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Kulturtasche

 

Interview mit Manfred Bofinger, Gebrauchsgraphiker

Herr Bofinger, wann haben Sie gewusst, dass Sie Gebrauchsgraphiker oder Illustrator werden möchten?

Also eigentlich wollte ich richtig Malerei studieren. Aber ich hatte mich nie beworben. Ich hatte nach meiner Schriftsetzerlehre Abi gemacht und bin dann durch einen Glücksfall zum Eulenspiegel-Verlag gekommen. Ein Bekannter, der bei uns im Haus lebte und Gestalter beim Eulenspiegel-Verlag war, also bei der Zeitschrift, fragte mich nämlich, ob ich nicht Lust hätte, nach meiner Lehre bei ihnen anzufangen. Aber bis dahin hatte ich mit Karikaturen nichts am Hut. Also natürlich kannte ich einige Leute, allerdings nicht persönlich, die das gemacht haben. Aber das Faible dafür habe ich erst 1961-68 entwickelt, als ich dort gearbeitet habe. Davor habe ich zwar schon Holz geschnitten, kleine Monotypien (Durchzeichnungen und -reibungen) gemacht oder kleine Kreidezeichnungen. Aber eigentlich habe ich erst durch die Bekanntschaft mit vielen Cartoonisten dieser Ära angefangen zu zeichnen.
Karl Schrader war mein heimlicher Mentor, und der hat mich gequält und hat gesagt, "du zeichnest klasse, und du machst jetzt mal was." Ich habe dann angefangen, so kleine Sachen zu zeichnen für's Eulenspiegelheft. Ich betreute die Literaturseite und zeichnete für Erwachsene eine Vignette. 1968 hatte ich bereits so viele Aufträge für Buchgestaltungen, weil ich ja ausgebildeter Schriftsetzer war und auch schon nebenher einige Cartoons und Plakate gezeichnet habe, dass ich beim Eulenspiegel-Verlag aufhörte und seither freiberuflich tätig bin.

Aber Ihr Talent war doch sicher schon viel früher sichtbar? Ihre Kinderzeichnung vom Schabrackentapir beispielsweise, die im "Krummen Löffel" abgebildet ist, könnte auch von einem Erwachsenen stammen

Ja, als Kind habe ich immer gerne gezeichnet. Ich habe ein paar Kinderzeichnungen von mir gefunden, nicht viele, aber immerhin eine Mappe voll, da ist der Duktus schon erkennbar. Der Duktus lässt sich nicht verändern. Der ist einfach da. Es lag schon nahe, dass das Talent da war. Das ist nicht die Frage. Aber dass ich so was mache, diese Spezialisierung, war nicht klar. Was ich jetzt mache, nennt man Gebrauchsgraphik. Weil alles, was gedruckt wird, mit Gebrauchsgraphik zu tun hat. Ob es ein Plakat oder eine Briefmarke oder eine Illustration für die Zeitung ist, es muss gedruckt werden, was ja bei Büchern sowieso der Fall ist.

 

Vita

Manfred Bofinger wurde 1941 in Berlin geboren, wo er auch im Ostteil der Stadt aufwuchs. Von 1961-68 war er Typograf bei der satirischen Zeitschrift "Eulenspiegel". Seit 1968 ist er freiberuflicher Cartoonist und Graphiker, wobei sein Hauptgebiet Kinderbücher sind.
Bofingers Bibliographie umfasst eine unüberschaubare Zahl illustrierter Bücher, Karikaturenbände, Bastelbögen, Kalender, Postkartenbücher, Programmhefte, Spielkarten und Plakate. Er erhält u.a.: "Kunstpreis der DDR", "Goethe Preis der Stadt Berlin", "Hans-Baltzer-Preis", "Schnabelsteher Preis" und die "Rahel- Varnhagen- von- Ense- Medaille". Mehrere seiner Werke wurden zu "Büchern des Monats".

Anmerkung der Redaktion vom 12. Januar 2006:

Manfred Bofinger ist am 8. Januar 2006 gestorben, nachdem er ein Jahr lang im Wachkoma lag.
Bis zu seinem Tod lebte er in Berlin und hinterlässt seine Frau Gabriele und vier Kinder.

"Gebrauchsgraphiker" hört sich mehr nach Handwerker denn als Künstler an. Fühlen Sie sich mehr als Künstler oder als Handwerker?

Ich bin eigentlich mehr Handwerker, handwerklich tätig. Aber es muss trotzdem mit Seele erfüllt werden. Da muss man etwas reintun, was mit einem persönlich zu tun hat. Es muss einem Vergnügen bereiten, es muss die Literatur interpretieren, es muss eine eigene Idee haben, beim Cartoon nun ganz besonders. Insofern ist es schon reizvoll, wenn man seine eigenen Texte zur Hand nimmt und illustriert, weil dann eine ganz große Geschlossenheit von Text und Bild da ist.

Die "Seele der Zeichnung" kann man auch als den persönlichen Stil des jeweiligen Graphikers bezeichnen. Wie bekommt man seinen eigenen Stil?

Das kann man leider Gottes nicht beantworten. Eine Antwort könnte lauten: Warum unterschreiben Sie so, wie Sie unterschreiben...

Aber das üben viele doch sehr lange...

Aber es klappt eben zum Schluss nicht mehr. Mit sechzehn oder jünger versuchen viele genauso flott zu schreiben wie Vater oder Mutter. Das mag zwar klappen, aber nach einer Weile klappt es eben nicht mehr. Plötzlich hat das Kind doch seine eigene Handschrift wiedergefunden. Und das ist bei der Zeichnung ähnlich. Außerdem wird man natürlich geprägt von seinem Umfeld. Das eine gefällt einem weniger und das andere besser. Als Oberschüler war ich beispielsweise ein großer Freund des Expressionismus, das hat mich sicher geprägt. Das ist auch heute für mich immer wieder ein Erlebnis, weil die Expressionisten die Welt von der künstlerischen Seite her ähnlich betrachten: Das ist eine lineare Lösung, die mit Farbe gefüllt ist. Später war dann für mich hilfreich, dass die Pop-Art gerade losging. Das ist ja eine sehr heitere, frohe Stilrichtung. Da muss man sich allerdings hüten vor Epigonalem (Nachgemachtem, die Red.).
Für mich war eigentlich ideal, dass ich vor meinem ersten Bilderbuch, das war 1972 "Der kleine Zauberer", Plakate gemacht habe. Plakate, die sehr linear und farbig waren.

Und das entspricht ja Ihrem klaren, pointierten Stil bis heute. Wenn man nun seinen eigenen Stil gefunden hat, verändert er die eigene Sichtweise?

Tatsächlich wird man die Welt anders beobachten. Weil es über das Auge, über alle Sinne in die Hand geht und von dort wieder zurück. Das ist ein Kreislauf. Also, dass ich dazu neige, die Dinge zu vereinfachen und zwar im Sinne von plakativer Gestaltungsform, liegt auf der Hand. Das wiederum ist der modernen, schnelllebigen Zeit angepasst. Außerdem hat es auch etwas mit der damaligen Zeit zu tun. Die Zeit der Op-art, Pop-art und Beatles-art war eine Zeit der Oberflächlichkeit. Ich meine das jetzt nicht im Sinne von Trivialem, sondern im Sinne von Überschaubar, Oberflächenhaft.

Ihre gestalterische Herkunft liegt ja im Cartoon. Wie kamen Sie zum Kinderbuch?

Der Kinderbuch-Verlag meldete sich 1972 bei mir, mit einem Buch, das ich illustrieren sollte, "Der kleine Zauberer und die große 5". Das Buch wurde gleich "Schönstes Buch". Da hatte ich natürlich einen Glückstreffer gezogen. Danach hat mich die Bilderwelt für Kinder nicht mehr losgelassen. Zumal ich damals schon drei Kinder hatte, ein Kind war acht, das andere sechs, das anderes vier. Also besser konnte es mir nicht gehen, dass ich meine Zielgruppe bei mir zu Hause hatte. Das war dann bis heute meine Hauptbeschäftigung, Bilderbücher für Kinder zu machen.

Sie machen mit Kindern zusammen sehr viele Veranstaltungen in unterschiedlichen Einrichtungen in ganz Deutschland. Wie arbeiten sie mit den Kindern?

Das sind immer Elementarspiele. Das sind Spiele, die eine zeichnerische Spielerei darstellen, mit dem Hintergrund die Phantasie zu entwickeln und zu fördern. Wichtig dabei ist, dass die Kinder mich genauso als Partner wahrnehmen wie ich sie. Konkret muss man sich das so vorstellen, dass ich bestimmte Dinge in einer Zeichnung verpacke. Die Verpackungen verraten nur die äußere Form des Dings. Und die Kinder müssen erraten, was da drin ist. Das sind bei vielen Dingen natürlich sehr viele Möglichkeiten, bis ich sie dann so weit habe, dass sie genau das treffen, was ich auch meine. Also ich schwindele da nicht, ich denke mir da jedes Mal vorher etwas aus und bleibe auch dabei. Das klappt bei jedem Element so. Und dann müssen sie mir die umgekehrte Aufgabe stellen. Sie zeichnen nur die äußeren Umrisse eines Dings. Und ich muss dann erraten, was sie mir verpackt haben. Das ist natürlich für beide Seiten ein höllisches Vergnügen, weil es ausufert bis in die extremsten Bereiche. Die Kinder bieten natürlich auch viele Merkwürdigkeiten an. Manche Lehrerin ist völlig entsetzt, dass ausgerechnet dieses Kind diese Phantasie entwickelt. Also, da sind dann zusätzlich noch soziologische Reize dabei, die durchaus schön sind. Am Schluss kommt immer die Auflösung in Form einer kleinen Zeichnung und jedes Kind bekommt sein Lieblingstier gezeichnet als kleines Dankeschön dafür, dass es mitgespielt hat. Die Kinder spielen wirklich sehr gerne mit.

Obwohl Sie bei mehreren Bilderbüchern auch den Text geschrieben haben, darunter das überaus erfolgreiche Spiel-Buch "Graf Tüpo", illustrieren Sie doch überwiegend Texte von anderen Autoren. Warum?

Die Bücher, bei denen auch der Text von mir stammt, sind schon die Ausnahme. Im Moment mache ich ein Kiezbuch für Erwachsene, das mit kleinen Vignetten bebildert wird. Ansonsten habe ich die Bücher deshalb selbst gemacht, weil der Verlag an mich herangetreten ist.
"Graf Tüpo" ist allerdings ein Sonderfall. Das war ein absoluter Ober-Glücksfall. "Graf Tüpo" machte ich eigentlich für eine Ausstellung. Ich hatte von Anfang an eine Grundidee, nämlich ein Spielbuch mit geometrischen Formen zu machen. Ein Freund von mir, Elmar Faber, hatte von Reclam gerade die Sisyphos Presse übernommen, ein Verlag für Originalgraphik. Faber wollte in diesem Verlag unbedingt auch ungewöhnliche Kinderbücher machen. Ich zeigte ihm mein Buch, und er wollte es gleich als erstes Buch in seiner neuen Reihe herausgeben. Das Buch wird heute noch verlegt und hat eine Auflage von 25. 000, was ja ungewöhnlich hoch für ein Bilderbuch ist.
Generell arbeite ich aber auch sehr gerne für andere Autoren. Zum Beispiel für Jens Sparschuh, der ja so viel reinpackt in seine Kinder-Romane. Wir suchen jetzt gerade einen Verlag, der sich das wieder leisten kann, so einen kleinen Kinder-Roman zu illustrieren. So wie das bei den berühmten Vorlagen Trier und Kästner war. Und wenn es auch nur schwarz-weiß wird. Es ist schon sehr ungewöhnlich und reizvoll, wenn man über längere Strecken so eine Symbiose mit einem Autor erhält. Man freut sich dann immer schon auf das Manuskript. Man ist ja auch fast immer der erste, der so etwas auf den Tisch bekommt. Und da ist man sehr neugierig, was er da geschrieben hat und es macht Laune, sich Bilder dazu auszudenken. Und dann kommt ja erst die handwerkliche Arbeit. Also das Hineindenken in jemand anderen macht natürlich immer wieder große Freude. Auch das Hineindenken in einen längst erschienenen Text. Ich habe zum Beispiel mal Mark Twains "An König Artus' Hof" illustriert. Und das hat mir so einen Spaß gemacht. Zuerst wollte ich es ganz anders machen, und ich war auch ganz verkrampft, aber irgendwie ist der Knoten geplatzt und dann ist daraus ein sehr schönes Buch geworden, auf nicht ganz so gutem Papier, wie es damals üblich war.

Inwieweit können Sie ihren eigenen Stil denn dem Autor annähern?

Ich bekomme ja nur Bücher angeboten, die mich brauchen oder haben wollen. Man muss dann die Feinheiten herausarbeiten. Die Illustrationen zu Heins "Wildpferd" unterscheiden sich doch deutlich gegenüber anderen Illustrationen. Es gibt aber auch andere Fälle. Zum Beispiel Mark Twain, den man auch anders illustrieren muss. Das muss man einfach tun. Diese Flexibilität muss man sich erhalten. Auch wenn die Illustrationen natürlich immer so aussehen müssen, als wenn ich sie gemacht hätte. Das ist wichtig, man darf seinen Duktus nicht verleugnen.

Haben Sie auch schon Aufträge abgelehnt, weil Ihnen das Projekt nicht gefallen hat?

Natürlich gibt es eine ganze Reihe, wo die Sachen meiner Meinung nach nicht passen. Das ist aber insgesamt nicht so typisch, weil ich meistens die Leute, wenn sie Bilderbücher machen, bereits kannte, ob das nun ein historischer Mensch ist oder lebt. Es gibt Fälle, wo der Autor an mich herangetreten ist, aber meistens dann schon bereits in Absprache mit dem Verlag, im anderen Fall muss der Verlag dann noch zustimmen. Meistens macht das aber von vorneherein der Verlag. Man muss dazu sagen, dass ganz viele Schriftsteller für Kinder überhaupt keinen Zugang zum Bild haben. Die sagen dann "machen Sie mal, mir wird es schon gefallen, wenn der Verlag damit einverstanden ist." Daneben gibt es natürlich die sehr sensiblen und auch wissenden, die dann auch sehr angenehm sind, weil man direkt mit ihnen Kontakt haben kann. Ich habe zum Beispiel mit Christoph Hein das "Wildpferd unterm Kachelofen" gemacht, der hat natürlich Ahnung von Illustration. Aber das war ein sehr seltener Fall.

Inwieweit hat sich Ihr Arbeiten heute im Vergleich zu DDR-Zeiten verändert?

Von der Menge her hat sich für mich persönlich nichts verändert. Was die Qualität betrifft, gibt es zwei wesentliche Unterschiede. Auf das Optische bezogen: Das Papier und die Druckqualität sind besser als damals und die Bücher erscheinen sehr schnell. Wenn das Buch gebraucht wird, kann es innerhalb einem Monat da sein. Das hat früher manchmal zwei Jahre gedauert. Das ist schon ein großer Qualitätsunterschied. Was allerdings nachgelassen hat, ist eindeutig die Lektoratsarbeit, also die Beziehung zwischen Lektor, Autor und Illustrator. In manchen Fällen gibt es überhaupt keinen Ansprechpartner mehr. Die direkte Zusammenarbeit zwischen einer Buchentstehung ist völlig weg. Es gibt in den Verlagen keine Gestaltungsabteilung und auch keine Lektoratsabteilung für Bild mehr. Wir hatten im Kinderbuch-Verlag, das war ja der größte Verlag in der DDR mit ungefähr 180 Mitarbeitern, alleine in dieser Abteilung bestimmt 15 Leute. Es gab außerdem einen künstlerischen Leiter, den es übrigens in allen Verlagen gab und der verantwortlich war, welche Illustratoren eingekauft werden. Und dann gab es noch die Zusammenarbeit zwischen der Gestaltungsabteilung, dem künstlerischen Leiter und dem Illustrator. Ich bekam zum Beispiel fast immer den gesamten Umbruch eines Buches mit freien Räumen, und ich konnte dann in die freien Räume hineinzeichnen. So wurde das gesamte Buch zu einem durchweg durchillustrierten und gut aufgehenden Buch gestaltet. Bei den Büchern, die ich selbst betreuen kann, mache ich das heute auch immer noch so.
In einem armen Land lassen sich eben mehr Dinge machen als in einem reichen, wie man inzwischen längst weiß. Da wurden auch Dinge gemacht, ohne hinten einen ökonomischen Gewinn zu erzielen.

Herr Bofinger, welche Bücher möchten Sie zum Abschluss den Kindern gerne empfehlen?

Ich würde schon dazu neigen, immer wieder zu meinem ersten Buch zurückzugreifen. Und zwar zu "Der kleine Zauberer und die kleine 5" mit einem ganz zauberhaften Text von Uwe Kant. Weil es das erste Buch war, und weil ich Kinder in dem Alter hatte. Ich glaube, ich habe es direkt für meine eigenen Kinder gemacht. Und für mich selbst natürlich. Und dann sicher das "Gänsehautbuch", an dem ich sehr hänge. Weil der Verlag mir alle Freiheiten ließ, und weil ich dafür von den norddeutschen Buchhändlern den "Schnabelsteherpreis für das frechste Buch des Jahres" bekommen habe. Bloß gibt es beide Bücher nicht mehr, und zwar weil der eine Verlag keine Bilderbücher mehr macht und der andere gar nicht mehr existiert.
Bei Büchern, die ich nicht illustriert habe, fallen mir auf Anhieb drei ein. Zwei davon sind von Joachim Ringelnatz und die beiden frechsten Bücher, die ich überhaupt kenne: "Das Kinder-Verwirr-Buch" und das "Geheime Kinder-Spiel-Buch". Ringelnatz hat beide auch selbst bebildert. Die Bücher gibt es immer wieder in neuen Auflagen bei allen möglichen Verlagen. Ringelnatz ist für mich eine ganz große Offenbarung gewesen, sehr früh schon. Den hätte ich gerne kennen gelernt.
Das dritte Buch ist "Alice im Wunderland" von Lewis Carroll. Und zwar mit den Illustrationen von Frans Haacken. Gar nicht mal so sehr die Original-Illustrationen, die ja auch zauberhaft sind, sondern die Bilder von Frans Haacken, den ich aus vielen Büchern sehr schätze.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute!

 © Rossipotti No. 5, Oktober 2004