Lutz Rathenow

* 22. September 1952 in Jena


Leben


Lutz Rathenow
© privat

Lutz Rathenow wurde am 22.09.1952 in Jena, in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geboren. Die DDR war vor der Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland (1990) der sozialistisch regierte Teil Deutschlands. Rathenows Vater war in der DDR Direktor der Jenaer Verkehrsbetriebe, seine Mutter Näherin. Lutz Rathenow hat eine Schwester.
Schon in seiner Kindheit spielten die politischen Bedingungen in der DDR für Rathenows Leben eine Rolle. Da er sie jedoch nicht ganz verstand, interpretierte er sie auf kindliche Weise. So war der Westen eigentlich nur da, um Westpakete in die östlich gelegene DDR zu schicken. Und der Zoll wurde in Rathenows Vorstellung zum „Zauberer Zoll“, der die versprochenen Dinge, die nicht ankamen, aus den Westpaketen heraus gezaubert hatte.
In Wirklichkeit kontrollierte der Zoll auf Geheiß der Regierung die Post und beschlagnahmte alle Briefe und Pakete, die der Regierung nicht gefielen. Später glaubte Rathenow natürlich nicht mehr an die Zauberkraft des Regimes und nahm ihm gegenüber eine kritische Haltung ein.

1971 machte Lutz Rathenow das Abitur und begann 1973, nachdem er den Wehrdienst gemacht hatte, sein Studium der Fächer Deutsch, Geschichte und Pädagogik.
Noch im selben Jahr gründete Rathenow den Arbeitskreis Literatur und Lyrik Jena. Der Arbeitskreis sollte Jugendliche mit Literatur und Lyrik vertraut machen und junge Schriftsteller beim Schreiben und Veröffentlichen unterstützen. Doch bereits 1975 wurde der Arbeitskreis aus politischen Gründen von der Staatssicherheit (Stasi) verboten.
1976 geriet Rathenow ein weiteres Mal mit der Staatssicherheit in Konflikt, als er sich, wie viele andere Kollegen, gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aussprach. Wolf Biermann durfte nach einer Tournee in der BRD wegen seiner angeblichen „staatsfeindlichen Hetze“ nicht mehr in die DDR zurück reisen. Die Ausbürgerung empfanden viele Menschen in der DDR als Skandal und sie entwickelte sich zum politischen Kräftemessen zwischen Regierung und regimekritischen Künstlern und Intellektuellen der DDR.
In dieser politischen Situation wurde Rathenow drei Monate vor seiner Abschlussprüfung wegen seiner politischen Haltung vom Studium ausgeschlossen und durfte danach auch an keiner anderen Universität in der DDR weiter studieren.
Zunächst arbeitete er nun als Hilfsarbeiter und Beifahrer, bevor er nach Ostberlin umzog und dort seit 1978 als freiberuflicher Schriftsteller tätig war. Da seine Texte das Leben in der DDR kritisch darstellten, waren sie in der DDR verboten. Allerdings veröffentlichte er viele seiner Texte in der BRD (West-Deutschland). Dieses Verhalten wurde von der politischen Führung der DDR wiederum als staatsfeindliche, „antikommunistische psychologische Kriegsführung“ aufgefasst.
Nach der Veröffentlichung von Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet kam Rathenow in Untersuchungshaft.
Wie sein Arbeitskreis Literatur und Lyrik Jena ist auch sein Engagement in der Initiative Frieden und Menschenrechte dem DDR-Regime ein Dorn im Auge.
Erst 1992, nach der Wende, wird Lutz Rathenow nachträglich das Abschlussdiplom der Friedrich-Schiller-Universität in Jena verliehen.
Obwohl Rathenow regelmäßig Probleme mit dem DDR-Regime hatte, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen über sich ergehen lassen musste und seine Werke in Ostdeutschland verboten waren, lehnte er das Ausreiseangebot der DDR-Behörden ab. Er blieb lieber als aktiver Friedensverfechter, Bürgerrechtler und kritischer Autor in der DDR.
Wegen seiner Regimekritik, die er mal offen, mal zwischen den Zeilen, mal politisch, mal literarisch übte, ist er als bedeutender DDR-Dissident und Autor der unabhängigen Literaturszene in Berlin bekannt.
Einen großen Erfolg als Autor politischer Texte hatte Lutz Rathenow 1987 mit dem Band Ostberlin-die andere Seite einer Stadt, das Lutz Rathenow gemeinsam mit dem Fotografen Harald Hauswald gemacht hat. Nach der Wende fand auch Rathenows und Hauswalds Berlin-Buch Ost-Berlin. Leben vor dem Mauerfall (2005) viel Beachtung.
Während der Zeit des DDR-Regimes wuchs die Stasi-Akte von Rathenow auf 15 000 Seiten an. Heute ist Lutz Rathenow sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.
Lutz Rathenow lebt in Berlin.

Werk und Bedeutung

Lutz Rathenow schreibt Kurzgeschichten, Essays, Satiren, Märchen, Gedichte und Hörspiele für Kinder und für Erwachsene.
In einigen seiner Texte verpackt Rathenow politische Themen oder Botschaften.
So zum Beispiel in dem Kunstmärchen für Kinder Der König und die Sonne. Die Geschichte handelt von einem eitlen König, der gierig nach Macht und Glanz ist. Sinnbildlich stellt Rathenow die eitle Maßlosigkeit über einen König dar, der nicht einmal den hellen Schein der Sonne ertragen kann. Aus Ärger über den Glanz der Sonne, will der König sie sogar lebenslänglich einsperren. Zunächst lachen die Untertanen über den Plan des Königs. Doch wer lacht, wird eingesperrt, und bald gibt es im Land Namenlos nichts mehr zu lachen. Auch dürfen die Leute nicht mehr sagen, was sie denken, und die Liedermacher dürfen keine Lieder mehr singen, außer solche, die vom Glanz des Königs und seines Palastes handeln.
Der König versucht allerhand Tricks, um die Sonne loszuwerden. Doch am Ende wird das Land den König durch einen Trick des Liedermachers los.

In anderen Texten von Lutz Rathenow ist von seiner politischen Haltung weniger oder auch gar nichts zu spüren. Sie behandeln eher allgemein menschliche Erfahrungen oder Zustände. In diesen, oft skurrilen oder absurden Geschichten fühlen sich die Figuren von ihrer Umgebung entfremdet, führen ins Leere laufende Gespräche mit anderen Figuren oder haben seltsame (Tag-)Träume.
In dem von Frank Ruprecht illustrierten Bilderbuch Tag der Wunder gibt es beispielsweise einen Drachen, an den keiner mehr glaubt und der sich heute vor sich selber fürchtet. Daneben gibt es einen Ritter, den schon vor langer Zeit der Mut verlassen hat, einen Riesen der verunsichert ist, weil er sich aufgrund seiner Größe nirgends verstecken kann und einen Indianer, der als letzter seines Stammes von großer Einsamkeit gequält und von schrecklichen Alpträumen geplagt wird.
Diese vier traurigen Gestalten treffen schließlich aufeinander. Doch sie fürchten sich sehr voreinander und fallen irgendwann vor Erschöpfung um. So liegen sie, bis Alice kommt und sie wach küsst und einer nach dem anderen seinen Lebensmut wiederfindet.
Noch seltsamer und absurder geht es in den Geschichten in dem Kurzgeschichten-Band Es war einmal ein Wolf zu. Hier zerfließt Frau Grell in der Hitze zu einer Pfütze, schneidet Herr Grell die Grasspitzen in seinem Garten ab, damit sich die Ameisen nicht an ihnen verletzen oder möchte eine Hexe ein Geheimnis preisgeben, für das sich aber bedauerlicher Weise niemand interessiert.

Eine Mischform zwischen Geschichten mit und ohne gesellschaftliche Botschaft ist das von Egbert Herfurth illustrierte Bilderbuch Ein Eisbär aus Apolda. Hier findet man einige der witzig-absurden Geschichten aus dem Es war einmal ein Wolf wieder. Wie die Geschichten über einen Eisbären, der nach Obervolta will, aber bis zum Bahnschalter leider vergisst, wohin er eigentlich wollte (Oberscholda? Opa-soll-da oder Appvolda?) und schließlich zufrieden ist, als er erfährt, dass er schon in Apolda ist.
Daneben findet man im Eisbär aus Apolda aber auch nachdenkliche, gesellschaftskritische Geschichten. In der Märchen-Parodie vom Wolf und den widerspenstigen Geißlein ist der Wolf im Gegensatz zum originalen Märchen eine gutmütige, zivilisierte Figur, die Geißlein kommen dagegen aus einer zerrütteten Familie. Die Mutter hat keine Lust, auf ihre Kinder aufzupassen und vertreibt sich ihre Zeit lieber mit ihrem Freund. Die Kinder schlagen aus Langeweile das Geschirr kaputt, und als der Wolf kommt und sie nicht gruseln und fressen, sondern lieber mit ihnen Theater spielen will, schlagen sie ihn aus Ärger über seinen Sanftmut tot.

Auszeichnungen (Auswahl)

1987 Bronzemedaille der Haute Academie Litteraire et Artistique de France
1988 Bochumer Textpreis für Figurentheater
1989 Jörg-Mauth-Literaturpreis
1990 Förderpreis des Marburger Literaturpreises
1996 Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung
1998 Karl-Hermann-Flach-Preis

Titelauswahl

Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet / Rathenow, Lutz (Text) - Ullstein 1980. Buchvorstellungen: ()
Jeder verschwindet so gut er kann / Rathenow, Lutz (Text) - Mariannenpresse 1984. Buchvorstellungen: ()
Ostberlin - Die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern / Rathenow, Lutz (Text); Hauswald, Harald (Fotos) (Illu.) - Piper 1987. Buchvorstellungen: ()
Eine Ameise spaziert / Rathenow, Lutz (Text); Otto, Lothar (Illu.) - Postreiter 1990. Buchvorstellungen: ()
Sterne jonglieren - Gedichte für Kinder / Rathenow, Lutz (Text) - Ravensburger 1990. Buchvorstellungen: ()
Tag der Wunder / Rathenow, Lutz (Text); Ruprecht, Frank (Illu.) - Nord-S 1992. Buchvorstellungen: ()
Floh Dickbauch / Rathenow, Lutz (Text); Bauer, Peter (Illu.) - LeiV 1995. Buchvorstellungen: ()
Sisyphos - Erzählungen / Rathenow, Lutz (Text) - Berlin-Verlag 1995. Buchvorstellungen: ()
Der Himmel ist heut blau - Kindergedichte / Rathenow, Lutz (Text); Herfurth, Egbert (Illu.) - Kinderbuch Verlag Berlin 2000. Buchvorstellungen: ()
Es war einmal ein Wolf - Geschichten für Kinder jeglichen Alters / Rathenow, Lutz (Text) - Burgverlag zu Weißensee in Thüringen 2000. Buchvorstellungen: ()
Die Fünfzig - Gedichte / Rathenow, Lutz (Text); van der Leeuw, Frank (Illu.) - Landpresse 2002. Buchvorstellungen: ()
Ost-Berlin - Leben vor dem Mauerfall / Rathenow, Lutz (Text); Hauswald, Harald (Fotos) (Illu.) - Jaron Verlag 2005. Buchvorstellungen: ()
Der König und die Sonne / Rathenow, Lutz (Text); Weller, Bettina (Illu.) - Auer 2006. Buchvorstellungen: ()
Der Eisbär aus Apolda / Rathenow, Lutz (Text); Herfurth, Egbert (Illu.) - Leiv 2006. Buchvorstellungen: ()
Klick zum Glück - Prosa / Rathenow, Lutz (Text) - Wartburg 2010. Buchvorstellungen: ()

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