: Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen ein Leben lang, ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Und dann gibt es noch einen Spruch, der mir dazu einfällt aus 2. Timotheus 1,7: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Welchen Spruch ich dann auch noch mag, ist 1. Johannesbrief 4,16: Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt , bleibt in Gott und Gott in ihm.
Für mich bedeutet das, dass in jedem das göttliche der Liebe steckt. Manchmal sehr verschüttet, aber trotzdem. Und ich finde, das gehört vor allem zu einem glücklichen Menschen, also auf jeden Fall mich macht es glücklich, aus der Liebe meine Kraft und Zuversicht zu schöpfen.

Lieber Herr Seidenschnur, ich wünsche Ihnen alles gute für Ihren neuen Lebensabschnitt und vielen Dank für das Glück spendende Gespräch!

 

Die Kulturtasche im Gespräch mit Lisa Buchner, Mitglied des Buddhistischen Zentrums, Berlin

Liebe Lisa, du bist Buddhistin. Was ist das eigentlich?

Ein Buddhist praktiziert die Lehre Buddhas. Buddha heißt der „Erwachte“ oder der „Erleuchtete“ und ist der Ehrentitel des Fürstensohns Siddharta Gautama, der vor etwa 2.500 Jahren im heutigen Nepal geboren wurde. Buddha hat sich damals auf die Suche nach dauerhaft erfahrbarem Glück gemacht hat. Durch Meditation hat er schließlich dieses Ziel erreicht. Seither gilt er als wichtigster Lehrmeister der Buddhisten.
Buddha ist also kein Gott. Trotzdem gehört der Buddhismus zu den fünf Weltreligionen. Aber eigentlich ist der Buddhismus eher eine Weltanschauung oder Weltsicht als eine Religion.

Was lehrte Buddha denn?

Das kann man so pauschal nicht beantworten. Zu Buddha sind viele verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Gründen gekommen, und deshalb hat Buddha Ihnen verschiedene Methoden an die Hand gegeben, mit denen die Leute in ihrer jeweiligen Lebenslage am Besten arbeiten konnten. Jede buddhistische Tradition betont dabei bestimmte Teilaspekte von Buddhas Lehre. Im Laufe der Zeit haben sich aber drei Hauptrichtungen heraus kristallisiert:
Theravada, die sogenannte „Schule der Ältesten“. Diese Leute wollten vor allem wissen, wie sie eigenes Leid loswerden und selbst glücklich werden können. Sie möchten sich vor allem vom menschlichen Leid, das beispielsweise durch Gier, Hass und dem Anhaften an vergänglichen Dingen entsteht, loslösen.
Mahayana, der „Große Weg“, versteht sich vor allem als Bereicherung des eigenen Lebens und der Leben anderer. Deshalb möchte er vor allem Mitgefühl – den Wunsch anderen Wesen zu nützen - und Weisheit – zu wissen wie man am Besten anderen Wesen nützt- weiter entwickeln.
Vajrayana, der „Diamantweg“, beinhaltet ein grundlegendes Vertrauen auf das Vorhandensein aller erleuchtenden Fähigkeiten eines jeden Lebewesens. Dieser Vorstellung nach trägt jeder Mensch die erleuchteten Fähigkeiten bereits in sich und hat die Möglichkeit, diese voll zu entfalten.
Alle drei Richtungen bauen übrigens auf dem Verständnis von Karma und dem Ziel, durch Meditation dauerhaftes Glück zu erreichen, auf. Karma bezeichnet dabei das Gesetz von Ursache und Wirkung und bedeutet, dass alles, was man in die Welt rausgibt, auch wieder zurück kommen wird. Wenn man also positiv und offen auf andere Menschen zugeht, wird man auch ein positive Rückkopplung bekommen. Wenn man stiehlt, tötet oder schlecht über andere redet, wird man eine schlechte Rückkopplung bekommen.

Du selbst praktizierst hier im buddhistischen Zentrum in Berlin ja den Diamantwegs-Buddhismus. Was meint ihr damit, wenn ihr sagt, dass jeder bereits die erleuchteten Fähigkeiten in sich trägt?

Wir vom Diamantweg gehen davon aus, dass jeder schon ein Buddha ist, wir es nur noch nicht erleben. Wir müssen diese Buddhanatur in uns nur erst entdecken. Wie einen Diamanten, den man erst von Schmutz befreien, schleifen und polieren muss. Der Diamant ist aber zu jedem Zeitpunkt schon da. Zu diesem Diamant sagen wir auch „erleuchtete Qualitäten“. Das sind Furchtlosigkeit, Liebe und aktives Mitgefühl. Leider ist dieser Diamant aber von Störgefühlen und festen Vorstellungen verschleiert. Diese verschiedenen Verschleierungen müssen wir erst entfernen. Wenn man die Schleier dann gelüftet und den Diamant voll zur Strahlkraft gebracht hat, ist man erleuchtet.

Wie kann man die Schleier denn entfernen?

Vor allem durch Meditation. Über die Meditation bekommt man Abstand zu seinen eigenen Gewohnheiten.
Wenn man meditiert hat man meist ein Objekt vor sich, auf das man sich konzentriert, oder auch nur einen Luftstrom an der Nasenspitze, der kommt und geht. Natürlich ist man oft von dieser Konzentration abgelenkt. Dann soll man in einem ersten Schritt erkennen, dass man abgelenkt ist. Und in einem zweiten Schritt soll man den ablenkenden Gedanken loslassen und wieder zum Meditieren zurück kommen.
Es geht also nicht darum, dass man irgendwann keine Gedanken mehr hat, sondern die eigentliche Übung ist, die Gedanken, die immer wieder die Konzentration stören, loszulassen und zur Meditation zurück zu kommen. Und dadurch bekommt man dann mehr Freiheit, mit Situationen anders als gewohnt umzugehen und mehr Konzentration auf den Augenblick, was einem dann im Alltag hilft, glücklich zu werden. Das muss man allerdings üben, üben, üben.
Deshalb ist auch die Anleitung durch einen erfahrenen Lehrer so wichtig. Der Lehrer vermittelt den Schülern ein Bild davon, wie er mit dem Leben mit all seinen Freuden und Schwierigkeiten umgehen kann, und zwar dadurch, wie er selbst damit umgeht. Wenn ich meinem Lehrer zuhöre und ihn beobachte, dann bekomme ich einen Eindruck davon, was es bedeutet unerschütterlich zu sein, jede Situation als spannend erleben zu können und intuitiv und ganz natürlich anderen Wesen zu nutzen. Der Lehrer ist also ein ganz konkretes Vorbild für den Schüler.

Haben die Lehrer den Schleier bereits vom Diamanten entfernt und sind vollständig erleuchtet?

Ich kann natürlich nicht wirklich wissen, wer genau erleuchtet ist und wer nicht. Das müssen die erleuchteten Personen selbst wissen.
Aber es gibt immer wieder Lehrer, bei denen bekannt ist, dass sie voll erleuchtet waren. Der 16. Karmapa beispielsweise war voll erleuchtet. Der Karmapa ist das spirituelle Oberhaupt der Karma Kagyü Linie des Diamantweg-Buddhismus. Er verkörpert die Tatkraft aller Buddhas.
Der Karmapa entscheidet aus Mitgefühl heraus, sich wieder gebären zu lassen, um den Menschen weiterhin nützen zu können.

Wesentliches Ziel der Buddhisten ist ja, dauerhaftes Glück oder einen Zustand völliger Zufriedenheit zu erreichen. Sind erleuchtete Personen also wunschlos glücklich?

Wenn du damit meinst, dass Buddhisten nichts mehr wollen, kann ich dir nicht zustimmen. Es ist ja eine oft vertretene Meinung, dass der Buddhismus „Erleuchtung“ mit „Existenz im Nichts“ gleichsetzt. Das ist ein Missverständnis. Erleuchtung ist eigentlich genau das Gegenteil. Erleuchtet bedeutet, dass ich mich von keinen negativen Gefühlen beeinflussen lasse, dass ich in jedem Moment furchtlos bin, unbedingte Freude erlebe und aktiv zum Besten der anderen handle. Mitgefühl ist allerdings nicht mit Mitleid zu verwechseln, sondern meint, dass man aus einem Überschuss an Mitgefühl heraus automatisch und natürlich, eben weil es dem eigenen Wesen entspricht, etwas für andere tut. Es bezeichnet also einen offenen, achtsamen Umgang mit anderen in jeder Situation.
Ein Mensch, der unbedingt und jederzeit furchtlos, freudvoll und mitfühlend ist, öffnet sich also der Welt gegenüber, vergrößert den Raum an Möglichkeiten, und kann damit insgesamt auch mehr bewältigen.
Wenn du mit deiner Frage aber meinst, dass man als erleuchtete Person immer glücklich ist, kann ich dir mit unserem Lehrer, Lama Ole, antworten. Denn er wurde einmal gefragt, was eigentlich passiert, wenn man erleuchtet ist. Und er sagte: „Eigentlich ist dann nichts anders, als dass man die Welt in jedem Moment freudvoll erlebt.“

Was genau ist das für eine Freude oder für ein Glück?

Im Alltag verbinden wir Glück ja oft mit äußeren Dingen, ob es jetzt Geld, die Karriere oder der Partner ist. Vielleicht gelingt es einem ja sogar, sich ein Leben einzurichten, bei dem alle diese Dinge gegeben sind. Aber dann ändern sich die Dinge plötzlich, es wird anders als wir erhofft und erwartet haben, und wir werden unglücklich.
Das Glück im buddhistischen Sinne ist von diesem veränderlichen Glück unabhängig. Es geht darum, sein Glück nicht an vergängliche, veränderbare Dinge zu hängen, sondern zu erkennen, dass das Glück nicht in den äußeren Dingen steckt, sondern in jedem selbst. Wir nennen dieses Selbst den Erleber. Und nur dieser Erleber kann wirklich Glück erleben, das Auto oder das Geld kann dies nicht. Der Erleber ist aber kein Ding. Er ist nicht 4 Kilogramm schwer und grün. Der Geist oder auch Erleber ist immer da, alles durchdringend, er wurde nie geboren und wird nie sterben, sondern erlebt in einem fortwährenden Strom weiter. Im Prinzip ist die ganze äußere Welt die eigene Erlebnis-Welt, die eigene Projektion. Es hängt also von uns selbst ab, wie wir diese Welt erleben.

Man muss also nur die eigene Projektion ändern, um glücklich zu werden?

Ja, es hängt von der eigenen Sichtweise ab, ob man die die Welt bunt oder grau erlebt. Es ist nicht immer einfach, glücklich zu sein, weil man ja von seinen Gewohnheiten geprägt ist, alles immer gleich mit der eigenen Brille zu bewerten. Aus dieser Gewohnheit heraus, fühle ich mich beispielsweise angegriffen, wenn jemand sauer ist. Anstatt zu sehen, dass derjenige vielleicht einfach nur einen schlechten Tag hat.
Es ist nicht immer leicht offen und ohne irgendwelche Bewertungsmuster durchs Leben zu gehen.

Aber wenn man das kann, ist man in jedem Moment furchtlos, freudvoll und aktiv mitfühlend?

Ja, aber wie gesagt ist das für einen nicht verwirklichten Menschen wie mich manchmal nicht so einfach. Es gibt jedoch hin und wieder Momente, in denen ich das Gefühl habe, mein momentanes Glücksgefühl ist völlig unabhängig von den äußeren Umständen. Dann ruhe ich ganz in meiner Mitte und fühle mich so, als ob nichts kommen kann, was mich aus dieser Ruhe bringen kann. Solche Momente sind dann für mich, wie wenn die Sonne durchbricht.

Warum ist es für Buddhisten eigentlich so wichtig, immer glücklich zu sein? Vielleicht haben die Menschen daneben ja auch als ein Ziel, unglücklich zu sein?

Wenn wir uns umschauen, sehen wir, dass alle Menschen versuchen, glücklich zu sein. Auch wenn das zum Teil aus unserer Sicht komisch oder sogar krankhaft aussieht. Zum Beispiel, wenn jemand glaubt, durch Macht über andere glücklich zu werden. Selbst wenn er sich dieses Ziel mit Waffen erkämpft, so hat auch das sehr viel mit Anerkennung und dem Wunsch zu tun, durch diese Macht glücklich zu werden. In Wirklichkeit wird derjenige dann wahrscheinlich nicht glücklich werden. Aber trotzdem steckt dahinter der Wunsch oder das Ziel, glücklich zu sein.

Trotzdem: Ist es nicht auch wichtig, manchmal unglücklich zu sein? Einfach deshalb, weil sowohl das Glück als auch das Unglück zum Leben gehört? Entstehen Kunst und Kultur beispielsweise nicht oft auch aus dem Unglück heraus?

Ich habe eigentlich eher den Eindruck, dass tolle Kunst und Bauwerke aus positivem Überschuss und nicht aus dem Unglück heraus entstehen. Wenn die Leute inspiriert werden und eine gute Idee haben, dann sicher aus Glück spendendem Überschuss und nicht aus Leid heraus.

Ist es für die Buddhisten des Diamantwegs vor allem wichtig, individuell glücklich zu sein oder ist auch das gesellschaftliche Glück wichtig

Man selbst kann eigentlich nicht richtig glücklich sein, wenn die anderen Menschen um einen herum leiden. Der zufriedene Zustand ist deshalb eigentlich immer damit verbunden, dass man den anderen aktiv hilft. Andererseits kann man den anderen nicht helfen, wenn man selber unglücklich ist oder leidet. Insofern ist es wichtig, dass man sich selbst zuerst einmal auf einen Level hebt, auf dem man Überschuss hat, um dann den anderen wieder helfen zu können.

Wie sieht diese Hilfe dann konkret aus?

Insgesamt lebt man als Vorbild. Dazu gehört, dass man hilfsbereit und freundlich ist, dass man bewusst und offen durch den Alltag geht, den anderen zuhört und insgesamt Mitgefühl zeigt. Darin inbegriffen ist aber durchaus auch, dass man dem anderen mal seine Grenzen zeigen kann. Wenn man beispielsweise sieht, da versucht jemand, anderen zu schaden, sollte man dazwischen gehen und „Stopp!“ sagen.
Außerdem bieten wir interessierten Leuten Methoden, sich zu entwickeln. Wir wollen keinen missionieren. Es gibt verschiedene Leute mit verschiedenen Bedürfnissen und Wünschen. Es geht darum, dass man das findet, was einen glücklich macht und womit man am Besten arbeiten kann.

Findest du, dass buddhistische Menschen insgesamt freier und glücklicher sind?

Also viele von den Buddhisten, die ich kenne, sind auf alle Fälle besser drauf. Für mich habe ich das Richtige gefunden. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wie wird man eigentlich Buddhist?

Man muss nicht als Buddhist geboren werden, sondern kann sich jederzeit dazu entscheiden, zum Buddhisten zu werden. Wenn man sich hier im Buddhistischen Zentrum umhört, hört man die unglaublichsten und unterschiedlichsten Geschichten, wie die Leute auf den Buddhismus gestoßen sind. Ich selber bin in Bayern aufgewachsen und habe dort die katholische Erziehung mitgemacht mit Religionsunterricht in der Schule und Kommunion.
Als ich 12 Jahre alt war, haben meine Eltern dann Lama Ole Nydahl kennen gelernt. Ich habe meine Eltern beobachtet und dann gefunden, dass sie sich in manchen Situationen anders verhalten als andere Eltern. Meiner Meinung nach waren sie ausgeglichener und freudvoller, sie haben auch nicht mehr alles persönlich genommen und haben insgesamt freier reagieren können. Ich bin dann manchmal mit zum Meditieren gegangen und auch auf Vorträge mitgefahren. Aber richtig zum Buddhismus habe ich erst mit ungefähr neunzehn Jahren gefunden. Da bin ich nach Berlin zum Studieren gegangen und habe eine Anlaufstelle gesucht. Deshalb habe ich mir das Buddhistische Zentrum angesehen, habe die Leute dort toll gefunden und so bin ich dann dort geblieben.

Liebe Lisa, ich wünsche dir auf deinem weiteren Weg zum Glück alles Gute und bedanke mich ganz herzlich für das intensive Gespräch!

 

Die Kulturtasche im Gespräch mit Bert Hunger, Atheist aus Berlin

Bert, du selbst sagst von dir, ein Atheist zu sein. Was ist das?

Ein Atheist ist jemand, der nicht an das Vorhandensein von einem Gott oder mehreren Göttern glaubt.

Warum glaubst du nicht an einen oder mehrere Götter?

Warum sollte ich an jemanden glauben, mit dem ich noch nie in Berührung gekommen bin, den ich noch nie gesehen, gesprochen oder gefühlt habe? Es macht keinen Sinn, an einen Gott zu glauben. Ich denke, wenn es so etwas wie einen Gott gäbe, müsste er so mächtig sein, sich den Menschen zu zeigen oder von ihnen erkannt zu werden.

Wie erklärst du dir dann deine eigene Existenz und die Wunder der Natur?

Die Natur ist tatsächlich „wunderbar“ oder wie ich lieber sagen möchte: erstaunlich und großartig. Aber sie hat nichts mit Gott zu tun. Naturwissenschaftler können sehr viel davon erklären, wie sie entstanden ist, warum sie sich so oder anders entwickelt, warum ein Phänomen stattfindet oder auch nicht. In der Natur wirkt also nicht Gott, sondern Physik und Biologie. Wunder sind etwas für Gläubige. Ich nenne diese Wunder lieber Zufälle oder erstaunliche Zusammentreffen von Begebenheiten.

Dann ist dir der Begriff „Schicksal“ sicher fremd?

Natürlich kenne ich ihn. Aber ich benutze ihn nicht. Denn ich denke nicht, dass mein Leben oder einzelne Begebenheiten daraus von einer unsichtbaren Macht vorher bestimmt werden. Das, was mir passiert, passiert mir entweder, weil ich es selbst so will, wie beispielsweise meine Tagesplanung, die Ergreifung eines Berufs, Hobbys und so weiter, oder es passiert mir, weil zufällig Dinge von außerhalb in mein Leben hinein platzen. Beispielsweise, wenn ich unter einem Balkon vorbei gehe und ich nass werde, weil gerade zufällig über mir jemand seine Blumen gießt. Oder wenn ich auf einem anderen Erdteil einen Bekannten treffe, weil er zufällig zur gleichen Zeit am gleichen Ort seinen Urlaub gebucht hat. Oder weil die Lottofee zufällig Zahlen zieht, mit denen ich entweder gar nichts gewinne oder auch zum Millionär werde. Dann habe ich das eine Mal zufällig eben Pech gehabt, das andere Mal sagenhaftes Glück.

Glück bedeutet für dich also, wenn der Zufall dir Gutes in die Hände spielt?

Das ist sicher eine wesentliche Bedeutung von Glück. Denn der positive Zufall spielt mir ja möglicherweise nicht nur eine Million zu, sondern lässt mich auch plötzlich Freunde oder eine tolle Frau finden. Oder er lässt mich zum richtigen Zeitpunkt auf der Kuppe eines Berges ankommen, um dort gerade noch den Sonnenuntergang zu erleben.
Um diese Art des Zufalls als Glück zu empfinden, muss man allerdings offene Sinne haben. Sonst nützt der ganze Zufall nichts, und man lernt weder neue Menschen noch die Umgebung um sich herum kennen.

Muss man auf das Glück immer warten oder kann man es auch irgendwie künstlich herbei holen?

Zum Teil kann man es sicher künstlich befördern. Vorhin habe ich ja schon gesagt, dass man sein Leben auch ganz wesentlich selbst gestalten kann. Jeder ist sozusagen zu einem großen Teil seines Glückes Schmied. Da schmiedet sich der eine vielleicht ein Haus, um glücklich zu sein, der andere braucht nur einen kleinen Garten, wieder andere sind glücklich, wenn sie einen Beruf ergreifen können, der sie ausfüllt, oder andere durch die Gründung einer Familie.

Und was macht dich glücklich?

Das übliche. Meine Frau, meine Kinder, meine Lebensumstände, in denen mir der Zufall noch keine größeren Unglücke beschert hat.

Was aber, wenn man tatsächlich größere Unglücke erleben muss? Ich denke dabei an das Leben in Kriegsgebieten, das Erleben von Hungersnöten oder auch ganz privater Probleme wie schwere Krankheit oder gewalttätige Eltern? Wie kann man in solch einer Situation noch der Schmied seine Glückes sein?

Natürlich sind dann die Ausgangsbedingungen für ein glückliches Leben erst mal schlecht. Aber auch hier muss man versuchen, sein Leben so zu gestalten, dass es einen möglichst glücklich macht. Vielen Menschen, wenn nicht den meisten, gelingt dies auch. Ich habe von Menschen gehört, die sich selbst in Gefängnissen ein Stück Glück erhalten konnten. Und ich kenne persönlich einige Menschen, die aus sogenannten schwierigen Familien stammen und heute trotzdem ein normal glückliches Leben führen.

Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Anhänger einer Religion glücklicher sind als Atheisten. Kommt dir das wahrscheinlich vor?

Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
Darüber hinaus frage ich mich, wie man das Glück des einzelnen messen können will? Doch sicher nur durch die Befragung der einzelnen Personen. Wenn Atheisten ihren Glückszustand beispielsweise bei einer Skala zwischen 1 (sehr glücklich) und 10 (sehr unglücklich) möglicherweise eher zwischen 5 und 8 angeben, dann doch nicht deshalb, weil sie objektiv unglücklicher als Gläubige sind, die sich vielleicht zwischen 1 und 5 verorten, sondern weil sie subjektiv selbstkritischer sind. Und auch freier, kritisch zu antworten. Wer weiß, mit welcher Schere im Kopf die Gläubigen auf die Frage nach dem Glücklichsein antworten? Vielleicht fühlen sie sich ihrem Priester, Imam, Guru oder auch Gott selbst gegenüber schuldig, sich als glücklich outen zu müssen?

Was macht dich als Atheist denn glücklich?

Als Atheist? Na, dass ich in meinem Denken und Fühlen ganz frei und eben nicht von einem Gott abhängig bin. Auf mich wirken die Gesetze der Religionen insgesamt ziemlich zwanghaft. „Wenn du dies tust, wird das passieren, wenn du das tust, jenes.“ Ich dagegen kann mich in jedem Moment frei entscheiden, was ich tun uns lassen möchte.

Haben Atheisten nicht auch ihre, wenn auch unausgesprochenen Gesetze, die unfrei und damit unglücklich machen?
Gilt hier zum Beispiel nicht, dass der Stärkere, Reichere und Gebildetere die Schwächeren, Ärmeren und Ungebildeteren unterdrückt und ausbeutet? Und macht das nicht all diejenigen, die schwach und arm sind, unglücklich?

Ich kann mir denken, worauf du hinaus willst: Dass Anhänger einer Religion eher Schwächeren helfen, Selbstlosigkeit fördern und insgesamt menschenfreundlicher handeln. Und dass bei Atheisten sich jeder erst einmal selbst der Nächste ist, bevor er sich um seine Mitmenschen kümmert.
Beides stimmt so nicht. Die Geschichte der Religionen ist zu einem großen Teil eine Geschichte der Gewalt und Unterdrückung. Sicher gibt es auch viele Beispiele, in denen Gläubige sich aufopferungsvoll um ihre Mitmenschen kümmern, aber das gibt es bei Atheisten auch. Denn auch den Stärkeren nützt es letztlich nichts, wenn die Schwächeren zu Grunde gehen. Man braucht keine Religion, um ein ethisch richtiges Leben zu führen. Ich kann mir auch ohne eine strafende Gefahr von oben, oder positiv formuliert: ohne göttlichen Ratschlag ausdenken, dass es besser ist, wenn ich andere so behandele, wie auch ich von ihnen behandelt werden möchte. Das ist eigentlich mein oberster Leitsatz.

Ist das insgesamt der oberste Leitsatz der Atheisten?

Keine Ahnung. Alles, was ich hier sage, ist meine persönliche Einstellung als Atheist. Im Unterschied zu Religionen bilden wir Atheisten keine Glaubensgemeinschaft. Obwohl in einigen Ländern inzwischen tatsächlich auch Atheisten zu sogenannten Sunday Assemblys („Sonntags-Versammlungen“) zusammen kommen.
Mir persönlich geht das allerdings schon zu weit und ich vermute dahinter die Angst vor der Vereinzelung des Menschen und letztendlich auch vor der Unendlichkeit des Raums, weshalb man doch wieder zusammen rücken möchte. Was aus meiner Sicht nichts weiter als eine Vorstufe von Religion ist.

Ist es nicht auch sehr schwer, ohne Hilfe von oben in jeder Situation selbst entscheiden zu müssen, wie man handeln und leben soll?

Ich hatte eigentlich nie Probleme damit. Aber ich bin auch ein Mensch, der sehr gerne Entscheidungen fällt. Tatsächlich kenne ich aber einige Atheisten, die in schwierigen Situationen öfters sagen, wie sehr sie diejenigen beneiden, die an einen Gott glauben können, weil das sicher leichter sei. Aber man kann natürlich nicht nur an einen Gott glauben, weil man das für besser hält oder rein theoretisch will. Da bräuchte man, wie gesagt, schon einen Beweis seiner Existenz.

Warst du schon immer ein Atheist?

Das weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr so genau. Ich bin in Süddeutschland geboren und aufgewachsen und dort wie alle in den Religionsunterricht gegangen. Ich bin sogar als Jugendlicher konfirmiert worden. Aber ich erinnere mich nicht daran, dass ich mir die christliche Lehre irgendwie zu Herzen genommen hätte. Eigentlich hatte sie in meinem Denken und Fühlen nie eine große Bedeutung, wenn nicht sogar gar keine. Als ich dann Erwachsener war, bin ich aus der Kirche ausgetreten, und das war's dann mit der Religion.
Aber ich möchte nochmals auf den Gedanken von vorhin zurück kommen, dass man keine Religion braucht, um ein ethisch richtiges Leben führen zu können. Meiner Meinung nach ist der hauptsächliche Unterschied zwischen Gläubigen und Atheisten, bezogen auf das ethische Handeln, dass Atheisten natürlich, Gläubige eher unnatürlich ethisch handeln.

Was meinst du damit?

Wenn ein Atheist hilft, dann aus dem natürlichen Trieb heraus, sich selbst oder seine Art zu erhalten. Das ist eine natürliche Regung. Man kann solche Beispiele der Selbstlosigkeit auch immer wieder bei Tieren beobachten. Auch sie helfen sich gegenseitig, zumindest dann, wenn sie so das Überleben ihrer Art gewährleisten können.
Wenn ein Gläubiger dagegen einem anderen hilft, dann sehr wahrscheinlich deshalb, weil er Gott gefällig sein oder seinen gläubigen Mitmenschen imponieren möchte. Das empfinde ich als unnatürlich.

Ist das nicht ein spitzfindiger Unterschied? Denn im Endeffekt kommt doch das Gleiche dabei heraus: Hilfe für seine Mitmenschen?!

Das empfinde ich nicht als spitzfindig. Denn die unnatürliche religiöse Menschenliebe beinhaltet eine unvernünftige Logik. Wie Voltaire schon sagte: "Wer Dich dazu bringen kann, Absurditäten zu glauben, kann Dich auch dazu bringen, Gräueltaten zu begehen."

Das gleiche kann man aber auch den „vernünftigen“ Atheisten vorwerfen. Auch der vernünftige, nur an das Beweisbare glaubende Geist gebiert Gräueltaten. Beispielsweise „menschenfreundliche“ Folter und Todesstrafe oder Kriege, die aus rein wirtschaftlichen Gründen geführt werden.

Natürlich sind Atheisten nicht die besseren Menschen. Aber trotzdem empfinde ich die atheistische Ethik vernünftiger als die religiöse und damit befreiender und letztlich auch Glück spendender. Nehmen wir als Beispiel die unzähligen Flüchtlinge, die wir zur Zeit auf dem ganzen Erdball haben. Aus religiöser, sagen wir mal, christlicher Sicht, müsste man diesen Flüchtlingen aus Nächstenliebe helfen. Tatsächlich helfen einige Christen diesen Menschen. Aber viel zu wenige. Denn die christliche Nächstenliebe ist im Grunde eine unnatürliche, sehr abstrakte und nicht leicht zu lebende Liebe.
Ein überzeugter Atheist müsste dagegen einsehen, dass es wichtig ist, die Art des Menschen zu erhalten. Und das geht sicher nicht, indem Tausende im Meer ertrinken. Er hilft also den anderen aus eigentlich egoistischen Gründen, nämlich weil er seine Art selbst retten möchte.

Warum helfen dann gegenwärtig so wenig Atheisten den Flüchtlingen?

Ich vermute, dass die meisten Atheisten zur Zeit noch glauben, dass es für die Erhaltung ihrer Art oder konkreter: ihrer Nachkommen besser ist, die Menschen sterben zu lassen, als sie aufzunehmen. Aber irgendwann werden sie merken, dass es uns allen langfristig besser geht, wenn wir die Flüchtlinge aufnehmen.

Weshalb?

Langfristig oder geschichtlich betrachtet waren Völkerwanderungen immer eine Bereicherung für die Menschheit. Umgekehrt haben abgeschlossene Gemeinschaften viel schneller den Tod gefunden als Gesellschaften, die für den Wandel und die Innovation von außen offen waren.
Wenn man zur Zeit das Sterben der kleinen Städte und Dörfer in Deutschland betrachtet, kommt man schnell auf die Idee, dass sie von vielen Menschen wieder belebt werden sollten.

Wenn du das im Unterschied zu vielen anderen Atheisten bereits erkannt hast, hilfst du dann den Flüchtlingen?

Ja. Ich gebe zwar zu, dass ich immer noch viel zu wenig unternehme, aber immerhin tue ich überhaupt etwas. Meine Familie spendet regelmäßig Bücher und Kleider an Flüchtlingswohnheime und wir haben unsere Wohnung während eines einmonatigen Urlaubs auch einmal vorübergehend an Flüchtlinge aus Syrien untervermietet.

Und macht dich das glücklich?

Natürlich! Aus rein persönlicher Perspektive, aber auch aus menschlicher, etwas für das Überleben unserer Nachkommen getan zu haben und immer noch zu tun!

Lieber Bert, ich hoffe, dass immer mehr Menschen verstehen werden, dass diese Art von Hilfe für uns alle bereichernd ist und glücklich macht und bedanke mich ganz herzlich für das aufschlussreiche Gespräch!

 

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