Kinder schreiben für Kinder

Elisabeth

von Satine (17 Jahre) - Sa 31.05.2008


"Du hast mir in den letzten Sitzungen erzählt, dass du jemanden siehst?"
Das Mädchen rührte sich nicht.
"Einen Mann, der dich begleitet?"
Das Mädchen starrte ins Leere. Der Mann mit dem besorgten Gesicht rieb sich die Augen und sah wieder auf sein Blatt voll von Notizen. Er überlegte.
"Kannst du dich daran erinnern?"
Das Mädchen rührte sich nicht.
Das bringt doch nichts mehr, dachte er, wir kommen seit Tagen nicht mehr weiter. Er betrachtete seine schwungvolle Schrift auf dem Blatt, seufzte und fing noch mal an.
"Der Mann, von dem du mir erzähltest, ist er hier?"
Keine Reaktion.
Er schüttelte den Kopf. Vor ein paar Sitzungen hatte er für dieses Mädchen noch Hoffnung gehabt. Viele waren an ihr gescheitert, doch die Eltern gaben nicht auf und reich wie sie waren, konnten sie sich das auch leisten. Und dann, vor ein paar Sitzungen hatte er ein paar Worte aus ihr herausbekommen.
"Er ist hier. Gerade jetzt. Er ist hier."
Er hatte seine Chance gewittert und weiter nachgehakt. "Der Mann. Der Mann mit den dunklen Augen."
Danach war sie stumm geblieben. Und das heiße Gefühl der Hoffnung auf eine Verbindung zum stummen Mädchen, erlosch.
"Ja." Er schreckte aus seinen Gedanken auf und starrte sie an. Ihr Blick war immer noch in die Leere gerichtet. Ja. Er war also hier? Eine große Nervosität packte ihn. Er durfte sie nicht noch mal verlieren.
"Er ist also hier in diesem Raum."
Keine Reaktion.
"Wo genau ist er?"
Lange Zeit blieb es still, dann "Genau hier.", wisperte das Mädchen. Sie drehte den Kopf und ihre großen Augen sahen ihn plötzlich direkt an. Ihm wurde heiß. "Neben mir?"
Er wagte den Blick nicht zu senken. "Er ist neben dir?"
Das Mädchen starrte ihn an.
"Was tut er?"
Lange keine Reaktion. Nur der Blick. Er versuchte nicht auf seinem Platz hin und her zu rutschen. "Er beugt sich zu mir." Die großen dunklen Augen füllten sich mit Tränen. "Er spricht zu mir."
"Was sagt er?"
Eine lange Pause. Er dachte schon, er hätte sie wieder verloren, bis - "Elisabeth", sang sie. "Elisabeth."
Sein Körper verkrampfte sich. "Er singt deinen Namen?" Sie starrte in unentwegt an. "Was fühlst du, wenn du ihn hörst?"
Es entstand wiederum eine lange Pause.
"Nichts, nichts. Gar nichts.", sang sie.
Er legte langsam sein Klemmbrett zur Seite. "Ist er auch da, wenn du allein bist. Wenn du in deinem Zimmer bist. Ist es er, mit dem du redest?"
Sie starrte ihn erschrocken an. Eine dicke Träne rollte über ihre blasse Wange. Nicht so schnell, dachte er, und holte tief Luft.
"Spricht er zu dir, wenn du allein bist?"
Nach einer Weile nickte sie.
Er versuchte seine Nervosität nicht zu zeigen. "Was antwortest du ihm?"
Es dauerte lange, bis sie antwortete, und wieder waren es gesungene Worte.
"Ich will nicht gehorsam, gezähmt und gezogen sein. Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein. Ich bin nicht das Eigentum von dir, denn ich, gehör nur mir."
Er starrte sie an. Sein Blick verschwamm.
"Nennt er Gründe, wieso er dich nicht verlässt?"
Sie nickte. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf. "Du darfst sie nicht nennen?"
Sie nickte zögernd.
Ein Gefühl sagte ihm abzuwarten.
"Er liebt mich." Sie drehte ihren Kopf weg und starrte wieder an die Wand. Er wusste, dass das alles war, was sie noch sagen würde. Was sie je sagen würde. Er holte die zwei Pfleger, die sie wieder in ihre Zelle zurück brachten. Allein im Raum besah er sich noch mal seine Notizen. Er schmiss sie in die Ecke und rieb sich die Augen. "Elisabeth." Er schüttelte verzweifelt den Kopf.