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            Rossipottis Leibspeise 
              und andere Lieblingsbücher
             
            Rossipottis Leibspeise
            
            Lieblingsbuch
            
              vorgestellt von Helma Hörath 
             
            
             
              
             Tim und das Geheimnis von Knolle Murphy
            "Weißt du, wann Zeit am allerlangsamsten vorbei 
              geht?" fragt mich Rossipotti mit halb geschlossenen Augen. 
               
              Seit ungefähr zwanzig Minuten sitzt er neben mir und weiß 
              offensichtlich nichts mit sich anzufangen.  
            Ich zucke mit den Schultern und lausche weiter der ausdrucksstarken 
              Stimme von Samuel Weiss, die mir gerade die äußerst spannende 
              Geschichte "Tim und das Geheimnis von Knolle Murphy" von 
              Eoin Colfer vorliest. 
            "Wenn man nichts macht!", beantwortet sich Rossipotti 
              seine Frage selbst. "Wenn man nur dasitzt und atmet und wartet, 
              dass die Zeit vergeht." 
            Ich nicke und konzentriere mich wieder auf mein Hörbuch. 
            "Und weißt du, wann Zeit am allerschnellsten 
              vorbei geht?"  
            "Hm?" mache ich, überlege mir aber schon eine Antwort. 
              "Wahrscheinlich wenn man ganz viel macht!"  
            "Genau!" ruft Rossipotti erfreut. "Wenn man ganz 
              viel macht!"  
             
            Mist!  
              Jetzt habe ich nicht mitbekommen, was Knolle Murphy gerade mit Tims 
              Bruder Marty gemacht hat. Da muss ich wohl zurück spulen. 
             
            "Aber zwischen den beiden Zeit-Polen allerlangsamst 
              und allerschnellst gibt es viele qualitative Nuancen", 
              redet Rossipotti weiter. "Wenn man zum Beispiel etwas macht, 
              das einem Spaß macht, vergeht die Zeit viel schneller, als 
              wenn man etwas macht, auf das man keine Lust hat. Umgekehrt vergeht 
              die Zeit noch viel langsamer, wenn man unfreiwillig nichts 
              macht."  
            Ich nicke, habe Rossipotti aber nur mit halbem Ohr zugehört. 
              Jetzt bin ich wieder an der Stelle angelangt, wo Knolle Murphy zum 
              Angriff übergeht.  
            "Und weißt du, was man machen kann, wenn man alle 
              Nuancen kennt?" fragt Rossipotti so laut, dass er Stefan Weiss 
              übertönt.  
            "Nein!" sage ich und schalte genervt auf die Pause-Taste. 
              "Sage es mir, aber fasse dich bitte kurz, damit ich endlich 
              meine CD weiter hören kann! Denn jetzt gleich holt Knolle Murphy 
              wahrscheinlich ihr Luftgewehr aus der Schublade und schießt 
              Marty ein hässliches Knollengesicht!" 
            "Knolle Murphy?" fragt Rossipotti neugierig. "Wer 
              ist denn Knolle Murphy?"  
            "Eine Bibliothekarin", erkläre ich. "Sie hasst 
              es, wenn Kinder in ihrer Bibliothek Unruhe stiften. Jedem, der laut 
              ist oder sich nicht nach ihren Regeln verhält, verpasst sie 
              ein Knollengesicht!" 
            "Kaum zu glauben!" sagt Rossipotti. "Will sie denn 
              keine Besucher haben?" 
            "Doch! Aber am liebsten hätte sie nur erwachsene Besucher", 
              erkläre ich. Meine Stimme bebt vor Zorn, weil ich so sauer 
              auf Knolle Murphy bin. Als ausgenommener Fisch weiß ich nur 
              zu gut, wie man mit wehrlosen Geschöpfen umgeht. "Stell 
              dir vor: Kinder dürfen in ihrer Bibliothek nur auf einem winzigen 
              Fleckchen Teppich sitzen! Und sobald sie auch nur einen Zeh darüber 
              schieben, kommt Knolle Murphy mit ihrem Luftgewehr angerannt und 
              knallt sie ab!" 
            "Aha", sagt Rossipotti und fährt seelenruhig fort: 
              "Dann gibt es also fast keine Kinder mehr in der Stadt!" 
             
            "Kluge Kinder gehen natürlich nicht in die Bibliothek", 
              widerspreche ich. "Aber Tim und Marty wurden von ihren Eltern 
              in den Ferien dazu gezwungen, drei Mal die Woche für zwei Stunden 
              in die Bibliothek zu gehen, damit sie zu Hause nicht mehr so viel 
              Quatsch machen." 
            "Hört sich vernünftig an." 
            "Wie?", frage ich empört. "Du findest es vernünftig, 
              seine Kinder einer durchgeknallten Bibliothekarin mit Luftgewehr 
              anzuvertrauen?"  
            "Hast du das Luftgewehr denn schon mit eigenen Augen gesehen?" 
            "Bis jetzt habe ich nur davon gehört", sage ich 
              ausweichend. "Ich bin ja nicht weit gekommen, weil du mich 
              ständig unterbrochen hast!" 
            "Dann lass es uns doch zusammen anhören", schlägt 
              Rossipotti vor.  
              Offensichtlich interessiert ihn jetzt die Geschichte um Knolle Murphy 
              wesentlich mehr als das Zeit-Problem, das er vorhin gewälzt 
              hat.  
            "Gut!" stimme ich zu und bin froh, dass Rossipotti mich 
              nicht mehr unterbrechen wird. "Bevor wir weiterhören, 
              musst du allerdings wissen, dass Marty gerade ausprobieren will, 
              ob Knolle Murphy bemerkt, wenn er heimlich Bücher aus der Erwachsenen-Abteilung 
              miteinander vertauscht. Er fühlt sich sehr gewitzt und völlig 
              unbeobachtet. Tatsächlich steht Knolle aber hinter dem Regal 
              und beobachtet ihn die ganze Zeit. Jetzt tritt sie hervor und wird 
              ihn sicher gleich mit dem Luftgewehr abknallen":  
            Ich schalte den CD-Player auf laut und wir hören gemeinsam 
              die aufregende Stelle:  
            
            "Was denn für Stempel?" fragt Rossipotti irritiert. 
              "Und wo ist das Luftgewehr?" 
            "Anscheinend gibt's doch kein Luftgewehr", sage ich erstaunt. 
              "Aber so ein Bücherei-Stempel ist schließlich auch 
              nicht ohne." 
            Rossipotti erwidert nichts darauf, sondern hört weiter gebannt 
              der Geschichte zu ... 
            ...  
            Am Ende sind alle Schlachten zwischen der Bibliothekarin und den 
              Kindern geschlagen.  
              Ob Tim und Marty dabei ein Knollengesicht verpasst bekommen haben, 
              verrate ich euch natürlich nicht. Nur eins: Mit spannenden 
              Büchern vergeht die Zeit viel besser und schneller als ohne. 
            Rossipotti gab übrigens nur einen Kommentar zur Geschichte 
              ab: "Schade, dass wir Knolle Murphy nicht auf ein Gespräch 
              mit der Kulturtasche einladen können!"  
            Eoin Colfer: Tim und das Geheimnis von Knolle 
              Murphy. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Mit Illustrationen 
              von Tony Ross.Beltz & Gelberg. Weinheim/Basel 3. Auflage 2005. 
              100 Seiten.  
            Das sehr empfehlenswerte Hörbuch dazu, das 
              Rossipottis Leibspeise und Rossipotti 
              gerade zusammen gehört haben, gibt's seit 2006 als CD ebenso 
              beim Beltz & Gelberg Verlag (Weinheim/Basel). Eindrücklich 
              gelesen wird es von Samuel Weiss. 
              
            * 
              * *  
              
            Verrückte Tage in der Wellenbucht 
            "Jetzt hast du mir gar nicht erzählt, was man machen 
              kann, wenn man alle Nuancen zwischen allerschnellst und allerlangsamst 
              kennt", versuche ich an das Gespräch von vorhin anzuknüpfen. 
            "Hm?" fragt Rossipotti. Er kramt gerade in einer Bücherkiste 
              und scheint mit den Gedanken ganz woanders zu sein. 
            "Vorhin meintest du doch, dass Zeit umso langsamer vergeht, 
              je weniger einem die Beschäftigung, die man gerade macht, gefällt", 
              versuche ich Rossipottis Gedächtnis auf die Sprünge zu 
              helfen. "Und dass umgekehrt die Zeit umso schneller vergeht, 
              je schöner man seine momentane Beschäftigung findet." 
             
            "Stimmt", sagt Rossipotti und zieht ein Buch mit einem 
              Eisbär auf dem Umschlag aus der Kiste. "Gut, dass du mich 
              daran erinnerst!" 
              Er legt das Buch auf das Sofa und sagt dann in feierlichem Ton: 
              "Fisch, ich habe eine geniale Entdeckung gemacht!" 
             
            "Interessant!" sage ich. "Und welche?"  
             "Stell dir vor: Ich habe herausgefunden, dass man Zeit dehnen 
              und schrumpfen lassen kann, wenn man weiß, bei welchem gefühlsmäßigem 
              Zustand die Zeit langsam und bei welchem schnell vorbei geht!" 
             
            Ich runzle kritisch die Stirn. 
            "Überlege doch mal!" ruft Rossipotti aus. "Angenommen, 
              du möchtest ganz viel Zeit haben - nichts leichter als das! 
              Denn dann musst du nur etwas ganz Langweiliges machen! Oder umgekehrt: 
              Du willst, dass Zeit ganz schnell vorbei geht, dann musst du nur 
              etwas sehr sehr Schönes machen. - Je genauer man sich mit dem 
              Zeitdehnen und -schrumpfen auskennt, umso genauer kann man die Zeit 
              natürlich auch seinen Bedürfnissen anpassen. Wenn man 
              richtig gut ist, geht das sogar auf die Minute genau!" 
            Ich stutze. Irgendwie hört sich Rossipottis Theorie plausibel 
              an. Irgendwie aber auch nicht. Wenn es wirklich so leicht ist, die 
              Zeit zu verdrehen - warum hat das dann vor Rossipotti noch nie jemand 
              entdeckt?  
            Noch während ich darüber nachdenke, sagt Rossipotti: 
              "Zum Glück hast du mich an meine Entdeckung erinnert! 
              Denn jetzt ist mir wieder eingefallen, dass ich vor der Geschichte 
              mit Knolle Murphy eigentlich gerade dabei war, mir ein bisschen 
              Zeit zu dehnen. Durch die spannende Geschichte ist die Zeit aber 
              leider so schnell vergangen, dass ich jetzt noch mehr Zeit als davor 
              dehnen muss."  
            Rossipotti setzt sich auf sein rotes Sofa, schließt wieder 
              halb die Augen und sagt: "Ich fange am besten gleich mit dem 
              Zeit-Dehnen an. Du kannst ja schon mal alleine weiter machen! In 
              einer halben Stunde mache ich wieder mit!"  
            "In Ordnung", sage ich und denke: 'Prima! Dann kann ich 
              euch heute wenigstens einen Titel selbst aussuchen. Und ich weiß 
              auch schon welchen: "Verrückte Tage in der Wellenbucht". 
              Und ich muss mir dazu nicht Rossipottis Genörgele anhören, 
              etwa dass das Buch "zu rührselig", "zu zäh" 
              oder "zu geschmacksneutral" sei. 
            Ich persönlich finde das Buch übrigens wie einen herrlichen, 
              heißen Sommerstrandtag! Oder nein, noch viel besser: Wie einen 
              heiß-kühlen Dschungel-Strand-Sommertag.  
              Die Geschichte spielt nämlich in Australien, wo in manchen 
              Gegenden der Dschungel bis an den Strand reicht. Und an so einem 
              Strand verbringt die Ich-Erzählerin Henni mit ihrer Familie 
              und zwei befreundeten anderen Familien ihre Ferien. Sie wohnen in 
              einer großen Baumhütte im Dschungel nahe des "schönsten 
              Strands des Universum", in der Traumbucht aller Surfer.  
              Und wirklich alles ist perfekt: Das uralte Baumhaus mit seinen europäischen, 
              fast hundert Jahre alten Gegenständen, die fünfzigtausend 
              Vögel, mit ihren unterschiedlichen Gesängen, das glitzernde 
              Meer zwischen den Klippen, die Insel am Horizont und natürlich 
              die Erkundungsspaziergänge mit den besten Freunden.  
              Doch dann müssen sie Hennis Tante zuliebe plötzlich die 
              13-jährige Tara aufnehmen. Tara hat angebliche eine schwierige 
              Zeit hinter sich und Henni soll sich besonders gut um sie kümmern. 
              Doch Henni, die sehr sozial ist und gerne Bücher liest, passt 
              überhaupt nicht zu Tara, die sich von den anderen absondert 
              und am liebsten in Schönheitsmagazinen blättert. Und so 
              sind die Probleme vorprogrammiert. Während Henni immer weniger 
              Lust auf ihren Babysitter-Job hat, gibt ihr Tara immer mehr zu verstehen, 
              wer hier in Wirklichkeit das Baby ist. Und so kommt, was kommen 
              muss: Eine Kraftprobe, die beinahe in einer Katastrophe endet ... 
            Elisabeth Honey: Verrückte Tage in der Wellenbucht. 
              Aus dem Englischen von Heike Brandt. Beltz & Gelberg. Weinheim/Basel 
              2006. 281 Seiten. 
            * * * 
              
            Das Riesenmädchen und die Minipopps
            "Als nächstes stellen wir Julia Donaldsons 'Riesenmädchen 
              und die Minipopps' vor!" sagt Rossipotti.  
            "Gerne", sage ich. "Ich bin überrascht, wie 
              kurzentschlossen du heute bist!" 
            "Meine Zeitverschiebungsmethode funktioniert eben!" erwidert 
              Rossipotti stolz. "Wenn man die Einfälle dann nimmt, wann 
              sie kommen und nicht künstlich herbeidenkt, spart man viel 
              Zeit. Und diese Zeit kann man dann an anderer Stelle wieder verwenden." 
            "So so", sage ich und leite zu einem anderen Thema über: 
              "Wer soll denn die Minipops vorstellen? Du oder ich?" 
            "Du natürlich!" sagt Rossipotti. "Ich muss 
              jetzt nämlich die viele Zeit ausgeben, die ich angespart habe. 
              Vorhin habe ich vom Balkon aus Curry gesehen. Sicher war er da gerade 
              auf dem Weg zum Radio Club, um neue Sendungen zusammen zu stellen. 
              Die will ich mir mal anhören."  
            "Gut!" sage ich und winke ihm kurz zu. Das läuft 
              heute ja wie am Schnürchen. 
            "Ach übrigens ..." Rossipotti streckt nochmals seinen 
              Kopf durch die Tür: "Das Buch, das auf dem Sofa liegt, 
              stellst du bitte auch vor. Es entfaltet einen ganz eigenen Charme." 
            Rossipotti meint sicher das Buch mit dem Eisbär auf dem Umschlag. 
              Wenn mich nicht alles täuscht, ist es Lutz Rathenows skurrile 
              Kurzgeschichtensammlung "Ein Eisbär aus Apolda". 
              Das stelle ich gerne vor. Die Kurzgeschichten heben sich vom sonstigen 
              Geschichten-Allerlei für Kinder deutlich ab.  
            Aber erst kommen die Minipopps:  
              Ein schönes Buch. Ein kluges Buch. Und ein absolut notwendiges 
              Buch!  
              Denn es stellt die Minipopps endlich einmal als das dar, was sie 
              sind: Widerliche kleine Dinger, die stehlen und einen umbringen, 
              wenn man nicht aufpasst.  
              Minipopps werfen Bohnenranken nach einem aus und versuchen damit, 
              in fremde Gebiete einzudringen. Und sie geben keine Ruhe, bis sie 
              sich nicht endlich alles unter ihre Nägel gerissen haben ... 
            "Weißt du, wo Rossipotti ist?" unterbricht mich 
              eine vorwitzige Mädchenstimme.  
            "Ähm", räuspere ich mich. "Ich glaube, 
              er wollte zu Curry in den Radio Club." 
            "Aber ich wollte doch mitgehen!" sagt Palmina aufgebracht. 
              "Rossipotti hat mir versprochen, dass er mich mitnimmt." 
            Ich zucke mit den Schultern. Wahrscheinlich hat Rossipotti es einfach 
              vergessen.  
            "Was schreibst du denn da?" fragt Palmina und schaut 
              mir über die Flossen. 
            "Nichts für kleine Mädchen!" sage ich und versuche 
              den Bildschirm abzudecken. 
            "Schreibst du nicht Buchtipps für Kinder?" 
              fragt Palmina als sie die ersten Sätze gelesen hat.  
            Ich erwidere nichts. Offensichtlich kennt Palmina die Geschichte 
              und weiß, dass Minipopps das magrolonische Wort für "Menschen" 
              ist.  
            "Ich wusste gar nicht, dass du uns so schrecklich findest", 
              sagt Palmina. "War es nicht ein Krokodil, das dich gefressen 
              hat?" 
            Warum muss dieses Mädchen immer meinen wunden Punkt treffen? 
            "Macht ja nichts", sagt Palmina unbekümmert. "Ich 
              finde das Buch übrigens auch toll. Es macht richtig Spaß, 
              magrolonisch zu sprechen: onk, zwonk, dink!" 
            "Olle rolli", stimme ich zu. "Die Autorin muss ganz 
              schön viel Zeit für das Buch gehabt haben, wenn sie dafür 
              sogar eine eigene Sprache erfindet." 
            "Übrigens glaube ich, dass du in dem Buch etwas falsch 
              verstanden hast", sagt Palmina. "Nicht die Minipopps sind 
              habgierig und werfen ihre Bohneranke nach den Magrolonier-Riesen 
              aus, sondern umgekehrt: Megalilli, das Magrolonier-Riesen-Mädchen, 
              lässt die Bohnenranke wachsen, um von dem Riesenland über 
              den Wolken hinunter zu den Minipopps steigen zu können. Und 
              nicht die Minipopp-Kinder sind habgierig, sondern Megallili, die 
              von der Minipopp-Telefonzelle über Schafe und Kinder bis hin 
              zu Minipopp-Rasenmäher alles in ihren Beutel steckt, nur um 
              damit in ihrem Riesenland winzige Spielzeuge zu haben." 
            "Es kommt eben immer auf den Blickwinkel der Betrachtung an", 
              sage ich. 
            "Genau!" sagt Palmina. "Und weil das Buch mit beiden 
              Blickwinkeln spielt, ist es auch so gut!"  
            "Ein schönes Schlusswort!" sage ich und versuche 
              Palmina zur Tür hinaus zu wedeln. Denn eigentlich habe ich 
              im Moment keine Zeit, mich mit Minipopp-Mädchen zu unterhalten. 
              "Vielleicht schaust du ja mal bei Curry und Rossipotti im Radio 
              Club vorbei?"  
            "Super Idee!" sagt Palmina, drückt mir einen nassen 
              Kuss auf die Backe und hüpft "Oggelwipp! Oggelwipp!" 
              rufend zur Tür hinaus. 
            Julia Donaldson: Das Riesenmädchen und die 
              Minipopps. Aus dem Englischen von Miriam Pressler, mit Bildern von 
              Axel Scheffler. Beltz & Gelberg. Weinheim/Basel 2006. 224 Seiten. 
               
              
            * * * 
               
            Ein Eisbär aus Apolda
            Ruhe, endlich Ruhe.  
              Endlich Zeit für Lutz Rathenows absurde Miniatur-Geschichten. 
              Endlich Zeit für Eisbären, Tiger, und Kartoffelkäfer. 
               
              Zeit, viel Zeit braucht man nämlich, will man die Tiere wirklich 
              verstehen. Denn meistens sind sie mit schwierigen Aufgaben beschäftigt. 
              Aufgaben, die hochwichtig und zugleich völlig sinnlos sind 
              ...  
            Wer klopft denn jetzt schon wieder an der Tür? 
            "Ja? Herein!" 
            "Ich kann die Tür nicht öffnen!" knuspert eine 
              leise Stimme. 
            "Oh! Ach so. Einen Moment bitte." 
            Ich öffne die Tür und sehe: Nichts! 
            "Darf ich mich vorstellen", knuspert es von unten. "Kartoffelkäfer 
              aus Thüringen!" 
            Tatsächlich. Da sehe ich ihn. Einen kleinen gelb-schwarz gestreiften 
              Kartoffelkäfer! 
            Ich hebe ihn hoch und setze ihn neben mich auf die Computer-Tastatur. 
            "Ich habe gehört, dass Sie heute das Buch von Lutz Rathenow 
              vorstellen", erklärte sich der Käfer und als ich 
              nicke, fährt er fort: "Wunderbar! Endlich habe auch ich 
              einmal Glück! Und einmal im Leben Glück zu haben, ist 
              besser als nie!" 
            Ich sehe ihn fragend an. 
            "Sie müssen mir unbedingt helfen!" sagt der Kartoffelkäfer 
              ganz aufgeregt. "Mir ist übel mitgespielt worden! Sie 
              müssen das sofort gerade rücken!" 
            "Um was geht es denn?" 
            "Um meine Geschichten natürlich!" sagt der Kartoffelkäfer 
              ungeduldig. "Aus dem Buch 'Ein Eisbär aus Apolda'. Die 
              Geschichten sind falsch!" 
            "Wie das?" frage ich verwundert. "Soll sich der 
              Autor etwa gerirrt haben?" 
            "Schlimmer: Er hat sie mit Absicht verfälscht!" 
            "Und jetzt wollen sie ihn anklagen?"  
            "Genau!" sagt der Käfer mit einem befriedigten Lächeln. 
              "Ich will ihm hier in aller Öffentlichkeit die Meinung 
              sagen." 
            "Gut", sage ich, "aber nur unter einer Bedingung!" 
            "Und die wäre?" fragt der Kartoffelkäfer misstrauisch. 
            "Dass ich danach auch meine Meinung äußern darf!" 
            "Tun Sie, was Sie wollen", sagt der Kartoffelkäfer 
              herablassend. "Nach meiner Rede wird ohnehin niemand mehr Ihnen 
              zuhören wollen. Fangen wir also an. Schreiben Sie auf:  
              Ich, der Kartoffelkäfer aus Thüringen möchte in aller 
              Öffentlichkeit bekannt geben, dass ich sehr wohl weiß, 
              dass ich in der ersten Geschichte nicht auf den Fidschi-Inseln war, 
              sondern von dem Herrn nur einmal um den Häuserblock getragen 
              wurde. Es war reines Feingefühl dem Herrn gegenüber, das 
              nicht laut gesagt zu haben. Außerdem möchte ich bekannt 
              geben, dass meine zweite Geschichte keinesfalls nach dem Korrigieren 
              des Rechtschreibfehlers zu Ende war, sondern da im Gegenteil gerade 
              erst angefangen hat. Herr Rathenow zog es aber vor, das zu verschweigen, 
              um mich lächerlich zu machen. Und drittens habe ich mich mit 
              dem anderen Kartoffelkäfer nur noch fünfhundert Kartoffelkäferminuten 
              weiter gestritten und keinesfalls Stunden!" 
            "Das war's?" frage ich.  
            Der Kartoffelkäfer aus Thüringen nickt zufrieden. 
            "Dann bin jetzt ich dran", sage ich: "Als Herrn 
              Rathenows Verteidiger möchte ich sagen, dass die Geschichten 
              gerade durch die Verfälschung der eigentlichen Tatsachen einen 
              großen Reiz auf die Leser haben. Die Lächerlichkeit der 
              tierischen Handlungen bei gleichzeitig enormer Wichtigkeit, entlarvt 
              die Absurdität menschlicher Verhältnisse und sollte vom 
              Kartoffelkäfer nicht persönlich genommen werden. Außerdem 
              ist es sehr charmant von dem Autor, das Nebensächliche ins 
              Rampenlicht zu stellen und bisher Unbeachtetem eine Geschichte zu 
              schenken. Wenn ich ehrlich sein soll, Kartoffelkäfer, glaube 
              ich kaum, dass ein anderer Autor Ihnen ein Geschichte gewidmet hätte. 
              - Abschließend möchte ich aber öffentlich zu Protokoll 
              geben, dass der Kartoffelkäfer vom Autor ein wenig mehr Feingefühl 
              hätte erwarten können. Ich schlage dem Autor deshalb vor, 
              dem Kartoffelkäfer eine Extra-Portion Marzipankartoffel zukommen 
              zu lassen." 
            "Vielen Dank!" sagt der Kartoffelkäfer gerührt. 
              "Ich liebe Marzipankartoffeln! Wissen Sie, eigentlich sind 
              Sie ein sehr empfindsamer Fisch! Sie müssen mich unbedingt 
              einmal in Thürigen besuchen kommen." 
            Der Kartoffelkäfer kramt in seiner gelb-schwarzen Jackentasche 
              und holt ein winzig kleines Ei daraus hervor. 
              "Eigentlich verstehe ich mich mit Lutz Rathenow gut. Aber gerade 
              deshalb stört es mich auch so, wenn dieses Missverständnis 
              nicht aus dem Weg geräumt wird! - Sehen Sie, wie nett er sein 
              kann: Vor einiger Zeit hat mir dieses schöne Ei geschenkt!" 
            Zu meiner Verblüffung legt mir der Kartoffelkäfer das 
              Ei in die Flosse und sagt: "Hier, nehmen Sie zum Abschied dieses 
              Geschenk von mir! Es ist ein ganz besonderes Geschenk. In diesem 
              kleinen Ei wächst ein kleiner bunter Vogel, der sprechen kann! 
               
              Und wissen Sie, was er macht, wenn er geboren ist?  
              Er wird Ihnen die schönste aller Geschichte erzählen!" 
             
            Lutz Rathenow: Ein Eisbär aus Apolda. Mit 
              Illustrationen von Egbert Herfurth. leiv Leipzig 2006. 32 Seiten. 
              Im 11 
              Uhr-Termin findet ihr übrigens drei Kurzgeschichten aus 
              dem Buch.  
              
             
              
             Lieblingsbuch
             
               vorgestellt von Helma Hörath  
               
             
            Die Zeit - Strömen und Stille
            '... endlich Ferien, Sommer, Sonne und freie Zeit; endlich, endlich 
              freie Zeit für alles, was ich will, nicht für das, was 
              ich machen muss.'  
              Das hast du bestimmt gedacht, als du am letzten Schultag auf den 
              Schulhof gestürmt bist. Viele Tage ohne Hausaufgaben lagen 
              vor dir. Die Ferienwochen schienen in diesem Augenblick unendlich. 
              Jetzt sind die Ferientage zur Hälfte vorbei und du fragst dich 
              vielleicht, wo denn eigentlich die Zeit geblieben ist. Denn du hast 
              nicht mal einen Bruchteil von dem gemacht und unternommen, was du 
              dir zu tun vorgenommen hattest.  
            Ja, das mit der Zeit ist eine komplizierte Angelegenheit und das 
              nicht nur für Kinder, sondern gleichermaßen auch für 
              die Erwachsenen. Was ist das eigentlich: die Zeit?  
              Blöde Frage, denkst du vielleicht. Die Uhr am Handgelenk zeigt 
              die Zeit an. Kann man die Uhr lesen, dann weiß man: Das ist 
              die Zeit. Richtig. Die Uhr ist ein Zeitmesser, konstruiert und gebaut 
              von Menschen. Es ist also etwas, was so nicht in der Natur vorkommt. 
              Es ist ein künstliches Werk und ein künstliches Gefühl, 
              dass der Mensch für sich geschaffen hat. Das Leben der Pflanzen 
              und Tiere wird nicht davon bestimmt, ob es 8.23 oder 18.57 Uhr ist. 
              In der Natur herrschen Tag oder Nacht, Sommer oder Winter, Dürre 
              oder Regen, Kälte oder Wärme, Licht oder Schatten, Sonne 
              oder Mond, Sturm oder Ruhe ... Ein Gestern und ein Morgen gibt es 
              für die Tiere nicht. Sie kennen nur das Heute.  
            Die Menschen deuteten die Zeit vor vielen Tausend Jahren als ein 
              großes Geheimnis und siedelten sie deshalb im Götterreich 
              an. Sie nahmen als Symbol für die Zeit u.a. die Schlange, den 
              Drachen, den Sonnengott mit seinem Himmelsschiff oder den Gott, 
              der die Welt und mit ihr die Zeit verschlingt und wieder ausspeit. 
              Auf jeden Fall ist die Zeit mit Bewegung in einer bestimmten räumlichen 
              Vorstellung verbunden.  
              Aber tiefer können wir in dieses umfangreiche Gebiet hier an 
              dieser Stelle nicht eindringen. Leider habe ich im Buchhandel kein 
              Buch entdeckt, das sich für Kinder mit dieser Thematik beschäftigt. 
              (Über "Die Uhr" gibt es viele im Angebot, aber keins 
              über "Die Zeit".) In meinem Bücherschrank fand 
              ich aber das hier abgebildete Buch "Die Zeit - Strömen 
              und Stille" von Marie-Louise von Franz. Es ist für Erwachsene 
              geschrieben. Aber vielleicht kann es dein Vati oder deine Mutti 
              trotzdem aus der Bibliothek mitbringen. Es hat ganz beeindruckende 
              Abbildungen. Es lohnt sich, diese mit deinen Eltern oder Großeltern 
              anzuschauen und darüber gemeinsam ins Nachdenken über 
              die Zeit zu kommen. 
              Und damit wärt ihr nicht die Einzigen. Wissenschaftler - Mathematiker, 
              Physiker, Philosophen, Historiker u.a.m. - tun das täglich. 
              Aber auch Künstler. In vielen Filmen, Hörspielen und Büchern 
              bieten sie Geschichten an, in der sie mit der Zeit spielen und den 
              Leser auf ihren Sprüngen von der Gegenwart in die Vergangenheit 
              und von dort in die Zukunft mitnehmen. 
            
               
                  | 
                Marie-Louise 
                  von Franz: Die Zeit - Strömen und Stille. Insel Verlag. 
                  Frankfurt am Main 1981. 96 Seiten.  | 
               
             
              
            * * * 
            Drifthaus
             Beim Stöbern in einem Buchladen stieß ich auf folgende 
              Kinderbuchtitel: Am Abgrund der Zeit und Drifthaus - Die erste Reise. 
               
              Das Buch nahm ich auf Empfehlung der Buchhändlerin in die Hand, 
              denn sonst wäre ich sicher daran vorbeigegangen. Auch wenn 
              das Titelbild schon sehr interessant aussieht, konnte ich es im 
              Vorübergehen nicht mit unserem Thema "Zeit" bzw. 
              "freie Zeit" in Verbindung bringen. 
              Die Geschichte beginnt in New York. Als die beiden großen 
              Türme durch einen Terroranschlag einstürzen, beschließen 
              Herr und Frau Oakenfeld ihre Kinder Susan, Charles und Murray nach 
              Kanada zum Bruder von Frau Oakenfeld zu bringen. Dort sollen sie 
              den Sommer verbringen. Onkel Farley wohnt an der Küste Neufundlands 
              und sein Haus befindet sich in der Ewigkeitsbucht.  
              Die Geschwister wundern sich über diesen seltsamen Namen. Noch 
              mehr staunen sie über das Haus, das nicht nur wie ein gestrandetes 
              Schiff aussieht, sondern verquer am Ufer liegt, gerade so als hätte 
              es jemand an Land gepustet, ohne auf Weg, Steg und Haustür 
              zu achten. So seltsam wie das Äußere, so seltsam erscheint 
              den Kindern auch das Innere des Hauses und vor allem der Onkel, 
              der sich als Zeitforscher, als Temporologe, ausgibt. Er ist auf 
              den ersten Blick auch nicht gerade Vertrauens erweckend ... 
              Aber das Essen ist wunderbar. Eine unsichtbare Köchin errät 
              jeden geheimsten Wunsch und zaubert Mahlzeiten, die alle Seltsamkeiten 
              vergessen machen. Ein geheimnisvoller Speisenaufzug befördert 
              sie aus der Küche nach oben. 
              Am nächsten Morgen stellen die Oakenfeld-Kinder fest, dass 
              das Haus mitten auf hoher See schwimmt. Und dieses Wasser ist nicht 
              etwa irgendein beliebiges, nein, es ist das Meer der Zeit, auf dem 
              das Drifthaus treibt, umlagert von einer Rotte wilder Nixen. Die 
              Meerjungfrauen wollen Susan für den hinterhältigen Plan 
              ihrer Königin Oktavia benutzen. Oktavia will nicht nur das 
              Meer, sondern die Zeit beherrschen. Dazu muss sie sie vernichten. 
              Das wiederum bedeutet, dass das Meer in den Großen Sog, den 
              alles verschlingenden Strudel, getrieben werden muss, was ohne Susan 
              nicht zu schaffen ist.  
              Wie die Kinder, Onkel Farley, der sprechende Papagei, die Seeräuber, 
              der Wal und die Nixe Diaphone, die am Ende Susans Freundin ist, 
              es schaffen, die teuflische Wasserkönigin zu besiegen, das 
              ist spannend, richtig spannend. Darum will ich gar nichts weiter 
              von den Helden dieses Buches verraten. Du musst es selbst lesen. 
              Es ist aber vom Inhalt her trotz des spannenden Abenteuers ziemlich 
              anspruchsvoll - du solltest vielleicht so um die 11-12 Jahre alt 
              sein - und es ist mit fast 20 € nicht preiswert, auch wenn 
              es eine tolle Ausstattung hat, einen festen Einband, ein Lesebändchen, 
              einen Schutzumschlag. Also suche erst einmal in deiner Kinderbibliothek 
              danach. 
              
             
            
               
                  | 
                Dale Peck: Drifthaus 
                  - Die erste Reise. Bloomsbury Verlag. Berlin 2006. 397 Seiten. | 
               
             
               
               
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            Am Abgrund der Zeit
             Auch in meinem dritten Buchtipp geht es um einen Abgrund, einen 
              Abgrund der Zeit. Im Mittelpunkt steht Florian, der es am Ende mit 
              Hilfe von Laura schafft, sich nicht in den Großen Sog des 
              Zeitspringens ziehen zu lassen.  
              Und das ist wirklich und wahrhaftig eine Heldentat, auch wenn Florian 
              alles andere als ein Held ist. Er ist nämlich dazu eigentlich 
              viel zu träge, zu träge für eine sportliche Betätigung, 
              zu träge für das Aufräumen seines Zimmers, zu träge 
              für das regelmäßige Lernen. Seine Mitschüler 
              nennen ihn darum nur den Copy-King, weil er Hausaufgaben grundsätzlich 
              abschreibt.  
              Eines Tages entdeckt Florian, dass er die Zeit auf Null drehen und 
              damit die Welt um ihn herum erstarren lassen kann. Das bedeutet, 
              alles um ihn herum ist unbeweglich. Er aber kann zwischen den Menschen 
              hin- und herlaufen, kann tun und lassen, was er will, kann sich 
              im Supermarkt das größte Eis nehmen, kann ganze Klassenarbeiten 
              abschreiben. Und wenn er die Zeit wieder in ihre Bewegung zurückversetzt 
              hat, dann weiß nur er, was passiert ist. Kein anderer erinnert 
              sich an irgendetwas, denn für sie geht die Zeit dort weiter, 
              an der sie vor Minuten oder auch Stunden angehalten wurde.  
              Nur Florian und ein anderer Zeiträuber, der irgendwann seinen 
              Weg kreuzt, wissen von der Nullwelt. Und später auch Laura, 
              die nur durch das Springen in die Nullwelt vor einem Auto gerettet 
              werden kann.  
              Florian genießt dieses Geheimwissen und die große Freiheit. 
              Aber dann gerät irgendwie alles außer Kontrolle. Von 
              dem Jungen wird eine Entscheidung gefordert, die ihn fast in Stücke 
              reißt. Er schafft es, den richtigen Weg zu beschreiten. Aber 
              wie er es schafft, warum er es schafft, das musst du allein beim 
              Lesen dieses Buches ergründen.  
            Mit der Zeit surfen 
            Das gibt's doch nicht, so viele Sätze habe ich nun schon geschrieben. 
              Sie flossen mir leicht durch den Kopf und von dort über die 
              Hände in die Tasten des Computers. Es ist schon kurz vor Mitternacht. 
              Die Zeit ist gerast, dass ich es gar nicht bemerkt habe. Ja, wenn 
              etwas Spaß macht, dann tragen einen die Zeitwellen hoch hinaus 
              und man gleitet trotzdem ganz leicht an Land.  
              Ein ähnlich freudiges Gefühl beim Lesen wünscht dir 
              Helma 
                
            
               
                    
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                Andreas Schreiner: Am Abgrund 
                  der Zeit. Arena Verlag. Würzburg 2004. 211 Seiten | 
               
             
              
              
             
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