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Wer gewinnt: Fantasy oder Phantasie?
Wenn ihr auf die Knöpfe drückt, könnt ihr zwischen Phantasie und Fantasy abstimmen.
Ihr kennt den Unterschied zwischen Fantasy und Phantasie nicht?
Dann lest zuerst den Fantasy-Zweig der Textkrake, den Leser und Leserinnen von Rossipotti geschrieben haben und die drei phantastischen Geschichten, die erwachsene Autoren geschrieben haben, durch und entscheidet dann, was euch besser gefallen hat.
Jeder Punkt zählt!

 

Fantasy Geschichte

Kapitel 1 von Rossipotti: Lorinde und die Gefahr

Lorinde ritt auf ihrem weißen Pferd durch das Dämmerlicht und schaute immer wieder ängstlich nach hinten. Waren die Späher schon auf dem Hügel oder waren das nur die Bäume, die ihre langen Schatten warfen?
"Schnell, Abalon, schnell! Reite wie der Wind in den Lichterwald! Dort können uns die Späher nichts mehr anhaben."
Abalon wieherte und preschte den Hügel hinunter. Seine Mähne flatterte im Wind und von seinem Hals tropfte der Schweiß.
Am Horizont konnte Lorinde die ersten Bäume des Lichterwalds erkennen. Hoch und schlank ragten sie in den Himmel. Wenn sie den Wald doch nur erreichen würde, bevor die Späher sie eingeholt hatten! Im Wald würden die Späher bald ihre Fährte verlieren. Und im Wald wartete Juventril, der mutige Juventril.
Das Mädchen sah hinter ihre Schulter und erschrak: Torben in seinem roten Mantel galoppierte den Hügel hinab und war nur noch wenige hundert Meter hinter ihr.
Lorindes Herz schlug bis zum Hals. Torben, der schreckliche Torben, der ihren Bruder an Zark verraten hatte! Nie und nimmer durfte sie ihm in die Hände geraten. Wie sollte sie dann noch ihrem Bruder helfen können?
Lorinde presste sich an Abalons Körper und das Pferd flog beinahe über die Wiese.
Vorsicht ein Wassergraben!
Abalon riss seinen Kopf in die Höhe und sprang auf die andere Seite.
Der Lichterwald lag jetzt nur noch zweihundert Meter vor ihnen.
Aber auch die Späher waren nicht mehr weit. Und Torbens Pferd war kurz vor dem Graben!

Kapitel 2 von Lilly: Verfolgungsjagd

Abalon flog über die Felder, so, dass es Lorinde fast schwindelig wurde. Aber sie riss sich zusammen und dachte: "Ich darf jetzt nicht aufgeben! Wenn Torben mich kriegt dann ist alles aus.Und was wird aus Abalon?"
Plötzlich tauchte vor Lorinde eine kleine aber spitze Steinmauer auf! Lorinde bekam Panik. Fast automatisch jedoch sprang Abalon über das Hindernis hinweg. Schon sah Lorinde vor sich den Wald. Sie preschte zwischen den Bäumen hindurch und bald sah sie auch die Späher nicht mehr. Doch: Da! Auf einmal kamen von überall Reiter heran geritten! Sie waren umzingelt! Es war vorbei...

Kapitel 3 von Lilly: Rettung in Sicht!

Die Späher kamen immer näher auf sie zu. Lorinde hatte schreckliche Angst, als sie von einem zum anderen blickte. Der eine sah gefährlicher aus als der andere. Plötzlich nahm einer Pfeil und Bogen und zielte auf sie.
Abalon erschrak so, dass er stieg und Lorinde abwarf und sich einen Weg durch die Späher bahnte. Auf einmal ertönte ein schriller Pfiff.Alle drehten sich in die Richtung, aus der er kam, und Lorinde sah zwischen den Bäumen Juventrill auftauchen. Jetzt erst erkannte sie ihre Chance. Sie schlich sich davon, und stieg auf Abalon, der am Waldrand stehen geblieben war. Schon gallopierten sie wieder über die Felder und Lorinde überlegte sich, wie sie ihren Bruder retten würde.

Kapitel 4 von Lilly: Der Plan

Lorinde ritt seit Stunden über die Felder. Längst hatte sie die Späher überwunden, aber man konnte ja nie wissen...
Als ihr Blick über das weite Land schweifte, entdeckte sie am Horizont Rauchschwaden aufsteigen. Da war jemand! Irgendjemand musste dort Feuer machen. Lorinde zögerte. Sollte sie hinreiten oder nicht???
Schließlich entschloss sie sich: Langsam trabte sie mit Abalon auf das Feuer zu. Nun erkannte sie, dass dort jemand sein Zelt aufgebaut hatte. Juventrill!!!
Lorinde galoppierte an. Schon lag sie in Juventrill´s Armen. Die beiden schmiedeten einen Plan...

Kapitel 5 von LILY: Fantafir

Juventril und Lorinde schmiedeten einen Plan. Dann ritten sie los. Juventril hatte einen Freund. Der hieß Fantafir. zu diesem Freund wollten sie reiten. Doch es war ein gefährlicher Weg, denn er führte an der Schattenburg vorbei, wo der grausame Nachtkönig lebte. Aber es gab keinen anderen Weg zu Fantafir. Sie mussten es einfach schaffen!!!

Kapitel 6 von Simon: Ein zweiter Plan

Lorinde und Juventril ritten eine Nacht lang. Als die Sonne am Horizont aufstieg, kamen Lorinde und ihr Bruder bei Fantafir an. Lorinde klopfte an die Tür. Fantafir machte die Tür auf und ließ sie rein. Fantafir hatte gerade einen Tee gemacht. Sie saßen an den Tisch und erzählten alles. Dann schmiedeten die drei einen zweiten Plan, wie sie Lorindes Bruder vor Zark verstecken konnten. Hinter der Nachtburg hatte es einen Geheimgang. Am nächsten Morgen war das Wetter nicht so schön, es war nass und düster. Aber das war gut, denn Lorinde musste ihren Bruder aus dem alten Versteck holen. So wurden sie nicht so leicht gesehen im Wald.

Kapitel 7 von Simon: Das Versteck

Lorinde hielt an einem Baum an und klopfte dreimal an den feuchten Baumstamm. Dann stieg sie ab und zog an einer Baumwurzel. Unter dem Baum öffnete sich eine kleine Klapptüre. Bevor Lorinde ins Loch stieg, band sie ihr Pferd an den Baum. Das Loch war ein altes Versteck, in dem sich eine Matratze befand. Ein Krug, ein Becher und ein Stück Brot standen neben dem Lager. Lorindes Bruder war am Essen. Da sah er Lorinde und sprang auf. Sie umarmten sich und Julius fragte: "Was machst du hier?" Lorinde antwortete: "Ich hole dich hier raus und versteck dich besser."
Sie packten alles, was sie brauchten ein und als die Nacht anbrach, ritten sie los. Nach einer halben Stunde erreichten sie die Nachtburg...

Kapitel 8 von Katharina: Bei der Schattenburg

Julius und Lorinde ritten los. Nebelschwaden waberten über die hügelige Landschaft, und die dunkle Schattenburg ragte hoch in den Himmel hinauf. Ein Rabe krächzte, und die beiden sahen sich vorsichtig um. Es war still, beinahe zu still, wie die Ruhe vor dem Sturm...
"Was ist, wenn sie uns entdecken?", flüsterte Julius seiner Schwester zu.
"Ich weiß es nicht, lass uns hoffen, dass wir unbehelligt bleiben."
Nun hatten sie die Burg erreicht und ließen ihre Pferde im langsamen Schritt an der Burgmauer herumlaufen. Man hörte sie nicht, weil das Gras nass war und die Hufe der Tiere darin einsanken und jedes Geräusch gedämpft wurde. Ihr Atem stieg in weißem Dunst auf, so kalt war es.
Es schien, als käme diese Kälte dirket von der Schattenburg. Über ihnen verdunkelte sich der Himmel und die schwarzen Wolken wurden von einem eisigen Wind über das Himmelszelt gejagt.

Kapitel 9 von Lena: Der Nachtkönig

Jetzt hörten sie Pferdehufen über die Brücke der Burg klappern. Es mussten mindestens vier Pferde sein! Lorinde und Abalon rissen ihre Pferde zurück und versuchten in die Richtung zu reiten, aus der sie gekommen waren. Aber riesige Nachtvögel schossen plötzlich vom Himmel und ließen ihre Pferde aufbäumen. Von der Burg hörten sie ein irres Gelächter. "Endlich bekomme ich wieder jemand frischen für meine Dunkelkammer!" kreischte der Nachtkönig. "Die alten Leute sind schon ganz lahm und spielen nicht mehr mit mir!"
Lorinde lief es kalt den Rücken herunter. Sie hatte schon oft gehört, dass der Nachtkönig alle Wesen, die er in die Finger bekam, mit Dunkelheit und Blindheit schlug und sie so in ein Labyrinth mit vielen Todesfallen schickte. Niemals wollte sie von ihm gefangen werden! Welchen Sinn sollte die Befreiung ihres Bruders haben, wenn sie nun so schrecklich endete? Aber was sollten sie tun? Vorne die Reiter, über ihnen die grässlichen Vögel mit ihren langen Klauen, die sie auf die Burg zu trieben.

Kapitel 10 von Kim: Licht in der Dunkelheit

"Da!" rief Julius. "Ein Licht! Wir müssen auf das Licht zureiten"
"Vielleicht will uns der Nachtkönig in eine Falle locken?" sagte Lorinde.
"Der Nachtkönig hasst Licht!" sagte Julius und ritt auf das Licht zu. "Jemand will uns mit dem Licht retten!"
"Und wenn es nur Irrlichter sind?" fragte Lorinde.
Doch Julius antwortete nicht. Er war schon auf das Licht zugeritten und in der Nacht verschwunden.
Die Vögel versuchten ihm zu folgen, aber sie waren durch einen Bann des Nachtkönigs nicht fähig, weiter als 200 Meter von der Burg entfernt zu fliegen.
Da gab Lorinde ihrem Pferd die Zügel und ritt Julius in der Nacht hinterher.

Kapitel 11 von Lena: Gerettet

Julius hatte Recht gehabt. Das Licht war keine Falle des Nachtkönigs und auch kein Irrlicht, sondern Juventril!
Er stand auf der anderen Seite eines schmalen Flusses und leuchtete ihnen den Weg!
"Spring!" rief er Julius zu.
Aber Julius hatte Angst, sein Pferd könnte fallen und sich den Fuß brechen. Und was dann?
Doch da kam Lorinde in der Nacht auf sie zugeritten. Sie sah nur ihren Retter Juventril und nicht den Fluss, der beide trennte. Sie hatte keine Angst und sprang mit Abalon ohne Probleme ans andere Ufer.
"Juventril!" rief sie, sprang von Abalon und umarmte ihn.
Als Julius den Sprung von Abalon gesehen hatte, sprang auch er mit seinem Pferd über den Fluss.
"Gerettet", sagte Julius und umarmte Lorinde und Juventril. "Endlich gerettet!"

* * *

Phantastische Geschichten

Himbeeren wachsen zwischen Zäunen

von Dagmar Petrick

Himbeeren schmecken lecker, daran gibt es keinen Zweifel, und sicherlich magst auch du jene Früchte, die so süß riechen und aussehen, als hätte jemand blassrosa Knetkügelchen aufeinander gesteckt.
Für Florentin aber waren Himbeeren das Köstlichste, das auf dieser Erde wuchs. Und das will etwas heißen. Immerhin hatte er schon eine Menge Leckereien in seinem Bubenbauch verdrückt. Und vielleicht wäre auch alles gut und in bester Ordnung gewesen und ich würde dir diese Geschichte nicht erzählen, wären die Himbeeren nicht im Garten von Frau Stein gewachsen. Denn sie, die Nachbarin, duldete es nicht, dass sich Florentins Finger durch den Zaun schlichen und von ihren Himbeeren naschten.
"Pfoten weg!", keifte sie. "Und dass du nicht am Zaun wackelst, ihn nicht einmal BERÜHRST!"
Es ließ sich nicht aushalten mit der alten Frau Stein, und dabei waren die Himbeeren nur das eine. Wenn Florentin den Bagger durch den Sandkasten schob, dass es nur so brummte und links und rechts die Sandberge wuchsen, baute sich Frau Stein, verlässlich wie die Sonne morgens aufgeht, am Gartenzaun auf und schrie: "Leiser!"
Wenn er die Playmobilritter des Grafen von der zusammengezogenen Augenbraue durchs Gras marschieren ließ, um sie in die Schlacht gegen die einäugigen Legopiraten zu schicken, brüllte sie: "Ruhe!" Und sie fauchte: "Mach nicht so einen Krach!", wenn er auf der Schaukel höher und höher flog, bis er meinte, die Wolken zu berühren.
Und gewiss stand sie im Vorgarten, wenn Florentin mittags aus der Schule kam und fuch-telte ihm mit der Gartenschere entgegen. "Schlurf nicht mit den Schuhen!", knurrte sie und schnitt die Rosenköpfe, dass sie dumpf ins Gras plumpsten. "Und grüß mich gefälligst!" Und es nützte auch nichts, dass Mama Florentin in die Arme nahm und seufzte: "Beachte sie einfach nicht! Wir haben dich lieb."
Denn schon geschahen Dinge, die nicht geheuer waren!
Als Florentin nämlich die Playmobilritter im Gras aufmarschieren ließ, tam, tam, tam!, und es von der anderen Seite des Gartenzauns sogleich tönte: "Du machst einen Krach wie ein Walross!" Erhoben da nicht die Ritter ihre Hellebarden und schwenkten die Morgensterne? Und die einäugigen Legopiraten, die in Erwartung der Schlacht weiter unten im Garten stocksteif gestanden hatten? Rasselten die jetzt nicht mit den Enterhaken und brachen in Buhrufe aus?
"Wir müssen dringend etwas unternehmen", flüsterte der Graf von der zusammengezogenen Augenbraue und blinzelte Florentin verschwörerisch zu.
Da stürmte Florentin ins Haus. Vielleicht wusste Mama einen Rat?
Mama stand in der Küche und mischte Kuchenteig. "Alte Leute sind wirklich schrecklich!", fauchte Florentin und knallte mit der Tür, weil das so schön aufgeregt klang.
"Flori!", sagte Mama und sah ganz erschrocken aus, "es gibt auch freundliche Alte!"
Aber Florentin erkannte an ihren Augen, dass sie sich nicht sicher war.
"Die alte Frau Stein ist jedenfalls nicht nett!" maulte er, und er dachte an den Grafen, der im Garten auf ihn wartete. "Wir müssen dringend etwas unternehmen!"
Da wischte Mama die Hände an der Schürze ab und kniete sich vor Florentin, dass sie fast ein bisschen kleiner wurde als er. "Ich weiß, dass es keinen Spaß macht, Flori", sagte sie, "aber manchmal verändern sich die Dinge. Glaub mir!"
Florentin dachte an die Hellebarden, wie sie im Gras hin und her schwankten, und die Buhrufe der Legopiraten. "Mmh", machte er, "kann sein."
"Siehst du!" sagte Mama und lächelte erleichtert. "Und nun geh raus! Schließlich sind wir nicht hierhergezogen, dass du dich im Haus verschanzt!"
Verschanzen war ein gutes Wort. Warum war er nicht schon früher drauf gekommen? Florentin kramte das Katapult aus der Spielzeugkiste und stürzte in den Garten.
"Höchste Eisenbahn!", rief ihm der Graf entgegen. "Frau Stein steht zwischen ihren Himbeeren und hat gedroht, uns allesamt in die Mülltonne zu donnern, wenn wir nicht SOFORT verschwinden!"
Hastig stellte Florentin das Katapult auf, legte eine kleine Erdkugel hinein und spannte die Schleuder. Eins, zwei …
"Verklagen sollte man euch! Verklagen!", fauchte Frau Stein.
Und drei! Und Schuss!
Die Kugel sauste durch die Luft, zischte über den Zaun, suchte, als wäre sie ferngesteuert, ein Ziel, fand ein Ziel, landete, klatsch! mitten auf Frau Steins Nase, mitten in ihrem verdutzten Gesicht.
"Ups", machte Frau Stein.
Dann sagte sie eine Weile nichts mehr und sah sich um, aber da war nur ein harmloses Kind, das Spielzeug durchs Gras schob.
"Hurra!", brüllten die Ritter.
"Volltreffer!", jubelten die Legopiraten und hüpften von einem Bein aufs andere.
Florentin stürzte in die Küche. Das musste er Mama erzählen! Die Dinge veränderten sich tatsächlich!
"Hoppla!" rief Mama und ließ vor Schreck das Rührgerät fallen. "Gab es wieder Ärger?" Aber bevor Florentin ihr von dem großartigen Treffer erzählen konnte, redete sie schon weiter, als hätte sie die ganze Zeit über etwas nachgedacht und wollte sich nun selbst davon überzeugen und dabei knetete sie den Teig, rums!, rums! ohne hinzugucken.
"Mit den Menschen ist es so eine Sache", sagte sie. "Manchmal werden sie ein wenig wunderlich, als wäre etwas in ihnen eingeklemmt. Und das muss nichts mit dem Alter zu tun haben! Sie wirken dann wie … wie ..."
Sie suchte nach einem passenden Ausdruck und fand keinen und knallte den Teig auf die Arbeitsplatte, dass er Blasen warf.
"Wie ein eingerosteter Schraubstock?" fragte Florentin hilfsbereit.
"Genau das wollte ich sagen", sagte Mama und nickte und Florentin freute sich, dass ihm so ein schöner Vergleich eingefallen war.
"Vielleicht braucht es nur ein bisschen Öl, damit es nicht mehr so knirscht", überlegte Mama weiter. "Vielleicht ist Frau Stein bloß traurig, weil sie sich ein Enkelkind wünscht?"
"Ein Enkelkind?" Florentin guckte verwundert.
"Ja, ja", sagte Mama und strahlte, "so ein wunderbares wie du!"
Das konnte sich Florentin entschieden nicht vorstellen. Frau Stein hegte keine Wünsche, wie man so schön sagte. Sie war nichts weiter als eine alte, eingeklemmte Frau, die dringend Öl brauchte. Und Öl würde sie bekommen. Wo die Dinge sich doch gerade änderten.
Am Abend, als ihm seine Eltern längst Gute Nacht gesagt hatten, lag Florentin noch lange wach. Er hörte Mama in der Küche wirbeln und mit den Töpfen klappern und sich mit Papa unterhalten. Er wusste, seine Eltern machten sich Gedanken. Aber Gedanken nützten nichts. Für Frau Stein brauchte es Taten. Öl. Und als Mama die Töpfe ineinander stapelte, dass es knallte, stand Florentin auf, kramte das neue Schulheft aus dem Ranzen und schrieb mit krakeliger Schrift:
Liste aller schauerlichen Dinge, die man mit einer schauerlichen Nachbarin anstellen kann:
1. Frau Stein belagern!
2. Schützengräben ausheben!
3. Katapulte auffahren!
4. Bogenschützen aufstellen!
5. Kanonen laden!
6. Abfeuern!
7. Die Legopiraten entern lassen!
8. Alle Himbeeren plündern!
9. Frau Stein loswerden!!!
Hinter den letzten Punkt setzte er drei Ausrufezeichen. Das war der wichtigste. Und der schwierigste. Florentin gähnte. Auf einmal war er furchtbar müde. Aber jetzt, wo er einen Plan hatte, er sogar aufgeschrieben vor ihm lag, kam er sich nicht mehr klein und wehrlos vor. Die Dinge änderten sich, vielmehr er änderte die Dinge. Der Gedanke machte ihn froh. Morgen würde er weitersehen.
Als Florentin am nächsten Tag von der Schule kam, war Mama noch nicht fertig mit dem Mittagessen.
"Geh noch mal raus", sagte sie und kippte die Nudeln ins kochende Wasser, wo doch so ein schöner Tag sei und frische Luft sooo gesund für Kinder, und hier, ich hab was für dich, und sie drückte ihm Seifenblasen in die Hand. Und das war doch was. Denn wer konnte wissen, wozu Seifenblasen alles gut waren?
Frau Stein kniete zwischen ihren Büschen und pflückte die Himbeeren, die inmitten der grünen Blätter leuchteten wie Weihnachtskugeln. Und neben ihr am Boden füllten sich die Körbchen, dass es kaum zu ertragen war.
"Was willst du denn mit all den Beeren?" fragte Florentin und kam sich ziemlich mutig vor. Aber weil sein Herz unverschämt heftig pochte, schüttelte er das Döschen mit den Seifenblasen, dass es schäumte und rauschte und das laute Klopfen etwas übertönte. "Isst du die ALLEINE?"
"Werd nicht frech, Bürschchen!", knurrte Frau Stein und schwenkte eine Faust in der Luft, "und Finger weg von meinen Himbeeren!"
Da schraubte Florentin das Döschen auf und begann zu pusten, dass sich seine Backen blähten wie zwei Segel und eine schillernde Blase erschien. Und gerade als Frau Stein sagte, er solle ja nichts von der Lauge über die Beeren schütten, sonst könne er was erleben, Rotzbube er, vermaledeiter, geschah es, und hinterher hätte Florentin schwören können: Er hatte nichts gemacht!
Die Seifen-blase löste sich vom Stäbchen. Sie stieg in die Luft, glänzte in der Sonne, war rund und schön und - GROSS, schwebte über den Gartenzaun, segelte auf Frau Stein zu und wuchs immer noch. Gleich würde sie ihre Nasenspitze berühren, gleich daran zerplatzen. Aber sie zerplatzte nicht. Die Hülle wich zurück, als wäre sie Stoff, legte sich geschmeidig um Nase, Stirn und Mund, verschlang den Kopf, in dem sich Frau Steins Augen weiteten wie Suppenteller, stülpte sich über die Schultern, die Blümchenschürze, saugte die Hände ein, die noch das Körbchen mit den Himbeeren umklammerten, und die Füße in den mausgrauen Schlappen. Und, schwupps!, war Frau Stein verschwunden, vom Scheitel bis zur Sohle verschluckt von der gigantischsten Seifenblase, die Florentin je gesehen hatte!
Ein sanftes Lüftchen ergriff sie und sie stieg in die Luft, glitt über die Himbeeren hinweg, über den Zaun, an Florentin vorbei.
"Lass mich raus!", schrie Frau Stein, "ich befehle es!" und stieg höher in den blauen Himmel.
Bald sah sie aus wie ein kleiner bunter Luft-ballon mit einer aufgemalten Figur darauf.
"Mittagessen ist fertig!", rief Mama aus dem Haus.
"Nein!" brüllte Frau Stein. "Hiergeblieben!"
Aber es klang schon sehr gedämpft; Florentin musste sich anstrengen, um sie zu verste-hen.
In der Küche schüttete Mama die Nudeln ins Sieb. Florentin schielte zum Fenster. Eben bog Frau Sein um die Hausecke. Sie segelte am Fenster vorbei und wedelte mit den Armen. Ihr Gesicht glänzte grün, aber vielleicht lag es an der Seifenlauge.
"Wasch bitte deine Hände!" sagte Mama und schreckte die Nudeln ab, und Florentin beeilte sich, ins Bad zu gehen. Mama hatte nichts mitbekommen, und das war vielleicht besser so.
Der Nachmittag verlief sehr ruhig. Noch nie hatte Florentin so ungestört gespielt. Nur die Playmobilritter und die Legopiraten klatschten immer wieder Beifall, und der Graf sagte, indem er anerkennend die Augenbraue hochzog: "Der hast du es gezeigt!"
Erst zum Abendessen kam Frau Stein zurück.
"Komisch", sagte Mama und blickte zum Fenster. "Sonst geht Frau Stein doch nie so spät spazieren." Sie reckten die Köpfe und tatsächlich! humpelte dort Frau Stein über den Gehweg.
"Sie sieht irgendwie mitgenommen aus", überlegte Papa, "als wäre ihr etwas Ungewöhnliches widerfahren!" Florentin verschluckte sich am Käsebrot und musste husten. Seine Eltern klopften ihm auf den Rü-cken, und da hustete er noch mehr. Als er wieder zum Fenster spähte, war Frau Stein weg.
Nach dem Gute-Nacht-Kuss öffnete Florentin sein Heft.
"Ich heiße Florentin", schrieb er. "Ich bin acht Jahre alt und ich bin stark, denn ich habe Frau Stein besiegt. Wenn ich will, kann ich sie in eine Seifenblase stecken. Dann ist sie weg. Die Dinge verändern sich. Ich verändere die Dinge. Himbeeren schmecken lecker. Morgen frage ich Frau Stein, ob sie mir welche abgibt."
Am nächsten Tag rannte Florentin gleich nach dem Mittagessen in den Garten. Vorsichtig schlich er sich am Zaun entlang, bis er Frau Stein schnaufen hörte. Sie hockte zwischen den Himbeeren und erntete wie eh und je. Florentin sah ihren Scheitel, wo sich graues Haar von grauem Haar trennte und dachte: Bestimmt ist sie furchtbar alt. Vielleicht wünscht sie sich ein Enkelkind, einen Jungen wie mich, einen, der sich nicht vor ihr fürchtet. Frau Stein ist davon geflogen; jetzt ist sie wieder da. Die Dinge verändern sich. Ich verändere die Dinge.
Und also holte Florentin tief Luft und sagte mit einer Stimme, die klang, als gehörte sie einem viel älteren Jungen: "Ist es schwer, so viele Himbeeren zu ernten?"
Frau Stein richtete sich auf und sah Florentin an. Und es ist gut möglich, aber genau weiß ich das nicht, dass sie ihm zum allerersten Mal in die Augen sah, die sie anstrahl-ten, als wären es zwei kleine Sternchen. Und vielleicht erinnerte sie sich da an etwas, was lange zurücklag, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, das die Kirschen vom Nachbarbaum genascht hatte. Auf jeden Fall sagte sie: "Sehr schwer. Und der Rücken tut weh."
"Soll ich dir helfen?" fragte Florentin.
Frau Stein wiegte den Kopf hin und her, als müsste sie gut überle-gen. "Hast du Seifenblasen dabei?" fragte sie.
"Nein", sagte Florentin, "keine."
"Also gut", sagte sie und reichte ihm ein leeres Körbchen. "Es fällt dir doch nicht schwer, über den Zaun zu klettern?"
Die Himbeeren glitten mühelos von dem gelblichen Stumpen, auf dem sie steckten. Florentin brauchte die Beeren nur sacht zwischen Zeigefinger und Daumen zu fassen und sanft daran zu ziehen. Wenn er sie dann, gänzlich unzermatscht, in den Mund schob, wa-ren sie das Köstlichste, was er je gegessen hatte. Aber das sagte ich ja schon.
Schweigend arbeiteten sie nebeneinander her; nur das Stöhnen der alten Frau Stein unterbrach ab und an die Stille. Und als Florentin schon überlegte, ob er alles nur geträumt hätte, ja, ob nicht vielmehr dies gerade ein Traum wäre, bemerkte er den blauen Fleck auf Frau Steins Unterarm.
"Hat es weh getan?" fragte er und musste sich ein wenig räuspern.
Frau Stein folgte Florentins Blick und grinste. "Ach iwo!" sagte sie. "Nur vor der Landung sollte man sich in acht nehmen."
Dann schwieg sie wieder, bis es Florentin nicht länger aushielt. "Wie ist es?", fragte er, "ich meine, oben, in der Luft?"
Frau Stein schob sich eine Himbeere in den Mund. Sie kaute genüsslich und schloss die Augen und sah aus wie eine alte, sehr zufriedene Frau. Als sie die Augen wieder aufmachte, funkelten sie, als wäre ihr soeben ein guter Witz eingefallen.
"Es war atemberaubend", sagte sie, "einfach wundervoll. Manchmal tut es gut, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten!"
Da wusste Florentin einen Moment lang nicht, ob er vielleicht neidisch sein sollte auf die alte Frau Stein. Aber dann dachte er: Es ist doch besser, dass sie wieder herausgekommen ist aus der Seifenblase. Sonst würden wir nicht hier sitzen und ihre Himbeeren essen.
Die Dinge hatten sich zweifelsohne geändert.
So ist das gewesen mit Florentin, den Himbeeren und der alten Frau Stein. Und ob du es glaubst oder nicht: Als der Sommer vorüber war, der Herbst, der Winter, der Frühling kam und es wieder Sommer wurde, wuchsen die Himbeeren auch in Florentins Garten. Ihre Wurzeln waren einfach unter dem Zaun durchgekrochen, denn sie kennen ja keine Regeln und Grenzen, und du kannst gerne kommen und nachsehen, ob es auch stimmt.
Aber jedes Jahr, wenn im Juli die Sonne in den Himmel klettert und die Himbeeren duften, steigt Florentin zu Frau Stein über den Zaun und hilft ihr beim Ernten. Es sind ja so viele Himbeeren, dass sie es kaum alleine schafft. Manchmal bringt er Mama ein Körbchen in die Küche. Sie sitzen am Esstisch und naschen von der süßen Pracht. Am Fenster segeln Wattewölkchen vorbei, die so rosa gerändert sind, dass sie an Seifenblasen erinnern. Mama guckt Florentin an und sieht nachdenklich aus.
"Was hast du bloß gemacht?" fragt sie und schüttelt den Kopf. "Ich verstehe es nicht!" Aber Florentin grinst nur und sagt: "Mama, die Dinge verändern sich!"
Dann rennt er in den Garten. Frau Stein wartet schon.

Diese Geschichte hat Dagmar Petrick extra für Rossipotti geschrieben. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

 

* * *

Der Ausflug in die Drachenfelsstraße

von Peter Friedrich

An die Ausflüge mit meinem Vater erinnere ich mich noch gut. Sie waren ein Ersatz für richtige Ferien, die er sich nie leisten konnte. Besonders einer dieser Ausflüge ist mir dabei so gegenwärtig, als wäre er gestern gewesen, denn auf ihm geschahen mehr als merkwürdige Dinge. Wir wohnten damals schon einige Jahre in der Hirschkäferstraße, aber bis zu diesem Tag hatte ich dort nie einen Hirschkäfer gesehen. Ich hatte überhaupt noch nie einen Hirschkäfer gesehen - einen echten, lebendigen meine ich. Gewiss, an einem Hirschkäfer ist nichts Merkwürdiges - doch kann es Zufall sein, dass aufgerechnet an dem Tag, an dem mein Vater mit gespielter Geheimnistuerei sagte: "Willi, heute machen wir zwei einen Ausflug zum Drachenfelsen", etwas Dickes, Brummendes an uns vorbei flog und auf einem niedrigen Ast der Eiche landete, die vor unserem Haus stand?


Illustration: Annette Kautt

Es war ein Hirschkäfer. Mein Vater war ganz aus dem Häuschen, denn auch er hatte noch nie einen Hirschkäfer gesehen, während mich bereits bei diesem Hirschkäfer ein Gefühl des Unbehagens beschlich. Ich versuchte mich an Abbildungen in Biologiebüchern zu erinnern, denn ich fragte mich, ob das Geweih eines Hirschkäfers wirklich so riesig war wie bei diesem Exemplar.
Mein Vater dagegen schien nicht irritiert zu sein. In bester Stimmung sagte er: "Na, Willi, wenn uns in der Hirschkäferstraße ein Hirschkäfer über den Weg läuft, dann finden wir am Drachenfelsen bestimmt einen richtigen Drachen. Du wirst sehen, das wird heute ein aufregender Tag."
Er sollte Recht behalten.
Wir stiegen ins Auto und fuhren los. An der ersten Verkehrsampel mussten wir eine Weile warten. Vater drehte das Fenster herunter, um, wie er sagte, die frische Frühlingsluft hereinzulassen.
"Oh, horch mal!", rief er plötzlich. "Hörst du den Vogel singen? Das ist eine Nachtigal. Meine Güte, seit meiner Kindheit habe ich keine Nachtigal mehr gehört."
Zufällig sah ich in diesem Augenblick auf das Straßenschild.
"Ist ja auch kein Wunder. Wenn wir in der Hirschkäferstraße einen Hirschkäfer sehen, dann ist es ganz klar, dass wir auf dem Nachtigalplatz eine Nachtigal hören."
"Du hast Recht. Ist ja wirklich lustig. Na dann pass mal auf. Als Nächstes müssen wir durch die Kuckuckstraße fahren. Wäre doch gelacht, wenn wir da nicht einen Kuckuck zu hören bekämen."
Als dann in der Kuckuckstraße tatsächlich ein Kuckuck rief, mussten wir beide lauthals lachen. Selbst ich hatte zu diesem Zeitpunkt mein Unbehagen wegen des Hirschkäfers vergessen und wir hielten die Sache eben noch für einen lustigen Zufall.
Ich fing nun an, in jeder neuen Straße auf das Straßenschild zu achten. Als wir im Kohlmeisenweg sofort ein paar Kohlmeisen in den Bäumen erblickten, lachten wir noch lauter. Nun gut, Kohlmeisen sind nichts Besonderes. Die kann man fast überall sehen. Zumal im Frühjahr, wenn die Bäume noch kein Laub tragen.


Illustration: Annette Kautt

In der folgenden Straße, der Krötengasse, musste mein Vater Schlangenlinien um einige Kröten fahren, die langsam über die Straße krabbelten. Hier verging mir das Lachen, denn die größte der Kröten drehte auf einmal ihren Kopf und blickte mich für einen kurzen Augenblick mit rot funkelnden Augen an. Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich hatte wirklich den Eindruck, sie blicke mich an. Ich weiß nicht, ob mein Vater diesen Krötenblick bemerkt hatte, auf jeden Fall lachte auch er nicht, sondern erklärte mir hastig, das sei ganz normal in dieser Jahreszeit. Da würden die Kröten in warmen, regnerischen Nächten von allen Seiten zum See auf der anderen Straßenseite wandern.
Das wusste ich auch. Von den Krötenwanderungen im Frühjahr hatte uns die Lehrerin in der Schule erzählt. Trotzdem machte mich etwas stutzig.
"Aber heute Nacht hat es doch gar nicht geregnet", wandte ich ein. "Zumindest ist die Straße ganz trocken."
"Ach ja?", antwortete mein Vater, "ach, dann haben diese paar Kröten einfach keine Lust gehabt, auf den nächsten Regen zu warten."
Nun fuhren wir in eine Straße namens Katzensteg. Langsam fand ich es merkwürdig, dass fast alle Straßen nach Tieren benannt waren. Das war mir bisher nie aufgefallen. Eine Katze zu sehen, ist dagegen bestimmt nicht merkwürdig. Nicht einmal, wenn die Straße zufällig Katzensteg heißt. Was aber, wenn drei Katzen nebeneinander auf dem Bürgersteig sitzen und gleichzeitig die rechte Pfote heben, als wollten sie uns winken? Das ist schon etwas seltsam, oder? Zumindest nach allem, was wir bisher erlebt hatten auf unserem Weg zum Drachenfelsen.
Ich konnte daher nicht anders, als Vater mit etwas unsicherer Stimme zu fragen: "Hast du die Katzen gesehen?"
"Ja, ja", antwortete er, "und wir fahren gerade durch den Katzensteg. Heute haben wir es mit den Tieren. Ich habe dir ja gesagt, am Ende begegnen wir am Drachenfelsen einem richtigen Drachen."
Es war ein Scherz. Er wollte mich zum Lachen bringen. Doch statt zu lachen verstummte ich. Nach einem kurzen, unbehaglichen Moment der Stille lachte mein Vater selbst.
"Ha ha ha, ein richtiger Drache! Das wär's, was Willi!"
Ich weiß noch genau, dass ich mich schon damals fragte, ob er nicht bloß mich zum Lachen bringen wollte.
Wirklich beunruhigt wurde ich allerdings erst durch die drei Hasen, die im Hasenweg auf einer kleinen Wiese saßen. Gewiss, Hasen sind harmlose, niedliche Tiere, aber irgendetwas störte mich an ihnen. Ich kann im Grunde nicht sagen was, vielleicht nur, dass sie die Köpfe ruckartig hoch und runter bewegten. Als ob sie miteinander redeten. Die reden über mich, ging es mir durch den Kopf. Vater meinte natürlich, ich bilde mir das nur ein. Mehr sagte er nicht.
Dass wir anschließend in die Schäferstraße einbogen, erleichterte mich nicht. Sicher, ich kannte die Straße und wusste, dass hier auf einer Weide in der Tat eine Schafherde stand. Es konnte mich daher nicht überraschen. Trotzdem - insgeheim hoffte ich, die Schafe wären heute ausnahmsweise nicht da. Aber natürlich waren sie da. Das sah ich schon von weitem. Die ganze Herde drängte sich dicht an den Zaun, einige Schafe standen auf den Hinterbeinen und hatten ihre Vorderhufe auf den Holzzaun gelegt und als wir schon fast an ihnen vorbei waren, sprang ein Schaf auf den Rücken des vor ihm stehenden Schafes und fletschte die Zähne wie ein Hund.
Ich schrie auf, doch als ich Vater erzählte, was ich gesehen hatte, meinte er nur streng, meine Fantasie würde langsam mit mir durchgehen. Gleichzeitig schaute er jedoch in den Rückspiegel und ich merkte deutlich, dass er Gas gab.
Rasch bog mein Vater in die nächste Straße ein. Ich kniff die Augen zu und hoffte ganz fest, dass es endlich vorbei sei mit diesen Tierstraßen. Doch als ich die Augen wieder öffnete, stockte mein Atem. Die Straße hieß Wolfsbergerstraße. Und tatsächlich standen zwei Wölfe ein Stück vor uns, einer rechts, einer links der Straße. Ich hatte noch nie einen echten Wolf gesehen, trotzdem war ich mir sicher, dass dies keine Schäferhunde waren, wie mein Vater sofort behauptete. Ich hatte ihn gar nicht gefragt. Er versuchte angestrengt, in einem ganz lockeren Ton zu reden, aber seine Stimme überschlug sich ein paar Mal, weil er sehr schnell sprach.
Als wir auf einer Höhe mit den Wölfen waren, sträubten sie die Haare, zeigten ihre Zähne und ließen ein durchdringendes Knurren hören. Sie verfolgten das Auto mit ihren kalten, stahlblauen Augen. Ich drehte mich um und schaute durch die Heckscheibe. Die Wölfe begannen, langsam hinter dem Auto her zu traben. Dann liefen sie schneller und schneller. Sie kamen immer näher an das Auto heran. Ich duckte mich und versteckte meinen Kopf hinter der Rückenlehne. Im nächsten Augenblick heulte der Motor auf und das Auto beschleunigte kräftig. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich die beiden Wölfe nur noch aus der Ferne.
"Warum bist du so schnell gefahren?", fragte ich meinen Vater.
"Schnell?", entgegnete er. "Ach, ich wollte bloß noch bei Grün über die Ampel kommen."
"Welche Ampel?"
"Na - jetzt kannst du sie nicht mehr sehen. Du darfst nicht so viel träumen, Willi. Dann siehst du weniger Wölfe und mehr Ampeln, ha ha ha."
Er versuchte zu lachen, aber das Lachen klang auffallend schrill. Und warum sprach er von Wölfen? Ich hatte doch gar nichts gesagt.
"Schau her, Willi", sagte er einen Augenblick später mit lauter, deutlicher Stimme, "jetzt kommen wir in die Krokodilsgasse und Krokodile gibt es hier nun wirklich ni..."
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn er musste plötzlich eine Vollbremsung hinlegen. Die Reifen quietschten, Vater riss das Lenkrad herum und fuhr ganz knapp um etwas Großes, Graues herum, das mitten auf der Straße lag.


Illustration: Annette Kautt

"Was war denn das?" rief er aufgeregt, als er das Auto wieder unter Kontrolle hatte und langsam weiterfuhr.
"Ein - Krokodil war das", stammelte ich, "ein riesiges Krokodil."
Vater drehte sich um, blickte an mir vorbei nach hinten. Noch nie hatte ich die Augen meines Vaters so groß gesehen. Dann schaute er mir ins Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten, verzogen seinen Mund zu einem schiefen Lächeln.
"War bloß ein geplatzter Autoreifen."
"Hm", entgegnete ich, "muss aber mindestens ein Traktorreifen gewesen sein, so groß wie das Ding war."
"Dann war es eben ein Traktorreifen!" entfuhr es meinem Vater heftig, wobei er sich mit der Hand Schweißperlen von der Stirn wischte. Gereizt fügte er hinzu: "Und jetzt will ich von Tieren nichts mehr hören, bis wir in der Drachenfelsstraße sind."
Ein dicker Kloß schwoll in meinem Hals an und nahm mir fast die Luft zum Atmen. Der Drachenfelsen war also in einer Drachenfelsstraße!
Nach der nächsten Kreuzung fuhr mein Vater zu meiner Überraschung rechts ran und stoppte den Wagen. Wir standen direkt neben dem Straßenschild und nun war mir klar, warum er anhielt. Diese Straße wagte auch er nicht zu durchfahren: den Löwensteinring!
Ich atmete schon erleichtert auf, da räusperte Vater sich auf eigenartig stockende Weise und sagte mit trockener, papierener Stimme: "Ich muss nur mal das Fenster hochkurbeln. Sonst kriege ich von der Zugluft eine Erkältung. Es ist doch noch ganz schön frisch draußen."
Normalerweise konnte meinem Vater die Luft nie frisch genug sein und er öffnete im Auto immer sofort das Fenster, wenn es ihm nur ein klitzekleines bisschen zu warm wurde. Und ich fand, es war an diesem Morgen mittlerweile ziemlich warm geworden im Auto. Bevor er zu meinem Entsetzten tatsächlich wieder losfuhr, holte er noch ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich ausgiebig den Schweiß von Schläfen und Stirn.
Ich musste mich in mein Schicksal fügen. Alles Reden hätte zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn mehr gehabt. Ich versuchte, mich zu beherrschen, was mir allerdings nur gelang, bis wir an einer Ampel anhalten mussten. Denn dort war wirklich einer - ein Löwe!
Langsam kam er hinter einer Hecke hervor, schüttelte seine gewaltige Mähne und schritt auf unser Auto zu.
Ich schrie: "Papa, ein Löwe! Schnell, fahr schnell weg!"
Er schrie zurück: "Musst du mich mit deinem Gebrüll so erschrecken. Ich habe dir gesagt, du sollst mit diesem albernen Unfug aufhören. Die Ampel ist rot. Da kann ich nicht fahren."
Obwohl ich meinen Blick nicht von dem Löwen wenden konnte, registrierte ich aus den Augenwinkeln heraus, dass mein Vater immerzu zwischen dem Löwen und der Ampel hin und herschaute. Der Löwe zog seine Lefzen hoch und zeigte seine riesigen, scharfen Zähne. Er öffnete sein gieriges Maul, so dass ich tief in seinen roten Rachen sehen konnte, und stieß ein dunkel dröhnendes Gebrüll aus. Es ging mir durch Mark und Bein. Dann hob er die mächtige rechte Pranke. Ich sah die messerscharfen Krallen aufblitzen. Der Löwe legte die Pranke auf den vorderen Kotflügel des Autos und zog die Pranke ganz langsam nach unten. Das langanhaltende, schrille Kratzgeräusch bohrte sich schmerzhaft in mein Ohr. Nur wie aus weiter Ferne hörte ich meinen Vater nervös murmeln: "Nun komm schon, Ampel. Werd' endlich grün."
Ungeduldig rutschte er auf seinem Sitz hin und her.
Sowie die Ampel grün wurde, rief er "Endlich!" und trat mit solcher Kraft auf das Gaspedal, dass die Reifen quietschten. Er hätte keinen Augenblick später losfahren dürfen. Der Löwe hatte zum Sprung angesetzt und wäre auf dem Dach unseres Autos gelandet, wären wir nicht losgefahren. So landete der Löwe hinter dem Auto.
Als wir weit genug von der Ampel und dem Löwen entfernt waren, sagte mein Vater: "So, jetzt sind wir gleich da. Da vorne fängt die Drachenfelsstraße an."
Er meinte wohl, mich damit zu beruhigen. Das Gegenteil war der Fall. Nach allem, was wir bisher erlebt hatten, wollte ich heute unter keinen Umständen in die Drachenfelsstraße. Ich versuchte etwas zu sagen, doch es ging nicht. Meine Kehle war staubtrocken. Vor dem Löwen waren wir in unserem Auto ja noch einigermaßen geschützt, aber vor einem Drachen? Der könnte mit einer einzigen Kralle das Autodach aufschlitzen. Oder das ganze Auto mit einem Fußtritt zerquetschen. In ohnmächtiger Panik klammerten sich meine Hände am Sicherheitsgurt fest.
Wir näherten uns der Kreuzung, an der es links in die Drachenfelsstraße ging. Ich konnte bereits das Straßenschild lesen. Doch zu meiner Überraschung fuhren wir geradeaus. Als wir über die Kreuzung hinweg waren, sagte mein Vater:
"Ja, Willi, jetzt haben wir ein Problem. Die Drachenfelsstraße ist vollkommen gesperrt und meines Wissens gibt es keine andere Zufahrt zum Drachenfelsen."
Ich hatte überhaupt keine Absperrung gesehen.
"Ähm, die Baustelle ist erst weiter drin in der Straße", erklärte er auf meine Frage hin. "Es stand bloß ein kleines Hinweisschild da, dass man nicht durchfahren kann."
Ich hatte auch kein Hinweisschild gesehen, aber ich war so erleichtert, dass ich gar nicht genauer nachfragen wollte. Aus dem gleichen Grund fragte ich auch nicht nach, als er nun sagte, er müsse auf einem anderen Weg zurück nach Haus fahren. Trotzdem belehrte er mich umständlich über Einbahnstraßen, Kreisverkehr und Ringstraßen.


Illustration: Annette Kautt

Zu Hause angekommen, war alle meine Angst bereits verflogen. Irgendwie konnte ich selbst nicht mehr glauben, dass das alles wahr gewesen sein sollte. Doch als ich beim Aussteigen hinten am Auto die verbogene Antenne erblickte, lief mir wieder ein Schauer den Rücken herunter. Ich erinnerte mich jetzt, ein lautes Knacken gehört zu haben, als der Löwe über das Auto sprang. Unwillkürlich blickte ich zum Kotflügel - und richtig: vier lange Kratzer verliefen nebeneinander von oben schräg nach unten. Mit leicht zitternder Hand zeigte ich meinem Vater die Kratzer. Er aber zog mich schnell zur Haustür und meinte beiläufig, er sei gestern auf dem Parkplatz vor seinem Büro zu dicht an einer Brombeerhecke vorbeigefahren.
Aber wenn ich mich nicht irre, gab es auf diesem Parkplatz gar keine Hecke. Zuerst wollte ich noch einmal nachhaken, aber dann ließ ich es doch bleiben. Mir war klar geworden, dass Vater die ganze Sache bloß meinetwegen so herunterspielte. Wusste er doch, dass ich schon vor kleinen Hunden eine Heidenangst habe.

Peter Friedrich hat Rossipotti diese Geschichte netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

* * *

Der Briefkasten

von Ditmar Danelius

Jeden Tag füllt sich der dicke gelbe Briefkasten gegenüber dem Supermarkt mit vielen Briefen. Meist liegen sie still durcheinander und warten, auf die Reise zu gehen. Wohin, das wissen sie schon; es steht ja auf der Adresse. Und was im Brief steht, wissen sie natürlich auch und alles ist nachzulesen.
Und wie das so ist, wenn man Zeit hat und in Gesellschaft ist, auch wenn sie fremd ist, man kommt ins Gespräch.

"Ach, ich kann es kaum erwarten", platzt ein hellgrüner Brief heraus.
Er ist an eine alte Dame gerichtet, die im Quiz einen neuen Fernseher gewonnen hat.
"Was wird sie für große Augen machen, wenn sie mich liest!"

"Ruhe!" murrt der Anwaltsbrief. "Ich muss nachdenken."
Und ist schon ganz faltig davon.

"Worüber denn?" fragt die himmelblaue Urlaubskarte neugierig, die guter Dinge ist - die Urlaubsgrüße sind ja so herzlich!

"Ach, es ist noch vieles ungeklärt. Eine schlimme Scheidungsgeschichte. Vater und Mutter streiten sich, bei wem das Kind nun wohnen soll."
Dann schweigt er wieder, weil er meint, dass ihm hier sowieso niemand helfen kann.

"Tja", seufzt der Trauerbrief. "Das Leben kann furchtbar traurig sein. Es gruselt mich schon, gelesen zu werden."

"Mich nicht!" sagt vorlaut der Eilbrief. "Ich hab' die beste Nachricht der Welt: Frau Schmidt ist Großmama geworden! Es ist ein süßes Mädchen."

"Sie haben's gut", sagt ein Brief aus blassgrauem Papier. "Ich kann leider die Schrift nicht lesen, in der ich geschrieben bin. Zu krakelig. Hoffentlich nichts Unangenehmes!"

"Wird schon nicht", lacht munter ein Werbebrief. Der bunt und zuversichtlich ist und zum Kauf eines neuen Autos überreden will. Und überzeugt ist, dass es klappt und sich gar nicht vorstellen kann, dass andere Briefe sich Sorgen machen.

"Wird schon nicht! Wird schon werden! - wenn ich das schön höre", stöhnt ein Einschreiben, in dem eine Vertragskündigung liegt. Bei mir können die Leute die Raten für ihr Auto nicht mehr bezahlen. Jetzt kündigt die Bank den Kreditvertrag!"

"Davon kann ich ein Lied singen", murmelt die Zahlungsaufforderung für eine Waschmaschine. "Mein Absender, ein Familienvater, ist arbeitslos geworden. Nun ist das Geld knapp."

"Tja, erst sparen, dann kaufen", sagt die Hochzeitseinladung altklug.
Das wusste sie von dem jungen Pärchen, bei dem sie schon eine Weile auf dem Schreibtisch lag; denn die beiden hatten einen Hausstand zu gründen und die Frau mahnte immer wieder, dass das Geld nicht reicht. Und wollte nichts borgen.

"Am 25. ist Ultimo", brummt ein Gerichtstermin. Mehr hat er nicht zu sagen, weil auch nicht viel mehr drin steht. Was ihn neidisch macht. Und grummelig ist er von Amtswegen.

"Das Leben ist schön und voller Geheimnisse", wispert der Liebesbrief. Das macht die anderen neugierig. Er duftet nach Parfüm und hat ein zartrosa Kuvert.

"Ja, was steht denn bei dir drin", fragt der Abschiedsbrief melancholisch.

"Psss. Das geht nur das Liebespaar etwas an", antwortet der Liebesbrief.

"Schade", seufzt der Abschiedsbrief enttäuscht. "Ich könnte Trost gebrauchen. Mein Pärchen trennt sich gerade. Das Mädchen will ihn nicht mehr. Er hat sie belogen und bereut es furchtbar. Das nutzt jetzt nichts mehr."

Einen Moment ist Stillschweigen im Briefkasten.
Plötzlich geht die Klappe auf, ein neuer Brief fällt hinein.

"Wer bist du und wo willst du hin?" fragt der Brief eines kleinen Mädchens, in dem sie sich für ein Geburtstagspaket mit schönen Anziehsachen bei ihrer Tante bedankt. Einen bunten Schmetterling hat sie beigelegt hat. Selbst mit Tusche gemalt.

Der neue Brief kann nicht mehr antworten; denn eben ist das Postauto vorgefahren und alle Briefe fallen in einen großen Sack, wo schon viele aus anderen Briefkästen liegen.

"Jetzt beginnt die Reise", flüstert der Liebesbrief.
Die anderen schwiegen - und jeder war ja auch mit seinen eigenen Zeilen beschäftigt …

Ditmar Danelius hat Rossipotti diese Geschichte netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!

 
 © Rossipotti No. 23, Dez. 2010