Form


Bedeutung

Einen guten Text zu schreiben, ist so ähnlich, wie eine schöne und zugleich leckere Torte zu backen. Man braucht gute Zutaten, eine Backform und natürlich auch die Fähigkeit, alles so zusammen zu stellen, dass es ansprechend und appetitlich aussieht und außerdem gut schmeckt.
Vergleicht man das Schreiben von Texten im Einzelnen mit dem Backen von Kuchen, so entsprechen die bloßen Zutaten für den Kuchen dem Inhalt und Stoff des Textes.
Die Fähigkeit, die Zutaten zu einer leckeren Torte zusammen zu stellen und die Backform, in die der Teig gefüllt wird, entsprechen dagegen der Form des Textes.


Illustration: Mareike Engelke

So weit, so gut. Doch wie sieht die Form eines Textes eigentlich aus? Wie wird sie zusammen gestellt oder aus welchen Einzelteilen setzt sie sich zusammen?
Betrachten wir noch einmal den Kuchen. Ein Kuchen kann ganz unterschiedlich geformt sein. Am auffälligsten ist seine äußerlich sichtbaren Form. Ein Kuchen kann beispielweise die Form eines Gugelhopfs, eines Kastens oder einer runden, mehrschichtigen Torte haben.
Außerdem kann der Kuchen verziert sein, wodurch er seine persönliche Note oder seinen eigenen Stil erhält. Der eine Kuchen ist beispielsweise mit Schokoguss verziert, der andere ganz schlicht ohne Glasur, während der dritte mit Schlagsahne und Kirschen garniert ist. Auch die Verzierung des Kuchens gehört zu seiner äußeren Form, denn sie springt einem gleich ins Auge.
Neben diesen äußeren, schnell sichtbaren Form-Unterschieden gibt es bei Kuchen aber auch innere Unterschiede, die man erst bemerkt, wenn man den Kuchen aufschneidet und hinein beißt. Dann kann man die Zusammenstellung der einzelnen Zutaten entdecken, aus denen der Kuchen geformt ist. Die Zutaten Eier, Mehl, Zucker, Butter und Milch können beispielweise zu einem Bisquit-, einem Rühr- oder auch zu einem Hefeteigboden zusammen gestellt werden. Der Kuchenboden kann außerdem mit Vanille, Honig oder Zimt schmackhaft gemacht werden. Nicht zuletzt kann der Kuchen unterschiedlich zusammen gestellt sein. In einem Kuchen finden sich vielleicht nur Rosinen, während in einem anderen Kirschen versunken sind und sich in einem dritten Kuchen eine Marzipanschicht zwischen zwei Böden finden lässt. Ein Kuchen setzt sich also aus verschiedenen inneren und äußeren Formen zusammen.

Bei Texten ist es nun ganz ähnlich. Auch Texte sind unterschiedlich geformt und setzen sich jeweils aus einer inneren und einer äußeren Form zusammen.
Zur äußeren Form eines Textes zählt die Literaturwissenschaft Genre und Stil. Das Genre von Texten entsprich dabei der Kuchenform. Solche Textformen können beispielweise Krimis, Dramas, Gedichte, Comics oder Romane sein.
Der jeweilige Textstil eines Autors entspricht dabei der Verzierung des Kuchens und kann beispielsweise einfacher, mittlerer oder gehobener Stil sein.
Zur inneren Form eines Textes, also zu dem, was ihn bei genauerem Hineinbeißen oder Lesen schmackhaft macht, gehört dagegen die spezifische Gestaltung des Inhalts oder des Stoffs mit sprachlichen Elementen. Solche sprachliche Elemente können Erzählperspektive und Erzählformen, Metaphern, Rhythmus oder Erzählstruktur innerhalb des Textes selbst sein.
Wie beim Kuchen, der erst eigentlich zum Kuchen wird, wenn man die Zutaten in einer bestimmten räumlichen und zeitlichen Reihenfolge zusammen stellt, so wird auch der Stoff oder der Inhalt eines Textes also erst eigentlich durch seine innere und äußere Formung zum persönlichen Kunstwerk des Autors.

Verhältnis von Form zu Stoff und Inhalt

Die meisten Literaturwissenschaftler und Autoren sind sich darüber einig, dass ein literarischer Text erst durch seine Form zum spezifischen Kunstwerk eines Autors wird. Trotzdem bleibt unklar, inwieweit einerseits Stoff und Inhalt von der Formung durch den Autor und inwieweit andererseits die Form eines Textes von ihrem Stoff und Inhalt abhängig sind. Oder anders, dafür einfacher gefragt: Was ist wichtiger bei einem literarischen Kunstwerk: seine Form oder sein Inhalt?




Illustrationen: Mareike Engelke

Gehen wir noch einmal zurück zum Vergleich eines Textes mit einer Torte und fragen auch hier: Was ist wichtiger, die Zutaten der Torte oder ihre Gestaltung zu einem formschönen Kuchen?
Auf jeden Fall kann man sagen, dass man eine Torte weder ohne Zutaten, noch ohne Form backen kann. Daraus kann man schließen, dass sowohl Zutaten oder Inhalt als auch die Form  gleichermaßen wichtig sind. Beide hängen grundlegend in einer Weise von einander ab, dass sie nur gemeinsam das sein können, was sie sind, nämlich eine Torte.
Wie sieht es aber nun mit einer Torte aus, die nicht gut geformt ist und an manchen Stellen sogar zermatscht? Wird so eine Torte bei gleichen Zutaten trotzdem schmecken?
Und wie sieht es umgekehrt mit einer formschönen oder schön gestalteten Torte aus, deren Zutaten aber schlecht oder nicht gehaltvoll sind? Welche der Torten wird wohl besser schmecken: Die Gestaltvolle oder die Gehaltvolle?
Darüber lässt sich nun doch streiten.
Die einen können der Meinung sein, dass eine gehaltvolle Torte auch ohne schöne Form gut schmeckt. Die anderen können dagegen sagen, dass immer auch das Auge mitisst und eine zerkrachte, vermatschte, formlose Torte so unappetitlich aussieht, dass sie nicht mehr gut schmeckt. Und wieder andere können sagen, dass egal wie schlecht die Zutaten oder der Gehalt der Torte ist, eine formschöne Torte trotzdem immer schmecken wird.

Diese unterschiedlichen Meinungen zu der Gewichtung von Form und Inhalt gibt es auch bei Texten. Denn auch hier kann man fragen: Kann ein Text gut sein, wenn er schlecht geformt ist? Oder umgekehrt: Kann ein Text gut sein, wenn sein Inhalt oder Stoff schlecht oder uninteressant ist?
Tatsächlich streiten sich Autoren schon sehr lange darüber, ob bei einem Text der Inhalt und sein Gehalt oder die Form und ihre Gestalt wichtiger sind.
Vor allem in alten Zeiten war man der Meinung, dass die Form für einen guten Text viel wichtiger sei, als sein noch ungeformter Stoff und Inhalt. Vom Mittelalter bis zum Barock wurden normative Poetiken, also verbindliche Regelwerke, geschrieben, die vorgaben, wie ein Kunstwerk aussehen muss, damit es schön und gelungen ist.
Auch der große Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, war noch der Ansicht, dass „in aller schönen Kunst, das Wesentliche in der Form besteht“. Erst mit der Epoche des Sturm und Drangs wurde der starre Formzwang aufgehoben. Das in dieser Epoche ausgerufene Dichter-Genie, das in sich selbst die Regeln für künstlerischen, originalen Ausdruck fand, missachtete alle bis dahin verbindlichen Form-Regeln.
Trotzdem fand auch Friedrich Schiller, der selbst wichtige Werke des Sturm und Drangs geschrieben hatte, dass das Kunstgeheimnis darin bestehe, den Stoff durch die Form zu vertilgen. Er meinte damit, dass es die Form ist, die aus dem Stoff etwas Wertvolles, nämlich Kunst, macht und nicht etwa umgekehrt, dass der Inhalt die Form veredelt.
Seither gab und gibt es immer wieder Epochen oder literarische Strömungen, die der Form den Vorzug gegenüber dem Stoff und dem Inhalt geben. So zum Beispiel der Formalismus (ungefähr 1915-1930), der die Form des Kunstwerks als eigentliche künstlerische Leistung hervorhob und das literarische Werk als Summe der darin angewandten sprachlichen Mittel und Formen ansah.