Shaun Tan

* 1974 in Perth (Australien)


Leben

Shaun Tan studierte an der University of Western Australia Kunstgeschichte und englische Literatur. Zeichnen und Malen hat er aber vor allem als Jugendlicher auf der Highschool gelernt, die ein erweitertes Kunstprogramm hatte:
„Jeden Samstag arbeitete man den halben Tag mit einem praktizierenden Künstler zusammen. Mit dem einen formte man einen Kopf, beim nächsten lernte man mit Ölfarbe umzugehen, ein anderer brachte einem bei, wie man Radierungen macht.“
Als Tan 16 Jahre alt war, wurde eine Illustration von ihm in einem Science-Fiction-Magazin veröffentlicht. Daraufhin erhielt er viele Aufträge, Science-Fiction- und Horror-Stories zu illustrieren, ohne das jemand ahnte, dass der Illustrator ein Jugendlicher war.
Erst nach dem Studium begann Tan, Bilderbücher zu illustrieren. International bekannt machte ihn sein Bilderroman Ein neues Land (The Arrival).
In Deutschland erhielt er 2009 den Deutschen Jugendliteraturpreis für Geschichten aus der Vorstadt des Universums. Für die Animation seines Bilderbuches Die Fundsache (The Lost Thing) erhielt er in den USA 2011 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm.
Im selben Jahr wurde ihm der Astrid-Lindgren-Memorial-Award verliehen, der als der Nobelpreis der Kinder- und Jugendliteratur gilt.
Shaun Tan lebt mit seiner Frau und seinem Papagei Diego in Melbourne.

Werk und Stil

Seit 1997 illustrierte Tan Texte verschiedener Autoren, die als Bilderbücher für Erwachsene angeboten wurden. So etwa The Viewer, eine Fantasy-Geschichte des Autoren Gary Crew. Die Erzählung handelt von einem Jungen, der einen "Viewmaster" findet. Der Viewmaster ist ein sonderbares Sehgerät, das den Blick in die Geschichte der Menschheit als Strudel sichtbar macht, in den der schauende Junge am Ende selbst verschwindet.
Oder er illustrierte auch The Rabbits von John Marsden, der in Australien ein sehr bekannter Autor ist. Darin wird von Eroberern in Form von Hasen erzählt, die die ursprünglichen Bewohner eines Landes unterdrücken. Tan malt die Hasen als kantige, graue Maschinenwesen, die mit einem riesenhaften Schiff an der Küste anlegen. Es sieht aus, als würde es mit seinem hohen scharfen Bug in das Ufer schneiden. Die Bilder sind mit Acryl- und Gouache gemalt. Beide Bücher wurden übrigens nicht ins Deutsche übersetzt.
Je nachdem, welche Texte oder Themen Shaun Tan illustriert, wählt er eine entsprechende Maltechnik aus. Oder er kombiniert auch verschiedene Maltechniken miteinander. Zum Beispiel Malerei mit Zeichnung, oder überarbeitete Fotografien mit  Collagen aus Fundstücken wie alte Stoffe, Bindfaden und Holz.
Tans erstes Bilderbuch, für das er nicht nur Bilder schuf, sondern auch den Text schrieb, erschien im Jahre 2000 in Australien und hieß The lost thing. Das Buch erschien übrigens erst neun Jahre später auf deutsch. In diesem Buch hat Tan nicht nur Text und Bilder gemacht, sondern auch die gesamte Seitengestaltung und die Typografie (also die Gestaltung der Buchstaben). Die Hintergründe der Seiten hat er aus vergilbten Zeitungen und Konstruktionszeichnungen aus den alten Architekturhandbüchern seines Vaters zusammen geklebt. In diese Collagen-Bilderrahmen sind die in Öl und Gouache gemalten Bilder eingepasst. Auf manchen Seiten sind mehrere kleine Bilder, auf anderen wenige große und ab und zu ein einziges großes Ölbild angeordnet. Unter oder neben den Einzelbildern ist der Text auf linierte, ausgeschnittene Blätter geschrieben und auf den collagierten Hintergrund aufgeklebt.
Die Geschichte, die hier erzählt wird, spielt in einer technisierten Stadt, in der es keine Anzeichen von Natur mehr gibt. Ein Junge entdeckt beim Kronkorkensammeln am Strand ein riesiges, rotes Wesen, das nirgendwo hingehörte. Er bemüht sich, für das verlorene Wesen einen Platz zu finden. Mit seiner Anordnung mehrerer Einzelbilder auf einer (Doppel-)Seite, sowie durch die cartoonhafte Formgebung der Figuren und der mündlich saloppen Erzählerstimme erinnert Die Fundsache an einen Comic.
Innerhalb der letzten vier Jahre hat Tan The Lost Thing als Kurzfilmanimation umgearbeitet. Für diesen 15minütigen Film hat er 2011 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm bekommen. Schon 2006 hatte er für Filmfirmen gearbeitet und hat zum Beispiel die künstlerische Konzeptarbeit für die Animationsfilme WALL.E und Horton hears a Who erdacht.
Tan malte außerdem Wandbilder und gestaltete zusammen mit einem Puppenmacher eine Straßentheateraktion. Dafür wurden nach Tans Entwürfen große Kreaturen gestaltet, die den im Meer von Westaustralien lebenden Meerestieren ähnlich sind. Auf dem zentralen Platz von Perth aufgestellt, sollten diese Kreaturen aus dem Meer die Menschenwelt beobachten, genauso wie normalerweise die Taucher die Unterwasserwelt der Meere erkunden.
Sein Bildroman Ein neues Land ist ein Buch, das mit 900 Bildern ohne Text eine Geschichte erzählt. Ein Mann verlässt darin seine alte Heimat, um in einem neuen Land Arbeit, Wohnung und eine neue Heimat zu finden. Wie der Mann, der die Sprache des neuen Landes nicht kennt, bekommt auch der Betrachter keinen erklärenden Text zu der befremdlichen Welt, die die Bilder zeigen. Dieses Buch machte Tan international berühmt und er erhielt viele Preise und Auszeichnungen für The Arrival, wie das Buch auf Englisch heißt.
Bei dem Buch Geschichten aus der Vorstadt des Universums handelt es sich um eine Sammlung von kurzen Erzählungen, die jeweils mit Bildern in den unterschiedlichsten Techniken illustriert sind. Tan experimentiert darin mit den Möglichkeitformen der Bild-Text-Kombination. Eine Geschichte darin, Eric ist auch als Einzelbuch erschienen. Eric ist ein Austauschschüler, der bei einer Familie zu Gast ist. Er erscheint in den Illustrationen als filigranes kleines Wesen, dessen Kopf wie ein Ahornblatt geformt ist, während die Alltagswelt, die ihn bei der Gastfamilie umgibt, als realistische Alltagsumgebung erscheint. Obwohl er sehr höflich ist, stellen sich aufgrund von kulturellen Missverständnissen Irritationen ein. So hat Eric ein verstärktes Interesse an unwichtigen, wertlosen Dingen, wie zum Beispiel an einem verlorenen Hosenknopf im Rinnstein oder einem Kronkorken auf einem Bürgersteig. Die Bilder sind Bleichstiftzeichnungen, zu denen auf dem letzten Bild farbige Buntstiftstriche dazutreten.
Tan, der die unterschiedlichsten künstlerischen Techniken beherrscht, experimentiert mit diesen und probiert verschiedene Möglichkeiten aus, wie Text und Bild zusammenwirken.

Tan kreist in seinen Büchern immer wieder um ähnliche Themen wie Fremdheit, Dazugehörigkeitsgefühl, Ausgrenzung, Traurigkeit und die Schwierigkeit, sich verständlich zu machen. Um diese menschlichen Gefühle sichtbar zu machen, malt er Bilder, die zwischen den erdachten, fantastischen und realistischen Welten hin- und herschwanken. Dadurch entsteht eine surreale Bildsprache, also eine Bildsprache, die in realistischer Weise unwirkliche Situationen beschreibt, die der Betrachter „lesen“ kann wie einen Text. Dass er sich dabei an der Science Fiction-Literatur orientiert, für die er sich interessiert, erkennt man in seinen Bildern. 

Auszeichnungen (Auswahl)

2010 Deutscher Jugendliteraturpreis für Geschichten aus der Vorstadt des Universums
2011 Oscar für den besten animierten Kurzfilm für The Lost Thing (Die Fundsache)
2011 Astrid-Lindgren-Memorial-Award

Titelauswahl

Ein neues Land / Tan, Shaun (Text); Tan, Shaun (Illu.) - Carlsen 2008. Buchvorstellungen: ()
Geschichten aus der Vorstadt des Universums / Tan, Shaun (Text); Tan, Shaun (Illu.) - Carlsen 2008. Buchvorstellungen: ()
Die Fundsache / Tan, Shaun (Text); Tan, Shaun (Illu.) - Carlsen 2009. Buchvorstellungen: ()
Der Vogelkönig und andere Skizzen / Tan, Shaun (Text); Tan, Shaun (Illu.) - Carlsen 2011. Buchvorstellungen: ()
Eric / Tan, Shaun (Text); Tan, Shaun (Illu.) - Carlsen 2011. Buchvorstellungen: ()

http://www.rossipotti.de/ausgabe23/kulturtasche.html
http://www.rossipotti.de/ausgabe21/rossipottis_leibspeise.html#tan
http://www.shauntan.net (englisch)
http://vimeo.com/channels/graphicnovel (englisch)