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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher

 

Rossipottis Leibspeise

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

 

Geschichte No. 1

"Rülps!" macht Rossipotti und wischt sich mit der Pranke die letzten Papierreste vom Maul. "Noch ein Buch mehr und ich platze."

"Sonst beklagst du dich immer, dass es zu wenig gute Bücher gibt", sage ich, "und jetzt sind es dir plötzlich zu viele. Man kann es dir auch nie Recht machen."

"Es waren nicht zu viele", sagt Rossipotti. "Es waren zu viele ranzige dabei!"

"Ich habe dir gleich gesagt, dass dir Lederstrumpf, Trotzkopf und Pole Poppenspäler auf den Magen schlagen werden."

"Ach, wenn es nur die gewesen wären!" sagt Rossipotti. "Ein paar alte Schinken kann man gut wegstecken. Aber einige der frischeren Klassiker wie zum Beispiel James Krüss und Erich Kästner, die in jeder Buchhandlung stehen und Kindern ihre biedere, altmodische Weltsicht aufdrücken, die können einem schon den Magen verderben!"

"Jetzt aber mal langsam!" sage ich und werde vor Schreck ganz bleich. "Kästners Helden sind wache, eigenständige Kinder, die sich für eine gerechte, tolerante Gesellschaft einsetzen!"

"Wirklich?" fragt Rossipotti. "Und wie erklärst du es dann, dass mir bei seinem Namen nur Faltenröcke, frisch gebügelte Polizeihemden und gute Schüler einfallen?" sagt Rossipotti. "Als ob das ein Ausdruck von Güte wäre! Vielleicht war das in Kästners Zeit ja vorbildlich, aber heute brauchen wir Bücher mit zeitgemäßen Bildern."

"Mit dieser Ansicht wirst du dir nicht viele Freunde machen!"

"Pah!" macht Rossipotti und reibt sich seinen Bauch. "Kennst du nicht dieses alberne Gedicht mit dem Pudel, der vor einem Autobus herum springt? Der Bus muss wegen dem Pudel langsam fahren und deshalb ist die ganze Stadt in Aufruhr. Eigentlich könnte das ja eine ganz amüsante, absurde Geschichte sein. Aber in dem Gedicht wird das alles mit kleingeistiger Dramatik vorgetragen, so, als ob die Situation wirklich das Schlimmste wäre, was sich der Autor vorstellen kann: 'Ein Schlachter, der vorm Hause steht / verliert vor Angst den Speck / und seine Tochter Annegret / wird kreidebleich vor Schreck.' Weißt du, was ich statt dessen gemacht hätte? Ich hätte diesen dämlichen Hund einfach von der Straße geholt und mir eine witzigere Geschichte ausgedacht! Neulich habe ich übrigens gesehen, dass das Buch neu aufgelegt wurde. Was sagst du dazu?"

"Welches Buch ist denn deiner Meinung nach zu Recht ein Klassiker?" versuche ich Rossipotti von Krüss' Gedicht abzulenken. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich sonst gleich in Rage redet.

Mein Ablenkungsmanöver klappt und Rossipotti antwortet prompt:
"Zum Beispiel die Geschichte No. 1 von Ionesco und Delessert!"

"Noch nie gehört", sage ich. "Und das soll ein Klassiker sein?"

"Ja", sagt Rossipotti, "das sollte ein Klassiker sein!" .

"Aha", sage ich. "Und warum?"

"Weil das Buch den eigenen Horizont erweitert und einen viele Jahre begleiten kann", sagt Rossipotti. "Du kannst es wieder und wieder lesen und trotzdem bleibt es rätselhaft. Stell dir vor: es handelt von nichts anderem als von Leuten, die Jaqueline heißen!"

"Ist das alles?"

"Alles? Natürlich ist das nicht alles", sagt Rossipotti. "Da gibt es zum Beispiel noch den Vater und seine Tochter Josette. Der Vater liegt im Bett und möchte unbedingt schlafen, und Josette möchte unbedingt eine Geschichte hören. Schließlich einigen sich beide auf das Wort Jaqueline. Der Vater wiederholt das Wort 'Jaqueline' und die Tochter spinnt sich aus den vielen Jaquelines eine eigene Geschichte."

"Jaqueline als streitschlichtendes Schlüsselwort", sage ich nachdenklich.

"Ja", sagt Rossipotti. "Das Buch steckt voller Wahrheiten. Und manche davon bleiben bis zum Schluss ein Rätsel."

"Ein Orakelbuch?" frage ich gespannt. Ich liebe Orakelbücher.

"Und erst die Bilder von dem französischen Künstler Etienne Delessert!" schwärmt Rossipotti ohne auf meine Frage zu antworten. "Diese üppigen, geheimnisvollen, surrealen Bilder machen das Buch eigentlich erst zu dem, was es ist!"

"Zu einem Orakelbuch?" vermute ich.

"Quatsch!" sagt Rossipotti und sieht mich ein wenig herablassend an. "Zu einer Delikatesse!"

Eugène Ionesco/Etienne Delessert: Geschichte No.1. Deutsch von Herbert Asmodi. Middelhauve Verlag. Köln 1969.

 

* * *

 

Löcher

"Löcher!" sagt Rossipotti und starrt auf den Boden.

"Wo?" frage ich und sehe nach unten.

"Überall Löcher!" sagt Rossipotti. "Fünf Fuß breit und fünf Fuß tief!"

"Wo denn?" frage ich nochmal und inspiziere den Boden.

"Ein Loch voller giftiger Echsen", sagt Rossipotti, "und du stehst mitten drin und hältst einen millionenschweren Schatz in der Hand!"

"Ich?" sage ich und muss schlucken. "In einem Loch voller Echsen? Mit einem Schatz in der Hand?"

"Du auch?" fragt Rossipotti verwundert. "Ich dachte, in dem Buch hätte nur etwas von Stanley und Zero gestanden."

"In dem Buch?" frage ich und weiß allmählich gar nicht mehr, wovon Rossipotti spricht. "Du redest von einem Buch und gar nicht von Löchern in unserem Boden?"

"Natürlich rede ich von einem Buch!" sagt Rossipotti. "Und wovon redest du?"

"Ähm."

"Ich denke, du hast 'Löcher' gelesen?!" bohrt Rossipotti weiter. "Hast du nicht einmal etwas in der Richtung erzählt?"

Ja! Natürlich habe ich Löcher gelesen. Aber das Buch ist mir vorhin komischerweise gar nicht eingefallen. Diese seltsam schwebende Geschichte um Camp Green Lake, einem Strafgefangenenlager, in dem Jungen den ganzen Tag Löcher buddeln müssen. Angeblich, um eine besseren Charakter zu bekommen, aber in Wirklichkeit, weil die Chefin des Lagers in dem ausgetrockneten Seebett des Green Lakes einen riesigen Schatz vermutet. Einen Schatz, den die vor langer Zeit gestorbene Straßenräuberin Kate Barlow dort vergraben haben soll.

"Aber zum Glück haben Zero und Stanley die wunderbaren Zwiebeln gegessen!" knüpft Rossipotti an seinen vorherigen Gedanken an. "Und deshalb haben die Echsen keinen Appetit auf Jungenfleisch."

"Ach ja, die Zwiebeln!", erinnere ich mich. "Die in dieser trockenen Gegend direkt unter dem 'Großen Daumen' wachsen und vor vielen Jahren schon Zeros Großeltern zusammen gebracht haben."
Langsam dämmert mir wieder die ganze rührende Liebes-Geschichte zwischen dem schwarzen Zwiebelverkäufer und der weißen Lehrerin, die wegen der Rassentrennung in Amerika vor hundert Jahren schrecklich endete: Der Zwiebelverkäufer wurde erschossen und die Lehrerin zur Banditin.

"Schade, dass der Chefin keine Echse das Bein hoch geklettert ist", sagt Rossipotti.

"Welcher Chefin?" frage ich irritiert. "War das nicht der Sheriff, der den Befehl gab, den Schwarzen umzubringen?"

"Ich rede doch nicht von Trout Walker, sondern von seiner Tochter Miss Walker, der Chefin des Camps!"

"Ach so", sage ich und führe mir die Szene mit den giftigen Echsen vor Augen.
"Die Szene ist auch so schon dramatisch genug", sage ich dann. "Vier Erwachsene stehen um die Grube und sehen seelenruhig zu, wie die giftigen Echsen auf Stanley und Zero rum krabbeln!"

"Und anstatt ihnen zu helfen", fährt Rossipotti fort, "freuen sie sich, dass die Jungen bald tot sind, damit sie endlich den Koffer bekommen!"

"Aber zum Glück hat Stanley bei ihrer Flucht aus dem Camp den entkräfteten Zero auf den Berg getragen und dadurch den Fluch, der seit Generationen auf seiner Familie lastete, gebrochen! Sie haben die sagenhaften Zwiebeln gegessen und den uralten Schatz von Stanleys Urgroßvater gefunden. Jetzt kann ihnen niemand mehr etwas anhaben."

"Ja", sagt Rossipotti und streicht genussvoll über seinen Bauch. "In dem Buch steckt wirklich alles, was man für einen guten Klassiker braucht: eine eigenständig entwickelte Welt, ein mit Leichtigkeit vorgetragener Pathos und existentielle Probleme, die so neuartig verpackt sind, dass man dabei 'Oh! Aha!! Jaaa!' ausruft. Wenn dann wie in 'Löcher' das Ganze noch mit skurrilem Witz und Mythos gewürzt ist und eine große fiktive Leerstelle zum Phantasieren hinterlässt, ist das natürlich besonders klasse."

"Jetzt haben wir die komisch-tragische Geschichte mit dem Turnschuh vergessen", fällt mir plötzlich ein.

"Macht nichts", sagt Rossipotti. "Die wurde gedanklich sicher schon längst von den Lesern eingefügt."

Louis Sachar: Löcher. Die Geheimnisse von Green Lake. Aus dem Amerikanischen von Birgitt Kollmann. . Broschiert. Beltz & Gelberg. Weinheim 9. Auflage 2006. 304 Seiten.

* * *

Krabat

"Was hältst du davon, wenn wir zur Abwechslung mal einen richtigen Klassiker vorstellen?" frage ich, nachdem wir eine Weile still dagesessen haben. Rossipotti auf seinem roten Samtsofa und ich schön gerahmt an der Wand.

"Was?!" sagt Rossipotti. "Die 'Geschichte No. 1' und 'Löcher' sind richtige Klassiker!"

"Schon", sage ich, "aber ich meine einen echten Klassiker. Einen, der schon seit Generationen weiter gereicht wird und in den Klassiker-Lexika steht."

"Solche Klassiker sind viel zu bekannt", sagt Rossipotti. "Wer will schon eine Buchtipp über 'Pippi Langstrumpf' oder das 'Sams' lesen?"

Ich ziehe tief Luft ein und konzentriere mich auf meinen Atem.
Nachdem Rossipotti in den letzten Ausgaben so pflegeleicht war, bin ich es nicht mehr gewohnt, streitlustige Debatten mit ihm zu führen.
Nach einer Weile sage ich:
"Klassiker sind nun mal meistens bekannt. Und wenn dir Klassiker zu bekannt sind, hättest du ihnen keine ganze Ausgabe widmen sollen. "

"Das stimmt", sagt Rossipotti. "Aber ich habe gedacht, dass wir in dem Magazin schon so viele Klassiker vorgestellt haben, dass wir einmal gleich eine ganze Ausgabe damit bestücken können. Wenn du im Archiv unsere Buchtipps anschaust, liest sich das beinahe wie eine Kinderbuch-Klassiker-Liste."

"Sind wir denn ein klassisches Magazin?" frage ich erstaunt.
Bisher habe ich uns eher für subkulturell gehalten.

"Psst!" sagt Rossipotti erschrocken. "Wenn dich jemand so reden hört, könnte er auf die dumme Idee kommen, das wirklich zu glauben."

"O.K.", sage ich und versuche meinen Fehler wieder gut zu machen. Ich sage deshalb ganz laut: "Wir sind absolut kein klassisches Magazin, wir bevorzugen im Gegenteil Bücher, die möglichst nur eine Saison lang gelesen werden und dann auf dem Ramschtisch der Kaufhäuser landen."

"Hilfe!" schreit Rossipotti. "Sei sofort ruhig. Oder besser: Stell lieber ein Buch vor, dann bist du beschäftigt. Von mir aus kannst du in diesem Fall auch einen Klassiker nehmen, den alle schon kennen!"

Ich nehme Rossipotti beim Wort und stelle euch jetzt ein Buch vor, das die meisten von euch wahrscheinlich schon gelesen haben. Das Buch heißt "Krabat" und ist von Otfried Preußler geschrieben. Preußler ist neben Karl May, Johanna Spyri, Lisa Tetzner, James Krüss, Erich Kästner, Michael Ende, Janosch, Paul Maar, Christine Nöstlinger, Cornelia Funke und noch ein paar anderen, die mir gerade nicht einfallen, einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, dessen Bücher zu Kinderbuch-Klassikern geworden sind.
Wie ihr sicher wisst, hat Otfried Preußler auch "Räuber Hotzenplotz", "Die kleine Hexe" und "Der kleine Wassermann" geschrieben, die neben "Krabat" alle auch Klassiker geworden sind. Das ist schon etwas Besonderes. Denn den meisten Autoren würde es völlig ausreichen, wenn sie wenigstens einen Klassiker in ihrem Leben schreiben würden.

Eine Spezialität Preußlers ist übrigens, alten Märchen, Sagen und Kasperlgeschichten neues Leben einzuhauchen. Auch "Krabat" ist einer alten sorbischen Sage entnommen. Falls ihr sie mal zu lesen bekommt, wundert ihr euch sicher, wie wenig Preußler selbst hinzugefügt hat. Auch der Name "Krabat" stammt nicht von Preußler selbst, sondern von Jurij Brezan. Der gab seinem Zauberlehrling in dem Buch "Die Schwarze Mühle" bereits drei Jahre vor Preußlers Roman-Veröffentlichung den Namen Krabat.
Trotzdem ist Preußlers Roman keine bloße Nachahmung, sondern eine eigenständige Arbeit. Und wenn es zum vielgelesenen und viel geliebten Buch geworden ist, dann sicher deshalb, weil Otfried Preußler die Geschichte so schön und geheimnisvoll beschrieben hat. Ich persönlich finde "Krabat" Preußlers schönstes Buch. Denn es ist voller Zauberkraft und Magie. Beinahe würde man selbst gerne als Rabe auf der Stange sitzen oder mit seiner Seele durch die Nacht fliegen. Beinahe. Würde da nicht jedes Neujahr einer der zwölf Lehrlinge ums Leben kommen und der Gevatter an der Tür klopfen ...

Otfried Preußler: Krabat. Thienemann Verlag. Stuttgart 1981. 256 Seiten.

* * *

Der Zauberer der Smaragdenstadt

"A propos Nachahmung", sagt Rossipotti und schielt über meine Schultern auf den Bildschirm. "Da gibt es doch diese russische Variante von Lyman Frank Baums 'Zauberer von Oz'! "

"Du meinst Alexander Wolkows 'Zauberer der Smaragdenstadt'?" frage ich. "Das ist schon keine Nachahmung mehr, sondern ein waschechtes Plagiat. Komisch eigentlich, dass das Buch nicht verboten wurde."

"Bei Wolkow heißt das nicht Plagiat, sondern Übersetzung", klärt mich Rossipotti auf. "Ursprünglich sollte Wolkow den 'Zauberer von Oz' nämlich nur ins Russische übersetzen. Doch dann hat er so einen Narren daran gefressen, dass er gleich einige Elemente verändert und hinzugefügt hat. Das passiert übrigens öfters. Zum Beispiel mit E.T.A. Hoffmanns 'Nußknacker und Mäusekönig'. Alexandre Dumas' 'Geschichte eines Nussknackers' ist wesentlich harmloser als das Original und trotzdem glauben viele, dass es die originalgetreue Übersetzung von Hoffmanns Text ist."

"Aber bei Wolkow ist es doch genau umgekehrt", sage ich und wundere mich über Rossipottis Gedankensprünge. "Da denkt doch jeder, dass es Wolkows eigenes Werk ist."

"Wirklich?" sagt Rossipotti. "Ich dachte, jeder weiß, dass das eine Nacherzählung von Baums 'Zauberer von Oz' ist!"

"Also doch ein Plagiat und keine Übersetzung", kontere ich und komme mir schlau vor, weil ich Rossipotti überführt habe. "Soweit ich weiß, ist ein Text ein Plagiat, wenn der Text oder eine Passage daraus, wörtlich wieder gegeben wird."

"Beiß dich doch nicht so an dem Begriff fest", sagt Rossipotti. "Wolkow hat den 'Zauberer von Oz' zwar nacherzählt, aber mit seinen eigenen Worten. Außerdem hat er den Figuren andere Namen gegeben. Aus Dorothy wurde zum Beispiel Elli und aus Toto Totoschka."

"Wirklich eine erstaunliche Eigenleistung", bemerke ich trocken.

"Viel erstaunlicher finde ich, dass die fünf Fortsetzungen von Wolkows Wunderland-Geschichte in (Ost)Deutschland Klassiker geworden sind, während Baums 13 Fortsetzungen der Oz-Geschichten hier kaum einer kennt."

"13 Fortsetzungen?" frage ich. "Waren die etwa auch alle Vorlage für Wolkows Romane?"

"Keine Ahnung", sagt Rossipotti. "Ich habe keine einzige davon gelesen."

"Da siehst du es!" sage ich. "Während du dir den 'Schlauen Urfin und seine Holzsoldaten', 'Die sieben unterirdischen Könige', den 'Feuergott der Marranen', den 'Gelben Nebel' und 'Das Geheimnis des verlassenen Schlosses' reingezogen hast, hast du Baums 'Zauberer von Oz' Fortsetzungsgeschichten links liegen gelassen! Ist das denn gerecht?"

"Was heißt hier gerecht?" fragt Rossipotti. "Wolkow kann doch nichts dafür, dass ich Baums Fortsetzungen nicht gelesen habe! Und er kann auch nichts dafür, dass sie in Deutschland nur halbherzig veröffentlicht wurden."

"Wer weiß", sage ich. "Vielleicht war durch Wolkows Fortsetzungen der Bedarf schon gedeckt."

"Vielleicht", sagt Rossipotti. "Sicher waren Wolkows Bücher auch deshalb so erfolgreich, weil man mit jedem Buch mehr in die Zaubererwelt eintauchen und darüber erfahren konnte."

"Willst du damit sagen, dass das Serienhafte ein Buch zum Klassiker macht?"

"Es schadet ihm auf jeden Fall nicht", sagt Rossipotti. "Denk nur an den 'Herr der Ringe', 'Winnie der Pu', 'Hotzenplotz', 'Mary Poppins', 'Die Chroniken von Narnia', 'Jim Knopf', 'Pippi Langstrumpf', 'Heidi', 'Tintenblut', 'Harry Potter' und so weiter, und so weiter."

Ich denke darüber nach, was Rossipotti gerade gesagt hat. Dann sage ich aufgeregt: "Rossipotti! Meinst du nicht, dass mein Roman 'Kalter Fisch in Sojasauce' die Chance hat, ein Klassiker zu werden, wenn ich ihm nur noch ein paar Fortsetzungen anhänge?"

"'Kalter Fisch in Sojasauce'?" wiederholt Rossipotti und läßt die Worte kritisch auf der Zunge zergehen. "Unmöglich ist nichts. Doch bis es soweit ist, haben wir sicher genug Zeit, Baums gesammelte Oz-Reihe auf englisch zu lesen!"

Alexander Wolkow: Der Zauberer der Smaragdenstadt. Aus dem Russischen von L. Steinmetz. Mit Illustrationen von L. Wladimirski. Raduga Verlag. Moskau 7. Auflage 1989.
Heute gibt es die Bücher beim Leiv-Verlag.

Und hier die gesammelten Titel von L. Frank Baums Oz-Reihe:
1.
The wonderful Wizard of Oz / 2. The marvellous Land of Oz / 3. Ozma of Oz / 4. Dorothy and the Wizard in Oz / 5. The Road of Oz / 6. The Emerald City of Oz / 7. The Patchwork Girl of Oz / 8. The Tiktok of Oz / 9. The Scarecrow of Oz / 10. Rinkitink in Oz / 11. The lost Princess of Oz / 12. The Tin Woodman of Oz / 13. The Magic of Oz / 14. Glinda of Oz.

* * *

Das riesengroße Krokodil

"Nach so vielen schwerwiegenden Fragen brauche ich jetzt etwas Leichtes, Leckeres, Süffiges!" sagt Rossipotti. "Hast du einen Einfall?"

"Roald Dahl vielleicht?" frage ich. Ich weiß, dass Roald Dahl Rossipottis Leibgericht ist.

"Tolle Idee!" sagt Rossipotti. "Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem 'Riesengroßen Krokodil'? Das ist eins von Dahls Bücher, die in Deutschland fast unbekannt sind und großen Appetit machen!"

"Ich weiß nicht, ob das eine geeignete Leküre für Kinder ist", sage ich und denke an das grässliche Krokodil, das seinen Sumpf verlässt, um spielende Kinder zu fressen.

"Fisch, du bist und bleibst zwar meine Leibspeise", sagt Rossipotti. "Aber du bist manchmal so entsetzlich deutsch!"

"Deutsch?" sage ich. "Wieso das denn?"

"Du nimmst alles so genau und hast wenig Humor!" sagt Rossipotti. "Das ist sicher auch der Grund, warum die Deutschen im Vergleich zu den Engländern und Amerikanern so wenige Klassiker schreiben: Sie sind viel zu verkrampft!"

"Finden es Engländer und Amerikaner etwa gut, wenn Krokodile Kinder verspeisen?"

"Wohl kaum", sagt Rossipotti. "Aber sie können offensichtlich besser zwischen Literatur und Realität trennen. Deshalb haben sie auch nicht solche Angst, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Sie wissen, dass sie immer wieder in der Realität ankommen. In Deutschland setzt man der Kinderliteratur überall Grenzen. - Außerdem werden die Kinder vom riesengroßen Krokodil natürlich gar nicht gefressen!"

"Stimmt!" gebe ich zu. "Stattdessen wird das Krokodil von einem Elefant mit dem Rüssel ins Universum geschleudert, prallt auf die Sonne und wird von ihr wie ein leckeres Würstchen gegrillt!"

"Äh", sagt Rossiptti. "Können wir nicht von etwas anderem reden?"

Roal Dahl: Das riesengroße Krokodil. Rowohlt Verlag GmbH. Hamburg 1978. 32 Seiten.

* * *

Kai aus der Kiste

"Wie wäre es mit 'Kai aus der Kiste'?" frage ich.

"Kenne ich nicht", sagt Rossipotti. "Ist das ein Klassiker?"

"Das wird zumindest behauptet", sage ich.

"Wer behauptet das?" fragt Rossipotti.
Er ist heute wirklich kritisch.

"Zum Beispiel der dtv Verlag, der es in seiner Klassiker-Reihe herausgegeben hat."

"Ist das Buch gut?" fragt Rossipotti skeptisch.

"Mir gefällt es", sage ich. "Es ist mit seiner großstädtischen Handlung und den Berliner Straßenjungen, die einen Erwachsenen überlisten, übrigens ein Vorläufer von Kästners 'Emil und die Detektive'! "

Rossipotti grunzt.

"'Kai aus der Kiste' ist wirklich ein erstaunliches Buch", versuche ich Werbung dafür zu machen. "Obwohl es schon 1926 erschien, wirkt es noch erstaunlich frisch!"

Rossipotti reagiert nicht.

"Vielleicht liegt es daran, dass Wolf Durian die Geschichte nur skizziert und die Schauplätze und Figuren nicht detailreich beschrieben hat. Nur mit ein paar Pinselstrichen zeichnet er den Straßenjungen Kai, den Schokoladehersteller Mister Joe Allan aus Amerika ..."

"Schokolade?" fragt Rossipotti interessiert. "In dem Buch geht es um Schokolade?"

Ich nicke.

"Warum sagst du das nicht gleich?" sagt Rossipotti. "Ich habe immer noch den Geschmack von verbrannten Würstchen im Mund! Da können ein paar Stückchen Schokolade nicht schaden!"

"Fein!" sage ich und rücke mich zurecht: "Also: Der Schokoladehersteller Allan aus Amerika will in Berlin seine Schokolade verkaufen und sucht einen Reklamekönig, der die Werbekampagne für ihn macht. Es bewerben sich zwei um den Posten: Der aufgeblasene Reklameagent Alexander Kubalski und der Straßenjunge Kai, Anführer der gesamten Berliner Straßenjungenbande 'Schwarze Hand'. Kubalski möchte das viele Geld, das ihm Allan für den Job verspricht, für sein häusliches Glück und seine Verlobte, die sich schon lange ein neues Kleid wünscht. Kai braucht das Geld für seine Straßenjungen und eine Puppe für seine einsame Schwester ..."

"Wo bleibt die Schokolade?" fragt Rossipotti ungeduldig. "Hast du mir nicht Schokolade versprochen?"

"Warte", sage ich, "gleich kommt es: Weil Mister Joe Allan aus Amerika ist, schert er sich nicht um Konventionen, solange der SCHOKOLADEverkauf stimmt. Und deshalb nimmt er den pfiffigen Kai, der sich in einer Kiste in sein Hotelzimmer schmuggeln lässt, ernst und bietet ihm die Chance seines Lebens, nämlich bei ihm tatsächlich Reklamekönig für SCHOKOLADE zu werden!
Doch zuerst muss er sich in einem Wettkampf mit seinem Kontrahenten messen: Wem es gelingt, innerhalb von zwei Tagen 150 Werbungen für seine SCHOKOLADE zu plazieren, wird Werbekönig. Der Reklameagent sieht sich schon als Sieger, hat er doch mehr Geld und Mittel, seine Werbekampagne durchzusetzen. Doch Kai hat die besseren Ideen und seine Straßenjungen, und so ist es bis zum Schluss spannend, wer das Rennen um die SCHOKOLADENpunkte wirklich macht."

"Oh, Ah, Jaa!", sagt Rossipotti und leckt sich das Maul. "Das Buch scheint ziemlich aktuell zu sein. Aber ein bisschen mehr Schokolade hätte schon dabei sein können."

Wolf Durian: Kai aus der Kiste. Mit Zeichnungen von Peter Knorr. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 3. Auflage 2004. 105 Seiten.

* * *

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

Wenn's draußen stürmt und schneit ...

... dann haben wir endlich Zeit, alles das zu machen, was wir schon soooooo lange machen wollten und was wir immer auf irgendwann später verschoben haben, auf den Tag, der uns nicht zum Baden einlädt; auf den Tag, an dem das Fahrrad schon lange im Keller steht und an dem wir lieber in der warmen Stube sind. Keine Sorge, ich meine nicht das Aufräumen, ich meine nicht das Staubwischen oder das Schuheputzen, obwohl das alles wirklich ganz wichtige Arbeiten sind. Nein, nein, ich denke da zum Beispiel an das Kuscheln mit Oma oder Opa, an das Kramen mit ihnen in Kisten und Kasten, um zu sehen, was sich dort so über Jahre und Jahrzehnte angesammelt hat.
Mit diesem Ziel besuchte Josephine gerade am vorigen Wochenende ihre Ur-Oma, Marianne Zernikow, in Kleinmachnow. Aber diesmal blätterten sie nicht gemeinsam in den dicken Alben mit den Fotos aller Familienmitglieder, befühlten nicht Taschentücher mit selbstgehäkelter Spitze und probierten auch keine sonderbaren Hüte auf, nein, Oma hatte einen riesigen Stapel mit alten Büchern auf dem Tisch zu liegen:

Josie: Was sind das für Bücher? Warum hast du sie aus dem Regal genommen?

Oma: Es sind Bücher mit Geschichten, die ich in meiner Kindheit gelesen und geliebt habe. Ich musste sie mir wieder einmal ansehen. Mein absoluter Liebling aber war "Die Biene Maja". Das Buch hatte ich von meinem Vater. Es steht jetzt bei deiner Tante im Regal, ich habe es ihr vor Jahren geschenkt. Von meiner Mutter bekam ich sehr selten ein Buch, denn meist musste das Geld für wichtige Dinge ausgegeben werden, für Schuhe, für einen Wintermantel, für eine Medizin. Und zwischendurch gab es so ein Geschenk schon ganz und gar nicht, sondern das war etwas für den Geburtstagstisch oder es lag unter dem Weihnachtsbaum.
Das hier ist so ein Geburtstagsgeschenk: "Herzblättchens Zeitvertreib". Darin sind viele Geschichten, Gedichte, Rätsel, Beschäftigungs- und Handarbeitsanleitungen. Da fällt mir gleich meine Lehrerin Fräulein von Kalkreuth ein. Sie unterrichtete Handarbeit und war sehr pingelig. Ich habe mir immer große Mühe beim Sticken und Stricken gegeben. Aber irgendetwas hat ihr immer nicht gefallen. Ich musste vieles noch einmal machen und bekam trotzdem schlechte Noten. Naja, so war früher "Herzblättchens Zeitvertreib". Das war eine Buchreihe, die vor allem für jüngere Schulkinder gedacht war. Einmal im Jahr kam ein Band heraus, das ist die Nummer 62.

Josie: So was gibt es heute auch noch. Meine Mama sagt Jahrbuch dazu. Sie hat solch ein Buch, das heißt "Der bunte Hund". Es ist ganz dick und hat viele Seiten. Sicher würde man ein ganzes Jahr brauchen, um alle Geschichten zu lesen.

Oma: Das kann gut sein. Wahrscheinlich heißen diese Bücher deswegen so. Aber manchmal war früher auch wirklich ein Jahreskalender darin und den Monaten waren die Geschichten zugeordnet. Sieh dir mal hier das Titelbild an! Den Mann erkennst du doch bestimmt.

Josie: Die Mütze sieht aus wie die von Till Eulenspiegel.

Oma: Richtig. Es ist eine Narrenkappe und es sind die Geschichten von Till Eulenspiegel. Hast du schon mal eine gelesen?

Josie: Nein, aber ich habe ein Video mit dem Zeichentrickfilm.

Oma: Den kenne ich nicht. Bring ihn doch mal mit! Dann können wir ihn uns gemeinsam ansehen. Schau mal, dieses Eulenspiegel-Buch habe ich mir gekauft, da war ich aus der Schule raus und verdiente mein eigenes Geld. Und das hier, das muss doch von deinem Papa sein. Ja, jetzt erinnere ich mich, dass es zu diesem Buch auch einen Trickfilm gab, einen Puppentrickfilm. Wir sind damals nach Berlin ins Kino gefahren sind. Ich glaube, das Buch und diese Fahrt haben Opa und ich deinem Papa zum fünften Geburtstag geschenkt.

Josie: Oma, gibst du es mir? Dann kann ich es zu Hause lesen und vielleicht weiß Papa noch etwas von dem Kinobesuch.

Oma: Klar, das Buch kannst du haben. Es gibt darin eine Anleitung, wie man sich kleine Puppen und ein Theater selbst anfertigen kann. Vielleicht machen wir das in nächster Zeit. Stoffreste habe ich genug. Und dann führen wir Sylvester zum Zeitverkürzen ein Theaterstück auf. Was hälst du davon?

Josie: Das würde mir schon gefallen.

Oma: Dieses große Till Eulenspiegel-Buch hier, das hat schon mein Vater gelesen. Und er hatte es - glaube ich - von seinem Vater.

Josie: Was, da gab es Till Eulenspiegel auch schon?

Oma: Ach, diese Geschichten sind noch viel, viel, viel älter. Sie sind vor sehr langer Zeit entstanden. Wir können es uns heute kaum vorstellen, dass dieser Eulenspiegel die Menschen schon vor 500 Jahren zum Lachen und vielleicht auch zum Nachdenken gebracht hat.


Und jetzt verlasse ich Oma und Urenkelin für ein Weilchen, denn ich will dir etwas über die Figur des Till Eulenspiegels und diesen Kinderbuchklassiker erzählen.
Eine Geschichte wird zu einem Klassiker, wenn sie immer und immer wieder von einer Generation zur anderen weitererzählt oder aufgeschrieben weitergegeben wird. Der Held solch einer Handlung lebt, auch wenn Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vom ersten Tag des Erscheinens ins Land gegangen sind. Auch wenn jede neue Zeit Veränderungen an Figur und Inhalt vorgenommen hat - die alte Handlung sozusagen modernisiert und auch mit neuen Medien wie Film, Rundfunk und Computer auf den aktuellen Stand des Lebens gebracht hat -, bleibt die Geschichte doch unverkennbar. Dann sprechen wir von einem Kinderbuchklassiker.
Und da gibt es sehr viele, so zum Beispiel: "Die Schatzinsel" von Robert Louis Stevenson, "Das Dschungelbuch" von Rudyard Kipling; "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe; "Tom Sawyer" von Mark Twain; "Pinocchio" von Carlo Collodi und eben auch "Till Eulenspiegel" von ...von ...
Ja, so ganz genau weiß man gar nicht, wer die Geschichte von Till Eulenspiegel zum ersten Mal aufgeschrieben hat. Nur in London gibt es in der Staatsbibliothek noch weltweit ein einziges Exemplar der Druckschrift aus dem Jahre 1509. Aber wahrscheinlich geht diese auf eine niederdeutsche Vorlage aus dem Jahr 1483 zurück. Und da Till Eulenspiegel die Herrschenden und die Reichen aufs Korn nimmt, ihre Taten genau beleuchtet und ihre Worte sehr genau hin- und herdreht, war es für den Schreiber sicher besser, unerkannt zu bleiben. Um sein Leben zu schützen (wer lässt sich schon gern auslachen), hat er seinen Namen sicherlich weggelassen. Aber gelacht hat er bestimmt auch mit den Lesern des Buches über die Eulen und Meerkatzen, die Till dem geizigen und ausbeuterischen Bäckermeister gebacken hat, oder wie er den Wirt, der für den Duft des Essens kassieren wollte, mit dem Klang des Geldes bezahlte.
Es wurden immer wieder Kapitel angefügt oder verändert. Von wem? Das ist unbekannt. Viele Künstler schrieben ihre Version von Till Eulenspiegel in Büchern und für die Bühne, für den Film, mit Buchstaben und mit Noten.
Lange Zeit glaubten die Menschen, dass Till Eulenspiegel, der Sohn eines Bauern, tatsächlich gelebt und diese Streiche wirklich gemacht hat. Heute wissen wir, dass das nicht der Fall ist. Till Eulenspiegel war eine Figur des Volkswitzes. Alles das, was die Menschen sich nicht trauten, das machte Till. Er spießte Dummheit, Geiz und Selbstzufriedenheit seiner Mitbürger auf. Und das machte er nicht immer mit feinen Mitteln, sondern wie seine Widersacher ist auch er oftmals derb und grob. Auch daran können wir erkennen, dass die Historie von Till Eulenspiegel vor 500 Jahren für Erwachsene aufgeschrieben wurde. Heute freuen sich Kinder und Eltern - und natürlich auch die Großeltern - gemeinsam an dem Narr, dem Schalk, dem Wortewender, dem Genauhingucker...

Und damit gebe ich das Wort wieder an Josephine und ihre Urgroßmutter ab. Beide sitzen immer noch am Tisch und blättern in den Büchern.

Josie: Was ist denn das für eine Schrift? Die kann ich ja gar nicht lesen.

Oma: Das ist heute etwas Besonderes, früher aber war es was ganz Alltägliches. Es sind die alten deutschen Schriftzeichen. Heute benutzen wir lateinische Buchstaben. Aber darüber unterhalten wir uns das nächste Mal.

Josie: Ja, Oma, jetzt will ich mit dir spielen.

Und damit steht Josephine auf, geht an das Bücherregal und zieht ein Buch heraus, in dem es keine Geschichten, sondern Spielpläne für 11 Brettspiele gibt. Und dann wird gewürfelt, gezählt und Spielfiguren werden gesetzt, gewonnen und verloren. Aber das ist den beiden dort am runden Tisch egal. Denn Oma und Josephine lachen gemeinsam und ärgern sich gemeinsam, wenn mal der rote oder der gelbe Spielstein über die Brücke nach unten rutschen und wieder von vorn anfangen muss.

Übrigens, weißt du eigentlich, welches das Lieblingsbuch deiner Oma oder deines Opas war, als sie selbst Kinder waren? Nein? Dann solltest du gleich zum Telefon greifen und einen Lese- oder Erzählnachmittag mit deinen Großeltern ausmachen.

Auf dem Foto siehst du die Bücher mit Geschichten von Till Eulenspiegel aufgestapelt, die sich im Bücherschrank von Oma Zernikow und in meinem Bücherregal finden ließen. Aber das ist nur ein klitzekleiner Bruchteil von denen, die du heute im Buchladen kaufen oder in der Bibliothek ausleihen könntest. Aber vielleicht kann ich dich oder deine Eltern für das eine oder andere Buch interessieren, darum hier die ganze Liste:


- Charles de Coster: Ulenspiegel und Lamm Goedzak. Illustrationen von Félicien Rops. Wilhelm Borngräber. Berlin um 1910.
- Karl Freund (Bearbeitung): Till Eulenspiegel. Aus niederdeutscher Mundart. Mit Illustrationen von Max Wulff. Meidinger's Jugendschriften Verlag. Berlin 1923.
- Gerhart Hauptmann: Till Eulenspiegel. Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume. S. Fischer Verlag. Berlin 1928.

- Gerhard Steiner (Bearbeitung): Ein kurzweilig Lesen von Till Eulenspiegel. Mit Illustrationen von Werner Klemke. Eulenspiegel Verlag. Berlin 1955.
- Günther Jäckel: Ein kurzweilig Lesen von Till Eulenspiegel. Reclam Verlag. Leipzig 1959
- Karlhans Frank: Till Eulenspiegel. Das Leben des listigen Schalks, Wortewenders, Genauhinguckers. Mit Illustrationen von Renate Seelig. Bechtermünz Verlag. Augsburg 1997. (Dieses Buch kann ich sehr empfehlen.)
- Erich Kästner: Till Eulenspiegel. Mit Illustrationen von Walter Trier, erschienen im Dressler Verlag. Hamburg 2000.
- Heinz Janisch: Till Eulenspiegel. Mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger. Neugebauer Verlag 1990.

- Gisela Geisler (Übertragung und Bearbeitung): Till Eulenspiegel. cbj-Verlag. München 2005.

- Till Eulenspiegel (3 CDs), nacherzählt von Dirk Walbrecker, erschienen im Hörbuchverlag, 2001.

- Erzählung für den Film von Christa und Gerhard Wolf, Aufbau Verlag Berlin und Weimar, 1972.
- Film von Eberhard Junkersdorf, als Video herausgegeben von Solo Filmverleih München, 2003.

Viel Vergnügen beim Lesen, Hören und Schauen wünscht dir
Helma

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Rossipotti: Aus aktuellem Anlass erzählen wir euch hier und nicht im 11 Uhr Termin eine Geschichte von Till Eulenspiegel. Illustriert wurde sie von Tine Neubert, nacherzählt von Lupus Pinselschweif.

Die vierte Historie

sagt, wie Eulenspiegel den Jungen die Schuhe von den Füßen redete
und bewirkte, dass sich alt und jung darum rauften



Ein anderes Mal zog Eulenspiegel über die Saale ein Seil und behauptete, er wollte auf dem Seil über den Fluss gehen. Viele junge und alte Leute kamen und wollten ihm dabei zusehen. Eulenspiegel sagte zu den Jungen, etwa hundertzwanzig an der Zahl, dass sie ihm ihre jeweils linken Schuhe geben sollten, weil er ihnen damit ein tolles Kunststück vorführen wollte.
Die Leute glaubten ihm, zogen gleich ihre Schuhe aus und gaben sie ihm. Kaum hatte Eulenspiegel die linken Schuhe, so reihte er sie auf einer Schnur auf und kletterte damit auf das Seil.
Natürlich dachten nun alle, er wolle ihnen damit ein großartiges Kunststück vorführen. Nur manche hätten vielleicht wieder lieber ihre Schuhe gehabt. Doch die meisten schauten gebannt nach oben.
Aber statt eines Kunststücks rief Eulenspiegel nur von seinem Seil herunter: "Passt auf, damit ihr eure Schuhe wieder findet!" Dabei schnitt er die Schnur entzwei und ließ alle Schuhe wieder nach unten purzeln, bis unter ihm ein großer Schuhhaufen war.
Sofort sprangen die Jungen hin, denn jeder wollte als erster seinen Schuh haben. Weil das aber natürlich nicht ging, fielen sie grob übereinander her und hießen sich gegenseitig Diebe: "Der gehört mir", "Nein, mir!" "Das ist meiner!" "Lügner, gib mir meinen Schuh wieder!"
Sie rissen einander an den Haaren, bissen und kratzten sich, schrieen und weinten. Nur ein paar fanden das alles sehr lustig und lachten blöde. Und am Schluss machten bei der Rauferei sogar noch die Alten mit.
Eulenspiegel saß in der Zwischenzeit auf dem Seil, freute sich an dem Durcheinander und rief hinab: "Ha, ha! Das kommt davon, dass ihr mir gestern so übel mitgespielt habt!" Dann kletterte er vom Seil herunter und ließ die anderen alleine weiter streiten.

Übrigens blieb Eulenspiegel die nächsten vier Wochen lieber zu Hause und flickte bei seiner Mutter Helmstädter Schuhe. Seine Mutter freute sich, denn sie wusste nicht, weshalb ihr Sohn plötzliche zum guten Schuster geworden war.

 
 © Rossipotti No. 13, Nov. 2006