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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher

 

Rossipottis Leibspeise

* * *

Was tun!?.

Rossipotti sitzt mit gequälter Mine auf dem roten Lesesofa. Auf seinem Schoß liegt ein Bilderbuch mit dem Titel Was tun!?. Abgebildet ist ein sehr muskulöser Mann mit zwei Tattoos auf seinem nackten Oberkörper. Er hat eine Kelle und einen Backstein in der Hand und scheint Maurer zu sein.

Mitfühlend frage ich: "Das Buch ist sicher sehr schlecht?"

Rossipotti schüttelt den Kopf und stöhnt: "Leider nicht. Es ist im Gegenteil so gut, dass ich mich frage, warum ich mich monatelang mit dem selben Thema beschäftige, wenn mir das Buch alle Fragen beantwortet."

"Was gibt es denn für Antworten?"

"Zum Beispiel: Werde Maurer oder organisiere irgendwas in irgendeinem Büro", sagt Rossipotti. "Werde Fischer, Bäcker oder Schauspieler, singe, stelle Motorenteile her oder tausche Hühner gegen Gänse."

"Aha", sage ich, "Und was ist damit beantwortet?"

Rossipotti glotzt mich an: "Na, was man tun soll!"

"Dass es unterschiedliche Berufe gibt, wusstest du doch schon vorher", werfe ich ein. "Was soll daran so besonders sein?"

"Dass es mir den Wind aus den Segeln nimmt", grunzt Rossipotti. "Während ich mir philosophische Gedanken mache und mich in labyrinthartigen Hirnwindungen verirre, löst das Buch die Frage mit einem einfachen Handstreich: Es gibt viele Dinge, die du tun kannst. Im Grunde ist es ganz egal, für welche Sache du dich entscheidest, Hauptsache du entscheidest dich für irgendeine."

"Wenn in dem Buch Handeln so wichtig ist, scheint es aber keinen Platz für das Nichtstun zu lassen", sage ich. "Und damit beantwortet er die Frage: Was sollen wir tun? nur zur Hälfte."

"Eben nicht!" jammert Rossipotti. Er schlägt das Buch auf und sagt. Hier steht wortwörtlich: "Wenn dir keiner sagt, was du tun sollst, tust du dann nichts? Oder schaust du vielleicht den Vögeln zu und denkst irgendwas? Sich Zeit zu lassen ist jedenfalls keine Faulheit!"

"Ganz schön schlau!" sage ich. "Tja, tut mir leid, aber mit dem Buch scheint unsere Ausgabe wirklich überflüssig geworden zu sein ... Aber halt, irgendetwas stimmt an der Textstelle, die du vorgelesen hast, nicht ..."

Rossipotti sieht mich hoffnungsvoll an und liest den Text nochmals vor.

"Da!" rufe ich dazwischen. "Ist das nicht eine merkwürdige Formulierung: "Wenn dir keiner sagt, was du tun sollst ... Genau darum geht es uns nicht! Wir wollen den Kindern ja gar nicht sagen, was sie tun sollen. Auch nicht, welche Möglichkeiten sie im Beruf später haben. Wir wollen unsere Frage doch eigentlich nicht mit einfachen Antworten zuschütten, sondern mit weiteren Fragen weiter aufreißen! Die Kinder sollen selbst entscheiden, wie sie die Frage beantworten ..."

"Du hast ja doch Esprit!" grunzt Rossipotti, verbessert sich aber gleich wieder: "Oder zumindest mehr als ich dachte. Dann lass uns jetzt endlich mit den Buchvorstellungen anfangen und neue Fragen aufreißen."

Dieter Böge (Text) und Bernd Mölck-Tassel (Illustration): Was tun!? Bajazzo Verlag. Zürich 2008.

* * *

Mach dieses Buch fertig

Mir glühen die Gräten vor Freude, weil mich Rossipotti gerade so gelobt hat! Allein dafür hat sich diese Ausgabe gelohnt.

Rossipotti schlägt das Buch Was tun!?. zu und wirft mir ein anderes mit dem Titel Mach dieses Buch fertig zu. "Sieh mal, was sich damit machen lässt. Am besten beißt du zuerst einmal rein oder reißt die Seiten kaputt. Auf jeden Fall darf es am Ende nicht mehr so aussehen wie vorher."

"Ich glaube, dafür bist eher du geeignet", sage ich.
Ich habe überhaupt keine Lust, in ein Buch zu beißen oder es zu verreißen.

"Ach, das mache ich doch jeden Tag", winkt Rossipotti ab. "Das Buch muss jemand vorstellen, für den es eine Grenzüberschreitung ist, mit einem Stift Löcher in ein Buch zu bohren oder Spucke und Popel auf eine Seite zu kleben."

"Hört sich nicht gerade lecker an", sage ich.

"Eben!" meint Rossipotti. "Genau deshalb wird es dir etwas bringen. Hast du vorhin nicht gesagt, ein Buch müsste Fragen aufreißen und nicht beantworten? Genau das wird das Buch bei dir tun."

Typisch Rossipotti. Benutzt sein Lob gleich wieder, um mich argumentativ über den Tisch zu ziehen! Was soll ich also tun? Mich weigern und einen Streit provozieren? Oder mich fügen und damit wieder einmal schwächer als Rossipotti dastehen?

"Der Klügere gibt nach", sagt Rossipotti. "Und das bist heute ganz offensichtlich du! Oder willst du das bestreiten?"

Obwohl ich Rossipottis List durchschaue, nehme ich das Buch und beiße rein. Es ist härter als es aussieht und schmeckt komischerweise leicht bitter.

"Schmeckt's?" fragt Rossipotti neugierig.

Ich grummle und drehe mich weg. Das Buch muss man ohne Zuschauer probieren.

"Keine Angst", sagt Rossipotti. "Ich lass dich jetzt ganz in Ruhe! Aber notiere genau, welche Fragen das Buch aufwirft! Denn darauf kommt es schließlich an."

Seite für Seite arbeite ich mich durch das Buch. Überall erklärt die Autorin Keri Smith, was man tun muss: den Buchrücken brechen, Kaffeeflecken auf eine Seite machen, einen mit Farbe vollgesaugten Papierball gegen eine leere Seite werfen, eine Seite in Streifen reißen, das Buch mit unter die Dusche nehmen ...
Ich nehme Stift und Farben und befolge nacheinander die Ratschläge der Autorin.
Nachdem ich mit dem triefend nassen Buch aus der Dusche komme (was wirklich toll war!), entscheide ich mich, jetzt besticke diese Seite in Angriff zu nehmen.
Das ist bei den nassen Seiten allerdings etwas schwierig. Ich reiße mehrere Löcher in die Seite und der Faden hat keinen Halt mehr.
Als ich mit der Nadel statt des Buchs meine empfindliche Flosse durchsteche, stellt sich für mich die erste Frage: "Warum tust du das überhaupt? Nur, weil Rossipotti es wollte?"
Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war ich selbst neugierig, zu sehen, was das Buch mit mir macht, wenn ich etwas mit ihm mache.
Und damit stellte sich mir gleich die zweite Frage: "Was macht das Buch mit dir?"
Ärgern. Zumindest im Moment, denn meine Flosse tut immer noch ziemlich weh.
Dritte Frage: "Warum hörst du dann nicht mit der Seite auf?"
Weil ich zu brav bin!
Vierte Frage: "Willst du das nicht ändern?"
Doch. Eigentlich schon. Am besten jetzt sofort.
Ich packe Nadel und Faden wieder weg, lege das Buch auf die Heizung und überlege mir, was ich statt dessen tun soll. Als mir auch nach einer Weil nichts Aufregendes eingefallen ist, sehe ich nach, ob das Buch inzwischen etwas trockener geworden ist. Es ist immer noch ziemlich feucht, weshalb ich ein Bügeleisen hole. Als das Buch endlich trocken (und ganz schön wellig und gelb-braun) ist, schlage ich es auf und lese: "Klebe irgendeine Zeitungsseite ein."
Prima, denke ich. Das geht einfach, nicht wie diese blöde Stickerei vorhin. Doch während ich das Zeitungsblatt einklebe, kommen mir schon wieder Zweifel: "Im Grunde verhalte ich mich hier wie ein Schüler, der die blödesten Aufträge seines Lehrers erfüllt. Ist das mutig? Nein. Ist das kreativ, wie die Autorin im Vorwort behauptet? Nein! Das ist das Gegenteil von Kreativität!"

Ich notiere alle Fragen, die das Buch bisher aufgeworfen hat, auf einen Zettel und füge gleich eine neue hinzu: "Wie entkomme ich dem Buch?"
Wenn ich es einfach zuschlage, oute ich mich als ignorant. Wenn ich es so behandle, wie die Autorin es will, oute ich mich als brav und wenig einfallsreich.
Was soll ich also tun?
Ich blättere durch das Buch und habe plötzlich eine Idee. Ich weiß nicht, ob sie gut oder schlecht ist, aber sie scheint mir im Moment genau die richtige zu sein, um das Buch wirklich fertig zu machen: Ich schreibe das Buch gegen den Willen der Autorin um!
Gleich hier auf der Seite, auf der steht, dass ich auf der einen Seite mit der linken oder rechten Hand schreiben und malen soll, schreibe ich darunter: VERLASSE SOFORT MEIN BUCH!
Auf eine andere Seite, auf der die Autorin vorschlägt: Hast du etwas Stinklangweiliges erlebt? Beschreibe es bis ins kleinste Detail, schreibe ich: MACH ES DOCH SELBER!
Doch als ich unter Keri Smiths Vorschlag: Benutze das Buch als Kleidungsstück, DOCH WOHL EHER ALS KLOPAPIER schreibe, bin ich über mich selbst erschreckt.
Gleich notiere ich auf meinem Fragenzettel: "Wieviel Boshaftigkeit steckt in dir?"
Ich suche besser nicht nach der Antwort, sondern entschließe mich, einen der ersten Vorschläge der Autorin zu befolgen: Setze diese Seite in Brand.
Damit nichts passiert, gehe ich ins Bad, halte das Buch über das Waschbecken und zünde die besagte Seite an. Das Papier brennt erstaunlich gut und lässt sich nicht mehr auspusten. Ich werfe das Buch ins Waschbecken und sehe zu, wie die Flammen zuerst die Seite, dann schließlich das ganze Buch in Brand setzen. Erst als nur noch ein kläglicher Rest übrig ist, drehe ich den Wasserhahn auf und lösche das Feuer.
Komischerweise spüre ich keine Genugtuung darüber, dass sich das Buch bis auf wenige Seiten in Rauch aufgelöst hat. Dafür habe ich in der kurzen Zeit mit dem Buch zu viel über mich selbst erfahren.

Keri Smith: Mach dieses Buch fertig. Übersetzt von Heike Bräutigam und Julia Stolz. Verlag Antje Kunstmann. München 2010.

* * *

Die Suppendusche

"Was ist denn mit dir los?" fragt mich Rossipotti, als ich mit Asche verschmierten Flossen wieder zurück komme.

Ich überhöre Rossipottis Frage und setze mich vor den Computer, um meine Erfahrungen mit dem Buch einzutippen.

"Waren die Erfahrungen, die du mit dem Buch gemacht hast, so schlimm?" Rossipotti grinst mich schief an.

Ich reagiere wieder nicht. Ich habe Besseres zu tun, als mich von Rossipotti blöd anmachen zu lassen.

"Hallooo", macht Rossipotti und spritzt Wasser aus seinen Ohrlöchern.

Das sieht sehr witzig aus und normalerweise lache ich immer darüber. Aber heute nicht. Heute kommt mir das zu albern vor.

"Ich hab in dem Buch Suppendusche gerade einen echt guten Gag gelesen", versucht mich Rossipotti zu locken. "Der geht so: Wenn jemand bei dir übernachtet, ziehst du Klarsichtfolie straff über die Kloschüssel. Dann schließt du den Klodeckel, und wenn dann deine Freundin oder dein Freund nachts, völlig verschlafen versucht, reinzupinklen, spritzt alles daneben! Der oder die wird denken, dass ein Magnetfeld oder so was ähnliches auf dem Klo ist."

Ha, ha! denke ich. Und fühle mich nach meinen Erfahrungen mit Mach dieses Buch fertig über solche niederen und ekligen Späße erhaben.

"Oh, habe ich einen Schnupfen", sagt Rossipotti plötzlich. "Hast du zufällig ein Taschentuch?"

Ich nicke und reiche Rossipotti ein Taschentuch, während ich weiter auf den Computerbildschirm starre und an meinem Text arbeite.

"Hatschi", macht Rossipotti und prustet sehr laut.

"Gesundheit!" sage ich und tippe weiter an meinem Text.

"Hatschi, hatschi", macht Rossipotti wieder.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er wild mit dem Taschentuch wedelt.

Jetzt schneuzt er sich umständlich laut und lange.

"Sag mal, geht es auch ein bisschen leiser?" frage ich und drehe den Kopf in Rossipottis Richtung. Er schneuzt wieder und das Taschentuch fliegt komischerweise zu einem anderen Zeitpunkt in die Höhe als das Schneuzgeräusch vermuten lässt. Wie ist das möglich?

Rossipotti sieht, dass er mich endlich an der Angel hat und zieht das Taschentuch von der Schnauze. In seinem Maul steckt eine Gabel!
"Mit der Gabel habe ich das Taschentuch bewegt", erklärt Rossipotti. "Toller Trick, oder? Der steht auch in der Suppendusche."

"Aha", sage ich, und wende mich wieder dem Computer zu.

"Ok, ok", sagt Rossipotti. "Ich habe verstanden, dass dich das Buch nicht interessiert. Dann will ich dich nicht weiter stören. Palmina wird sich über die Tricks und Gags sicher freuen."

Rossipotti geht aus dem Raum und knallt die Tür hinter sich zu. War er etwa beleidigt? Nur weil mich seine Gags nicht vom Hocker gerissen haben? Na, egal. Hauptsache ich habe meine Ruhe.

Doch kaum habe ich zwei Sätze geschrieben, stürmt Rossipotti durch die Tür und ruft: "Jetzt habe ich doch tatsächlich die Suppendusche hier vergessen."
Er rennt zum Sofa, stolpert dabei über einen Bücherstapel, fällt nach vorne und haut sich die Schnauze am Regal an.

"Au!" schreit Rossipotti und spuckt nacheinander fünf Zähne aus!

Hilfe! denke ich und renne zu Rossipotti. Ich helfe ihm aufs Sofa und versuche ihn mit einer Geschichte, die ich mal gehört habe, zu beruhigen: "Wenn man die Zähne gleich in ein Glas mit Milch legt, kann sie dir der Zahnarzt vielleicht wieder einpflanzen."

Rossipotti nickt schwach und hält sich das Maul.
Ich suche die auf dem Boden zerstreuten Zähne und wundere mich wie klebrig sie sind. Ist Krokodilsspucke so zäh?
Ich sehe mir die Zähne genauer an und wundere mich außerdem wie rund sie sind.
Plötzlich kommt mir ein grässlicher Verdacht: Rossipotti hat gar keine Zähne verloren, sondern wieder nur einen dieser Tricks aus der Suppendusche an mir ausprobiert!

Rossipotti hat mich genau beobachtet und lacht jetzt laut auf: "Mentos mit Pfefferminzgeschmack! Irrer Gag, oder?"

Ich nicke und sage: "Irre und haarsträubend und widerlich. Vor allem aber nervtötend und unnütz."

"Wow!" sagt Rossipotti. "Du bist heute wirklich auf der Höhe der Zeit. Genau das steht im Inhaltsverzeichnis der Suppendusche. Nicht erwähnt hast du allerdings Atemberaubendes, Streiche, Gags und Bluffs, Abgefahrenes, Irrwitzige Sprachen und Mundsportarten, Alberne Spiele und hirnverbrannte Wettkämpfe."

"Hört sich nach einem total spannenden Buch an", sage ich, meine aber eigentlich das genaue Gegenteil.

"Genau!" nimmt mich Rossipotti beim Wort. "Es blödelt hemmungslos drauf los und lässt uns auch noch daran teilhaben!"

"Ich frage mich nur, für wen das eigentlich geschrieben sein soll?"

"Für alle!" sagt Rossipotti. Er sieht mich scheel an, überlegt kurz und sagt dann: "Oder zumindest für all diejenigen, die trotz schlimmer Erfahrungen noch einen Hauch von absurdem Witz in sich spüren."

Sam Bartlett: Die Suppendusche und 300 andere haarsträubende Kunststücke, irrwitzige Scherze, Spaßwetten, Gags und Tricks zum Vorführen und Nachahmen. Boje Verlag. Köln 2009.

* * *

So geht das!

"Wenn deine Spaßlaune vorbei ist, würde ich dir gerne ein Buch zeigen, das ich heute vorstellen möchte", sage ich und greife nach einem quadratischen, knallig orangenem Buch mit kleinen Bildchen drauf.

"Warum? Darf man bei dem Buch etwa nicht gut aufgelegt sein?" fragt Rossipotti verwundert.

"Doch, natürlich", sage ich, "aber wenn man nur rumblödelt, kann man sich nicht auf die Tricks des Buchs konzentrieren und sie nachmachen. Und das wäre wirklich schade, weil ein paar sehr interessante dabei sind."

"Welche denn zum Beispiel?"

"Zum Beispiel, wie man eine richtige Rakete baut!"

"Eine Rakete?" fragt Rossipotti entsetzt. "Und so etwas sollen wir hier vorstellen?"

"Ich meine doch keine Militärrakte, sondern eine einfache Silvesterrakete", sage ich.

"Aha", macht Rossipotti, "und sonst? Hat das Buch auch noch etwas anderes zu bieten?"

"Viel", sage ich. "Zum Beispiel wie man eine Streichholztaschenlampe oder einen Lautsprecher für seinen MP3-Player baut oder wie man eine Discokugel aus alten CDs herstellt."

"Hört sich erstaunlich zeitgemäß an für ein Basteltippbuch", sagt Rossipotti.

"Genau!" sage ich. "Übrigens werden in dem Buch nicht nur Basteltipps vorgestellt, sondern auch Experimente, Kochtipps, Tricks und sogar Bewegungsübungen."

"Bewegungsübungen?" fragt Rossipotti irritiert.

"Na, zum Beispiel wie man einen Hüftumschwung macht oder einen Handstandfingerflip auf dem Skateboard", erkläre ich und fahre begeistert fort: "die bringen einem sogar bei, wie man den Moonwalk oder Stunts wie ein echter Stuntman macht!"

"Allmählich glaube ich, dass du den Autoren des Buchs mächtig auf den Leim gegangen bist", sagt Rossipotti. "Du glaubst doch selbst nicht, dass man nur das Buch zu lesen braucht und - schwupps - schon ist man Michael Jackson?!"

"Ach was, lesen!" lenke ich ab. "In dem Buch wird fast alles mit Bildern erklärt. Ohne langen Schnickschnack und unnötige Texte."

"Und die Bilder haben die Fähigkeit, aus einer unsportlichen Leibspeise plötzlich einen Akrobat zu machen?" Rossipotti lässt nicht locker.

"Es muss sich eben jeder das aussuchen, was er kann", sage ich. "Jemand, der sowieso schon tolle Kunststücke kann, bekommt in dem Buch eben einen Tipp, wie er seine Kunst verfeinern kann. Es sagt doch niemand, dass jeder alles aus dem Buch machen muss!"

"Gib mal her", sagt Rossipotti und greift nach dem Buch.
Er blättert es aufmerksam durch, macht hin- und wieder "Oh" und "ach, so geht das!" oder "Hm".

Nach einer Weile werde ich ungedulig und frage Rossipotti:
"Und wie gefällt dir das Buch?"

"Gut!" sagt Rossipotti überzeugt. "Die unpersönlichen Bilder sind zwar nicht mein Geschmack, aber sie erfüllen ihren Zweck. Und abgesehen davon, finde ich das Buch wirklich einen Gewinn. Vor allem, weil es nicht nur Stunts zeigt. Außerdem finde ich gut, dass neben neuen Gags wie Verschönern von Turnschuhen oder Fußnägeln auch viele alte Basteleien, Tricks, Rezepte und Fertigkeiten erklärt werden: Vom Papierflieger und Batik-T-Shirt über die Gänseblümchenkette und Limonade machen, bis hin zum Tierspuren erkennen und Unterschlupf bauen."

"Seit wann stehst du auf Altes?" frage ich erstaunt. Bisher war mir noch nie aufgefallen, dass Rossipotti gerne Limonade kocht, mit Papier bastelt oder Kleider färbt.

"Es geht nicht um alt oder neu, sondern um Vielfalt", sagt Rossipotti. "Ein Buch, das nur die Modeerscheinungen sammelt, hat einfach weniger Dimensionen und ist deshalb auch viel langweiliger."

"Das heißt, dass ich es den Lesern vorstellen und ihnen empfehlen soll, dass sie sich das Buch sofort besorgen sollen?" frage ich und warte nicht wirklich auf eine Antwort von Rossipotti. Ich drehe mich zu meinem Computer und entwerfe sofort eine kurze, lobende Buchvorstellung.

Rossipotti schaut sich inzwischen das Buch weiter an. Als er fertig ist und sich zum ersten Mal die Rückseite ansieht, stockt er plötzlich und ruft: "Halt! Hör sofort auf zu schreiben! Sieh mal: Im Klappentext werben sie damit, dass das Buch die Antworten darauf gibt, womit und wie man einfach mal so richtig angeben kann ... ! Man soll mit dem Buch angeben?! Wenn das das Ziel des Buchs ist, will ich es auf keinen Fall vorstellen!"

"Zu spät", sage ich etwas geknickt, ärgere mich aber auch über den dummen Klappentext. "Ich habe unser Gespräch gerade ins Netz gestellt."

Sarah Hines Stephens/Bethany Mann: So geht das! Einfach alles können. Tricks & Style. Edel Germany GmbH. Hamburg 2009.

* * *

Das Animalarium von Professor Revillod

"Nach den ganzen 'Mach-dies-oder-das'-Büchern bin ich ganz schlapp", sagt Rossipotti. "Das liegt sicher daran, dass die Autoren mir ständig sagen, was ich tun soll. Kein einziger fragt mich, was ich tun will."

"Keiner zwingt dich doch dazu, alles zu befolgen, was in den Büchern steht", entgegene ich und denke dabei an meine Erfahrungen mit dem Buch Mach dieses Buch fertig. "Es sind nur Vorschläge, und du selbst kannst entscheiden, was du tun willst."

"Du meinst, dass ich eigentlich eine freie Wahl der Entscheidung habe?" fragt Rossipotti. "Dass ich letztlich gar nicht mache, was ich tun soll, sondern nur das, was ich will?"

Als ich nicke, fährt Rossipotti fort: "Aber dann gäbe es ja gar keinen Unterschied zwischen wollen und sollen?"

"Eigentlich nicht", stimme ich zu. "Allerdings muss man mindestens die Wahl zwischen zwei Alternativen haben. Sonst ist das Sollen ein Befehl."

"Wenn man deinen Gedanken zu Ende denkt, gibt es eigentlich gar kein Sollen", überlegt Rossipotti. "Denn auch bei einem klaren Befehl gibt es immer die Alternative 'nein' zu sagen."

"Dann kannst du das Spiel aber auch umgekehrt treiben", sage ich. "Dass aus Wollen immer ein Sollen wird", sage ich.

"Wie das?" fragt Rossipotti neugierig.

"Das Wollen gibt es eigentlich immer nur in Abhängigkeit vom Sollen", meine ich. "Du kannst nur etwas wollen, wenn du es gerade nicht sollst. Ein Kind, das ein Eis will, kann es nicht mehr wollen, wenn es Eis essen soll."

"Ein gruseliger Gedanke," sagt Rossipotti. "Mit deiner Theorie kann man mühelos Leute manipulieren: Erlaube ihnen alles, und sie werden immer nach deinem Willen handeln."

"Genau!"

"Aber egal, ob deine oder meine Theorie stimmt", grunzt Rossipotti. "Der persönliche Wille ist auf jeden Fall umso größer, je mehr Wahlmöglichkeiten man hat ..."

"Bis es wie in deinem Beispiel alles ist erlaubt in ein totales Sollen umschlägt", unterbreche ich Rossipotti.

"Was aber so gut wie nie der Fall sein wird", fährt Rossipotti fort, " ... und deshalb sollten wir hier eigentlich nur Bücher vorstellen, die einem eine möglichst große Wahlmöglichkeit einräumen."

"Denkst du vielleicht an Lexika?" frage ich.

"Nein", sagt Rossipotti bestimmt. "Ich denke an Bilder-Misch-Masch-Bücher"

"Was ist das denn?"

"Kennst du nicht diese Bilderbücher, deren Abbildungen durch drei geschnitten sind und deren einzelne Abschnitte man wild miteinander kombinieren kann?" fragt Rossipotti.

"Ach, du meinst ein Durcheinanderbuch!" sage ich. "Also ein Buch, auf dessen Seiten eigentlich vernünftige Abbildungen sind, aber wenn man die einzelnen Abschnitte miteinander kombiniert, entstehen so seltsame Dinge wie Babys mit langen Bärten oder Monster mit Kussmund."

"Genau!" sagt Rossipotti. "Übrigens habe ich gerade heute ein Bilder-Misch-Masch-Buch der feinsten Sorte entdeckt: Das Animalarium von Professor Revillod. Es verspricht mir 4096 Wahlmöglichkeiten! Aus einem EL-EF-ANT kann man zum Beispiel einen EL-SU-KY einen EL-IGSTI-ANT, einen KAT-OZ-ANT oder noch viele andere Tiere kreieren."

"Und was soll daran so toll sein?" frage ich.

"Das ist einfach lustig", sagt Rossipotti. "Aber stimmt, ich hatte vergessen, dass du keinerlei Witz hast. Aber selbst für dich wird das Buch bereichernd sein. Denn zum einen sind die Federzeichnungen, die an alte Bilder erinnern, mal etwas erfrischend anderes zwischen den ganzen nett-oberflächlichen Illustrationen vieler heutiger Bilderbücher. Zum anderen hilft es einem dabei, Grenzen zu sprengen und Tier und Silben so zu kombinieren, dass man ganz neue, zuvor nie dagewesene Dinge entdeckt.
Und nicht zuletzt löst das Buch ganz nebenbei unser philosophisches Problem des unfreien, freien Willens: Denn es sagt mir zwar, was ich tun soll - nämlich es anschauen - lässt mir aber völlig freie Wahl, wie ich es anschauen will. Und das ist eigentlich genau das, was uns im Moment am meisten interessiert?!"

Javier Sáez Castán (Illustration) und Miguell Murugarren (Text): Das Animalarium von Professor Revillod. Bajazzo Verlag. Zürich 2010.

 
 © Rossipotti No. 22, Mai 2010