Comic


Über Comics allgemein

Niemand zieht so eindrucksvoll die Augenbrauen hoch wie der Comic-Erpel Donald Duck, wenn er einen Einfall hat oder schaut so grimmig wie Wolverine, der Wolfsmensch von den fantastischen Vier, wenn er hinterrücks überfallen wird. Daher sind in Comics Sätze wie „Er zog die Augenbrauen hoch" oder „Er erschrak" selten. Wozu auch? Über Dinge, die sowieso jeder sehen kann, verlieren weder Menschen noch Superhelden viele Worte.
Wenn es für eine Sache ein Bild gibt, finden Comic-Zeichner es bestimmt. Sogar unsichtbare Dinge. In den Gesichtern der Comic-Figuren werden Gefühle wie Angst oder Mut Grimassen und damit für den Leser sichtbar. Das haben die Comics von den Karikaturen übernommen. Karikaturen kommen allerdings ganz ohne Worte aus – Comics nicht. Stattdessen tauchen Worte im Comic meist in Sprechblasen auf und stehen in direkter Rede, weil eine der Figuren spricht oder denkt. Die Italiener sagen deswegen zu Comics „fumetti“, was zu deutsch „Blasen“ bedeutet, also Blasenliteratur. Oft gelangen Worte auch als Begleittext in einem Kasten an den Bildrand, weil der Leser wissen muss, wo das Abenteuer spielt. Wichtig sind Worte also schon.
Comics sind Wort-Bild-Gemische, genau wie Fruchtjoghurts, bei denen Marmelade und Joghurt nicht schichtweise getrennt, sondern schon vermischt serviert werden – Hauptsache, es schmeckt. Und Comics schmecken gerade deshalb, weil die Aufmerksamkeit des Leser vom Bild zum Text und zurück zum Bild springt. Wer in Comic-Heften allein den Text liest, versteht gar nichts, wer nur die Bilder anschaut, fast nichts.

Klingt verdächtig nach Film, oder? Irrtum.
Denn was die meisten Eltern an Comics richtig gut finden, wenn sie überhaupt irgendetwas daran gut finden, ist genau das, was sie von Filmen unterscheidet: Liegt ein Comic erst einmal im Regal, stört er niemanden mehr. Geräusche werden einfach in Zeichen und Linien verwandelt. Pistolen machen exklusiv in Comics „Peng", in Filmen knallt es ohrenbetäubend. Comics sind so lautlos, dass man sie mit einer Taschenlampe ausgerüstet seelenruhig unter der Bettdecke lesen kann, während die Eltern im Nachbarzimmer schnarchen.
Comics haben allerdings noch andere Tricks auf Lager, von denen der Film nur träumen kann. Im Film werden Bilder bewegt, in dem etwa 25 Einzelbilder in der Sekunde hinter einander ablaufen. Der Comic kommt mit viel weniger Bildern aus und bewegt sich mindestens genauso schnell durch eine spannende Geschichte. Schlaue Comic-Zeichner wissen: ein Ereignis lässt sich auf einige wichtige Augenblicke reduzieren.

Ein Beispiel: Eine Katze springt von einem Tisch, um eine Maus zu fangen, die gerade noch rechtzeitig in einem Mauseloch verschwindet. Im Film sieht man jede einzelne Bewegung. Das kann schon mal 2 Minuten dauern. Das ergibt 120 Sekunden mit je 25 Bildern, macht satte 3000 Bilder. Ein Comic braucht 6 Bilder, um das Gleiche zu sagen. Der Zeichner greift sich einfach die wichtigsten Momente heraus. Sagen wir:


Illustration: Katja Spitzer
  • BILD 1: Die Katze richtet sich auf, spitzt die Ohren und leckt sich das Schnäuzchen. Es hat die Maus entdeckt und findet sie richtig lecker.
  • BILD 2: Die Katze springt und zwar so flink, dass man glaubt hören zu können, wie sie durch die Luft pfeift. Im Comic wird das durch ein paar feine Linien hinter Schwanz und Tatzen angedeutet.
  • BILD 3: Die Maus sieht die Katze. Der Käse fällt ihr vor Entsetzen aus dem Mund. Sie erstarrt.
  • BILD 4: Der Schatten des Katzenkörpers taucht die Maus in Dunkelheit. Nur die weit aufgerissenen Augen sind zu sehen, während sie sportlich Richtung Mauseloch hechtet.
  • BILD 5: Die Krallen der Katze verfehlen die Maus um Haaresbreite.
  • BILD 6: Als die Maus merkt, dass sie in Sicherheit ist, streckt sie schadenfroh den Hintern aus dem Mauseloch und ruft der schmollenden Katze in einer Sprechblase „Bätsch" zu.

Nicht schlecht. Mausfreunde sind erleichtert. Katzenhalter nicht beleidigt. Aber das Beste kommt noch. Jedes einzelner dieser Bilder steht in einem anderen Format, ist also unterschiedlich hoch und breit. Wenn eine Katze die Ohren spitzt und sich aufrichtet, dann ist das Bild natürlich höher als breit. Denn Aufrichten und Ohrenspitzen richten sich nach oben. Springt die Katze dagegen, muss das Bild ein liegendes Rechteck sein, ein Querformat. Denn ein Sprung ist eine Bewegung von rechts nach links oder umgekehrt. Steckt die Maus am Ende den Po aus dem Loch, passt das genau in ein quadratisches Bild, da Mäusepos, wie überhaupt die meisten Pos, genauso breit wie hoch sind. Gute Comic-Zeichner lassen sich noch mehr einfallen. Warum nicht den Rand des Mauseloches als Bildrand verwenden? Ein rundes Bild! All das kann der Film nicht. Seine Bilder sind rechteckig wie ein Fernsehbildschirm.

Ursprünge des Comic

1996 feierte der gleiche Literaturbetrieb, der sich jahrzehntelang gesträubt hatte, Comic überhaupt als Literatur anzuerkennen, weltweit den 100. Geburtstag des Comics. Eine Geburtstagsfeier kommt natürlich nicht ohne Schatzsuche aus und den Schatz, den damals alle finden wollten, war der erste Comic überhaupt. „Comic“ bedeutet auf Englisch „komisch“ und es war tatsächlich ziemlich komisch, was Literaturprofessoren alles anstellten, um die Ursprünge des Comics aufzuspüren. Der Comic hat viele Vorläufer und die Suche nach dem ersten Comic ist genauso viel versprechend wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Da gab es zum Beispiel die Behauptung, schon die Höhlenmalereien der frühen Menschen seien dem Comic ähnlich. Unsinn! Die frühen Menschen verfügten weder über Schrift, den unverzichtbaren Textteil von Comics, noch über eine Vorstellung von zeitlich geordneten Bilderfolgen. Sie bildeten einfach nur ihren Alltag auf einem Felsen ab, was Comics niemals tun.
Da kommt das Mittelalter der Sache schon näher. Auf Wandgemälden wurden berühmte Schlachten in verschiedenen Augenblicken festgehalten. BILD 1: Die Heerlager mit den farbenprächtigen Bannern vor der Schlacht. BILD 2: Der Zusammenprall der Heere, das Bersten der Schilde, das Brechen der Lanzen. BILD 3: Der stolze Sieger mit erhobenem Schwert.
Auch Texte haben diese Maler ihren Gemälden schon eingeschrieben. Den Heerführern wurden gern Schriftrollen in die Hände gegeben, auf denen Auszüge aus der Bibel zu lesen waren. Klingt doch schon verdächtig nach Comic, oder? Vielleicht. Aber anders als die modernen Superhelden waren die Helden der Ritter dem wahren Leben entliehen. Und wenn richtige Menschen Krieg führen, wird leider richtig gestorben. Ohne Sprechblasen und ohne Wiederauferstehung im nächsten Heft.
Die deutschen Geburtstagsgäste wollten natürlich den berühmten Wilhelm Busch, Autor des Max und Moritz, zum Comic-Urvater adeln. Aber eine moderne Bildergeschichte ist nicht unbedingt ein Comic. In Buschs Büchern werden gereimte Texte illustriert, nicht Bilder mit Text auf Comic-Art untrennbar in einem Bild verknüpft. Zu verdanken hat das Comic Herrn Busch aber allerhand. In seinen Texten wimmelt es von Geräuschen, es macht ordentlich „pling“ und „zwoing“. Und mit Zeit und Raum geht er ähnlich lässig um, wie es seine Nachfahren einmal im Comic tun werden: Zeitraffer und Zeitlupe nutzt er ebenso wie Zooms, die es erlauben, sich auf Dinge zu oder von ihnen weg zu bewegen.

Als erstes Comic musste schließlich das Gelbe Kind (Yellow Kid) von Richard Felton Outcault herhalten, das erstmals 1895 in der Zeitung New York World erschien. Das gelbe Kind bewegt sich bereits in den comic-typischen Bildfolgen, den „Comic Strips“ aus vier, fünf Bildern. Zwar fehlen beim gelben Kind die Sprechblasen, aber es spricht immerhin eine derbe, direkte Sprache, kurz gesagt, es flucht. Zumindest daran hat sich bis heute wenig geändert: Im Comic hat die Sprache der Straße ein Zuhause gefunden. Und wenn Kinder eines Tages wissen wollen, wie ihre Eltern und Großeltern im 20. Jahrhundert geflucht und geschimpft haben, sollten sie unbedingt ein paar alte Comic-Bücher ausgraben.

Regeln des Comic-Universums

Wenn gerade gesagt wurde, dass Comics um 1900 auf die Welt kamen, heißt das nicht, dass zeitgleich all die fabelhaften Figuren wie der schlaue Tim und sein treuer Gefährte Struppi, Spiderman oder der sehr faule und hoch musikalische Jazzkater Fritz the Cat geboren wurden. Im Comic-Universum ist es genau wie im richtigen Leben.
Jede Figur gehört zu einer bestimmten Generation, es gibt junge und alte, schlaue und blöde, böse und gute, lustige und todernste Gestalten. Die ersten Comics waren kurze Bildfolgen aus schwarz-weißen Tuschezeichnungen. Dann kamen die Fortsetzungshefte dazu und die Comic-Welt wuchs und gewann an Farbe. Heute gibt es ganze Comicbücher und die Abenteuer erstrecken sich über mehrere hundert Seiten. Das ist keine Welt mehr, das ist ein Universum. Zumal das Universum genau wie Comics unsere Naturgesetze auf den Kopf stellt. Die Fähigkeit zu fliegen ist für Comicfiguren keine besondere Auszeichnung. Raum kann sich dehnen und schrumpfen, Zeit springt vor und zurück.

Es ist ein Riesenvorteil, im Comic-Universum nicht alleine unterwegs zu sein, überall lauern Gefahren. Die Comic-Figuren der Fortsetzungsgeschichten haben gelernt, sich mit anderen Comic-Figuren ein Heft lang zusammen zu tun. Mal um gemeinsame Sache zu machen, mal um sich als Erzfeinde bis aufs Messer zu bekriegen.
Die Namen der Figuren im Comic-Universum mögen sich ändern. Die Regeln des Zusammenlebens aber sind die selben geblieben:
Regel 1: Tiere und Menschen, überhaupt alle Kreaturen haben die gleichen
Rechte. Tiere reden manchmal nur mit Blicken und Gesten, manchmal auch mit Worten. Wobei viele Lebewesen im Comic-Universum weder Mensch noch Tier sind,
sondern Tiermenschen oder Menschtiere - Fabelwesen eben.
In neuerer Zeit sind Menschmaschinen dazukommen, nette und weniger nette Roboter, die sich
hin und wieder in Mikrowellen verlieben oder zum Ölen ins Krankenhaus müssen.
Zahnschmerzen gibt es im Comic-Universum eher selten. Schule schwänzen dagegen ist eine weit verbreitete Unsitte.
Regel 2: Comicfiguren sind unsterblich und kommen daher aus allen Zeitaltern.
Wenn die Filmemacher des neuen Batman-Films behaupten, Batman letztes Stündlein habe geschlagen, braucht das niemand zu glauben! Er kann jeder Zeit wieder auferstehen!
Und es gibt sogar berühmte Figuren aus grauer Vorzeit, die ins Comic-Universum übergesiedelt sind. Thor, ein germanischer Kriegsgott, der die Welt mit einem Hammer gegen Riesen verteidigt haben soll, lebt bei dem großen amerikanischen Comic-Verlag Marvel Comics weiter, einem Planeten des Comic-Universums, der von Zeichnern erschaffen wurde, die beim Marvel-Verlag unter Vertrag stehen.
Mythologische Figuren, Sagengestalten und Fabelwesen fühlen sich im Comic-Universum ungeheurer wohl. Und da der Comic mittlerweile selber ein Mythos geworden ist, nämlich der Mythos, einst Untergrundliteratur gewesen zu sein, ist vor einigen Jahren prompt das gute alte Gelbe Kind wieder in einer Ausgabe von Runaways gesichtet worden. Wer also in der Lage ist, eine spannende Figur zu erfinden, sollte sie im Comic-Universum aussetzen: Dort hat sie gute Chancen, ihren Erfinder zu überleben.  

http://www.rossipotti.de/archiv.html#comics
http://de.wikipedia.org/wiki/Comic
http://www.goethe.de/kue/lit/prj/com/cck/deindex.htm