Fantasy


Bedeutung

In Deutschland ist der Begriff Fantasy noch nicht richtig angekommen. Zwar gibt es äußerst beliebte Fantasy-Spiele, Fantasy-Filme und große Fantasy-Buch-Bereiche in Buchläden und Bibliotheken. In der Literaturwissenschaft und in Literatur-Lexika wird Fantasy aber oft nur als unbedeutender oder lästiger Teilbereich phantastischer Literatur angesehen oder kommt als eigener Begriff überhaupt nicht vor.
Vielleicht liegt die Missachtung von Fantasy zumindest zum Teil an ihrem englischen Ursprung. Denn Fantasy wird neben Phantasie und Vorstellung mit Illusion, Laune, Schrulle, Hirngespinst und Träumerei übersetzt.
Der deutsche Begriff Phantasie dagegen wird neben Vorstellung, Trugbild und Einbildung vor allem mit Vorstellungs- oder Einbildungskraft, Erfindungsgabe und Improvisation erklärt.
Im Unterschied zum englischen Fantasy hebt das deutsche Wort Phantasie also vor allem auf die Fähigkeit, schöpferisch tätig sein zu können, ab.
Tatsächlich teilt man in Deutschland Erzählungen, die reine Trugbilder und Erfindungen sind, also eigene, imaginäre Welten erschaffen, in Fantasy ein.
Solche Erzählungen dagegen, die noch in der Realität verankert und sich ihrer Einbildungskraft bewusst sind, sich also innerhalb der Erzählung über die phantastischen Elemente wundern, zählt man dagegen zur phantastische Erzählung.
In England und Amerika hat man mit dem Begriff Fantasy wenig Probleme. Allerdings teilt man ihn auch hier – neben vielen Feinrastern – ganz grob in High Fantasy und Domestic Fantasy ein. Domestic Fantasy entspricht dabei in etwa unserem Begriff der phantastischen Erzählung, High Fantasy dagegen eher unserer Vorstellung von Fantasy.

Was aber ist nun eigentlich unsere Vorstellung von Fantasy?
Im Unterschied zur phantastischen Erzählung, die wie gesagt noch mit einem Bein in der Wirklichkeit steht, erfindet sich Fantasy vollständig eigene Welten. In diesen Welten erleben Helden phantastische Abenteuer. Der Leser betritt meistens mit dem Held am Anfang des Buchs die fremde oder andere Welt und bleibt dort bis zum Ende der Geschichte.
Die erfundenen Figuren handeln insgesamt ähnlich wie reale Menschen, doch stehen zumindest einem Teil von ihnen die Mittel der Magie und übermenschliche Kampfeskraft zur Verfügung. Beides brauchen sie auch, um den durchaus echten Wunschtraum der Menschen, das Böse durch das Gute zu besiegen, in ihrer Welt umsetzen zu können. Doch nicht nur die Magie und Kampfkraft unterscheidet die Fantasy-Welt von unserer Wirklichkeit. Auch die klaren Regeln und Gesetzen, nach denen das Böse vernichtet werden kann, sind unrealistisch.
Insgesamt ist die Fantasy-Welt also durch das Vorhandensein von Magie und Zauberwesen, von klaren Gegnern und klaren Regeln, wie sie zu bekämpfen sind, in unserer Welt unmöglich, phantastisch, und insofern übernatürlich.
In Mischformen zwischen Fantasy und phantastischer Erzählung beginnt die Geschichte übrigens in einer realistischen Welt, aus der der Held auf irgendeine Weise in die phantastische Welt gerät oder öfters zwischen den Welten hin- und herwandert. Aber auch hier spielt der Großteil der Handlung in der erfundenen Welt mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten.

Gesetze und Figuren in Fantasy

Seit der Entstehung der modernen Fantasy-Literatur im 19.Jahrhundert durch George MacDonald und William Morris und deren Weiterentwicklung im 20. Jahrhundert durch Autoren wie Lord Dunsany, Robert E. Howard, Fritz Leiber, C.S. Lewis und J.R.R. Tolkien haben sich viele verschiedene Arten von Fantasy entwickelt.
Je nachdem, ob Fantasy-Literatur beispielsweise mehr magische, technische, gruselige oder auch witzige Elemente enthält, kann man sie als High-Fantasy, Science-Fantasy, Dark- oder Humoristische Fantasy bezeichnen. Und je nachdem ist Fantasy dementsprechend mehr mit mythischen Erzählungen wie der Sage oder dem Märchen, mit Science-Fiction, Horrorgeschichten oder dem Comic verwandt.
Trotz dieser Vielgestaltigkeit von Fantasy, kann man ähnliche Gesetzmäßigkeiten und Figuren des Genres ausmachen:

Gesetze:

  • In Fantasy wird eine übernatürliche Welt entworfen, die von unserer Alltagswelt getrennt existiert (beispielsweise Herr der Ringe, Scheibenwelt). Auch in Mischformen zwischen Fantasy und phantastischer Erzählung, in der die übernatürliche Welt durch einen magischen Umsteigepunkt zum Beispiel durch einen Schrank (König von Narnia), eine Tür (Die Kinder von Arden) oder auch ein technisches Hilfsmittel (Märchenmond) erreicht werden kann, ist die phantastische Welt übernatürlich und nach anderen Gesetzen als die reale aufgebaut.
    Die übernatürliche Welt kann dabei parallel zu unserer Realität existieren (Tintenherz). Sie kann aber auch in unserer Welt zu einer anderen Zeit, die es so ähnlich (Nebel von Avalon) oder auf keinen Fall so gegeben hat (Merle-Trilogie), bestehen. Oder sie kann auch als zauberhafter, magischer Ort in unserer Welt selbst angesiedelt sein (Harry Potter).
    Die übernatürliche, unrealistische Welt ist in sich schlüssig und wird von dem Erzähler und den Figuren ernst genommen. Trotzdem sind sich Autor und Leser von Fantasy darüber klar, dass die Welt an sich nicht wahr ist, sondern, dass es sich um eine erfundene, unwirkliche Welt handelt.
  • Magie oder übernatürliche Begebenheiten sind für die handelnden Figuren selbstverständlich. Beides ist allerdings bestimmten Grenzen und Regeln unterworfen, die die Logik der jeweiligen Fantasy-Geschichte bestimmen.
  • Fantasy-Geschichten schaffen sich meistens einen eigenen Mythos, also eine Entstehungs-Geschichte der Welt mit ethischen oder moralische Grundregeln des Lebens. Dabei greifen sie oft auf antike oder mittelalterliche Bilder und Figuren zurück. Oft gibt es einen Kampf zwischen Gut und Böse, bei dem die guten Helden gegen die bösen Helden siegen.
  • Ein wichtiges Struktur bildendes Element von Fantasy ist die Reise. Obwohl gerade auch neuere Fantasy-Romane manchmal nur an einem oder wenigen Orten spielen, leben die meisten Fantasy-Geschichten vom Ortswechsel oder von der Reise.
    Während sich der oder die Helden auf einen Zielort zu bewegen, an dem die Handlung oft in einem letzten, großen Kampf oder Auseinandersetzung entschieden wird, erleben sie viele Abenteuer. Auf diesen Abenteuer lernen die Helden nicht nur viele Kulturen oder Lebensformen kennen, sondern werden auch erfahrener und für die große Aufgabe am Schluss gerüstet. Insofern kann man die Reise auch als Läuterung oder Bildung des Helden ansehen. Der Weg ist also auch bereits das Ziel.
    Verbildlicht werden die verschiedenen Orten in vielen Fantasy-Büchern auf gemalten Landkarten am Anfang oder Ende des Buchs.
  • Viele Fantasy-Romane sind multikulturell. Das heißt, in dem erfundenen Reich leben viele verschiedene Völker nebeneinander. Je nach Problem oder Gefahr kämpfen sie mit- oder gegeneinander.
  • Die meisten Fantasy-Romane führen den oder die Helden zu einem glücklichen Ende. Oft wird die phantastische Welt von der Bedrohung des Bösen gerettet. In Mischformen zwischen Fantasy und phantastischer Erzählung reicht die Rettung meistens auch noch in die reale Wirklichkeit hinüber. Bei der Rückkehr erwacht die Schwester wieder aus dem Koma (Märchenmond), der Vater aus der Depression (Die Unendliche Geschichte) oder kann sich der Held selbst besser gegen seine Umwelt wehren (Harry Potter).

Figuren:

  • Neben Menschen treten viele erfundene Wesen auf. Das können aus Märchen, Sagen oder Mythen bekannte Zauberer, Hexen, Zwerge, Drachen, Elfen, Einhörner, Kobolde und Dämonen sein. Oder neu erfundene Figuren wir Orks, Hobbits, Dementoren, Vampire oder Revisoren der Realität.
  • Haupthandlungsträger sind Helden. Meistens haben sie die Aufgabe, Missstände, die in der phantastischen Welt vorherrschen, zu beheben, gegen das Böse zu kämpfen oder sich in einzelnen Abenteuern zu bewähren.
    Oft scheinen die Helden am Anfang nicht stark und tapfer genug für ihre jeweilige Aufgabe zu sein. Trotzdem sind sie durch ein außergewöhnliches Schicksal, ein Orakel oder eine Personengruppe für diese Aufgabe auserwählt worden. Als Auserwählte wachsen sie in den Abenteuer oft über sich selbst hinaus, sind mutig, treu und kämpfen trotz aller Widrigkeiten bis zum Schluss. Oft werden sie vor oder während des Abenteuers mit magischen Gegenständen oder Fähigkeiten ausgestattet oder sind übermenschlich stark oder geschickt.
  • Die Figuren lösen ihre Probleme im Wesentlichen mit Schwertern, Äxten oder anderen Waffen und Magie („Schwert und Magie“). Oft stehen sich dabei Kämpfer und Magier gegenüber.
    Aber auch List, Schlagfertigkeit oder Herzensgüte können bei der Problemlösung und im Kampf wichtig sein.
  • Die Figuren werden in der Regel mit wenigen äußerlichen und inneren Eigenschaften charakterisiert. Außer den guten und bösen Helden treten die meisten Figuren nur als Angehörige eines Volksstamms oder Gruppe und nicht als Individuen auf.

Funktion

Welche Funktion man Fantasy zuschreibt, hängt stark davon ab, wie man ihr Verhältnis zur Realität beurteilt. Ist man zum Beispiel der Meinung, dass Fantasy nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun hat, sondern nur phantastische Spielerei ist, wird man Fantasy vor allem als Mittel zur Unterhaltung wahrnehmen oder auch den fehlenden Realitätsbezug beklagen.
Findet man dagegen, dass Fantasy eine Reaktion auf unsere Sehnsucht nach phantastischem Mythos und klaren Regeln in unserem technischen, unübersichtlichen Zeitalter ist, wird man die wesentliche Funktion von Fantasy in Tröstung oder sogar Heilung dieses Verlusts sehen.
Zwischen diesen gegensätzlichen Positionen gibt es natürlich noch verschiedene andere Positionen.
Insgesamt kann man ungefähr fünf Hauptfunktionen von Fantasy ausmachen:

Positive Funktionen:

  1. Unterhaltung.
  2. Eröffnung von kreativem Spielraum und Wecken der Phantasie. Beides sind wichtige Momente, andere Perspektiven für den Alltag zu entwickeln.
  3. Tröstung und Heilung: Fantasy als mythische Geschichte, die den Ursprung und die Grundregeln des Seins bebildert, kann Sinn stiften und dem Leser die Hoffnung geben, dass es Dinge gibt, die sich dem Verstand entziehen. Und es kann darüber hinaus das Bedürfnis nach phantastischen Geschichten in einer von Technik und vernünftigem Denken geprägten, völlig entzauberten Welt stillen.

    Negative Funktionen:
     
  4. Kompensation oder Entlastung: Im Unterschied zu Tröstung und Heilung, die den Leser stark für den Alltag machen, kann Fantasy aber auch einschläfernd wirken. Das ist dann der Fall, wenn der Leser Fantasy liest, um den Alltag besser ertragen, nicht um ihn gestärkt besser gestalten zu können.
  5. Eskapismus, das heißt Flucht aus der Wirklichkeit:
    Wenn der Genuss von Fantasy so häufig und intensiv wird, dass er die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit verdrängt, dient Fantasy der Flucht aus der Wirklichkeit. Die Funktion der Entlastung wird hier zur Droge, ohne die man die Realität nicht mehr ertragen kann.
    Das passiert allerdings weniger bei Büchern und wesentlich häufiger bei Fantasy-Computer- oder Rollen-Spielen.

Nachtisch

Nimm die 1. und 2. Funktion von Fantasy wahr und gestalte dir deine eigene phantastische Landschaft! Viel Spaß!


Animation: Jens Gröger

http://www.rossipotti.de/ausgabe23/titelbild.html
http://www.bibliotheka-phantastika.de/
http://www.phantastik-couch.de/fantasy.html